Saar-Kraftwerke fahren an – mit „schmutziger“Kohle
Bis zur Montankrise in den Siebzigerjahren war das Saarland eines der reichsten deutschen Bundesländer, und bis vor fast zehn Jahren wurde dort Kohle gefördert, zunehmend aber subventioniert. Denn der Kohlebergbau brachte keine Gewinne mehr. Mitte 2012 wurde die Kohleförderung eingestellt. Kohle aus Südafrika, Asien oder Lateinamerika war und ist billiger. Dort liegen die Kohleflöze nicht so tief. Vor allem aber sind die Sicherheitsstandards und die Arbeitsbedingungen schlechter, sodass billiger gefördert werden kann.
Alte Gruben sind voll Wasser
Nun aber braucht Deutschland dringend neue Energiequellen, um die Abhängigkeit vom russischen Gas und Öl zu reduzieren. Also wurde beschlossen, die saarländischen Kohlekraftwerke, die infolge des Kohleausstiegs stillgelegt worden waren oder die kurz vor der Schließung standen, weiterlaufen zu lassen beziehungsweise wieder anzufahren. „Wir bleiben nun erst einmal am Markt“, bestätigt Michael Lux, Leiter des Kraftwerks in Bexbach, das bereits zugemacht hatte.
Die Kraftwerke laufen wieder an, aber es ist nicht mehr möglich, die saarländische Kohleförderung zu reaktivieren: Die alten Bergwerke sind mit Grubenwasser vollgelaufen. So kommt es, dass die saarländischen Kohlekraftwerke jetzt mit Kohle aus dem fernen Kolumbien befeuert werden müssen.
Auf Comeback nicht eingestellt
Es ist ein aufwendiges Unterfangen. Bereits die Organisation des Transports war komplex. „Kohletransporte gehörten ja eigentlich schon so gut wie der Vergangenheit an. Wir waren also gar nicht darauf eingestellt, dass es zu einem Comeback der Kohleverstromung kommt“, so Sigrid Nikutta, Chefin des Güterverkehrsbereichs der Deutschen Bahn. Sie musste die neuen Transportwege organisieren.
Die wiederbelebte Kohleverstromung ist aber noch aus anderen Gründen problematisch: Kohle wird in Kolumbien unter fragwürdigen Bedingungen gefördert. Menschenrechtsgruppen sprechen daher von „schmutziger Kohle“und verweisen auf Umweltvergehen, Vertreibung und Landraub sowie weniger strenge Sicherheitsstandards.
Oliver Luksic, Logistikbeauftragter der Bundesregierung und darüber hinaus auch Saarländer, ist sich des Problems durchaus bewusst. Und trotzdem sieht er keine andere Lösung. „Wir benötigen die Kohle nun mal jetzt“, so Luksic. H.G.
Elon Musk hatte den Beschäftigten von Twitter Inc. ein Ultimatum gestellt: Entweder sie verpflichten sich zur neuen „Hardcore“Arbeitsumgebung des Unternehmens oder sie gehen. Letztlich weigerten sich viel mehr Mitarbeiter, als er erwartet hatte, sodass informierten Kreisen zufolge sogar der Geschäftsbetrieb von Twitter bedroht ist.
Wer darf eigentlich noch rein?
Wie zu hören ist, entschieden sich so viele Angestellte für die Abfindung, dass es zur Verwirrung darüber kam, welche Personen noch Zugang zu den Firmenstandorten haben sollten. Laut einem Bloomberg vorliegenden Memo hat Twitter seine Büros bis Montag geschlossen.
„Bitte halten Sie sich weiterhin an die Unternehmensrichtlinien, indem Sie keine vertraulichen Informationen in den sozialen Medien, mit der Presse oder anderswo diskutieren“, hieß es in dem Schreiben zudem. In den Stunden vor Ablauf seines Ultimatums versuchte Musk, die Beschäftigten zum Bleiben zu bewegen. Als die Frist am Donnerstagabend näher rückte, wurden Mitarbeiter in Schlüsselpositionen dem Vernehmen nach zu Treffen eingeladen, um Vorschläge für die Zukunft des sozialen Netzwerks zu hören.
Homeoffice nun doch erlaubt
Musk, der sich strikt gegen Fernarbeit geäußert hatte, schickte am Donnerstag eine EMail, in der er seinen Ton milderte. „Für die Genehmigung muss Ihr Vorgesetzter lediglich die Verantwortung dafür übernehmen, dass Sie einen ausgezeichneten Beitrag leisten“, schrieb er. Mindestens einmal im Monat sollten die Mitarbeiter persönliche Treffen mit ihren Kollegen haben.
Die internen Kommunikationskanäle von Twitter füllten sich indessen mit Mitarbeitern, die ein Salut-Emoji zeigten, das zum Symbol für das Verlassen des Unternehmens geworden ist. Ehemalige Mitarbeiter haben den Gruß auch öffentlich getwittert, zusammen mit ihren internen Slack-Nachrichten.
Einige, die das Unternehmen verließen, spekulierten, dass das Ausmaß des Mitarbeiterexodus, der den Geschäftsbetrieb von Twitter untergraben könnte. Mit den Kündigungen fließe Wissen darüber ab, wie Probleme zu beheben oder Systeme während des täglichen Normalbetriebs zu aktualisieren seien.
Akzeptiert wird nur ein „Ja“
Musk hatte die Mitarbeiter am Mittwoch aufgefordert, förmlich zu erklären, ob sie bereit sind, weiter für das Unternehmen zu arbeiten – dafür mussten sie sich zu „langen
Der Kurznachrichtendienst Twitter hat in den vergangenen Wochen viel Vertrauen eingebüßt.
Arbeitszeiten bei hoher Intensität“verpflichten. Ihnen wurde dafür per Google-Formular eine Frist bis Donnerstag gesetzt.
Das Formular enthielt nur eine mögliche Antwort: „Ja“. Jedem, der die Bedingungen zum Ablauf der Frist nicht akzeptiert, wurde mitgeteilt, dass er mit einer dreimonatigen Abfindung aus dem Unternehmen ausscheiden würde.
Dazu noch Druck von der EU
Der Mitarbeiterschwund ist aber nicht die einzige Baustelle, mit der der neue Eigentümer zu kämpfen hat. Elon Musk wird die Zahl der Twitter-Moderatoren in Europa erhöhen müssen, so Thierry Breton, der EU-Kommissar für den Binnenmarkt. „Er ist dabei, eine gewisse Anzahl von Moderatoren zu reduzieren, aber er wird sie in Europa aufstocken müssen“, sagte Breton in einem Interview mit Franceinfo. „Er wird seine Algorithmen öffnen müssen. Wir werden die Kontrolle haben, wir werden Zugang haben, die Leute werden nicht mehr in der Lage sein, Unsinn zu sagen.“
Breton hatte bereits kurz nach dem Abschluss der 44-Milliarden-Dollar-Übernahme durch Elon Musk im vergangenen Monat davor gewarnt, dass der Kurznachrichtendienst sich „nach unseren Regeln richten“müsse. Breton sagte, er habe vorgeschlagen, eine „Arbeitsbeziehung“mit Musk aufzubauen, um die Erwartungen Europas an die Social-Media-Plattform zu diskutieren. „Er weiß ganz genau, welche Bedingungen Twitter erfüllen muss, um weiterhin in Europa tätig zu sein“, sagte Breton. Bloomberg
Er ist dabei, eine gewisse Anzahl von Moderatoren zu reduzieren, aber er wird sie in Europa aufstocken müssen. Thierry Breton, EU-Kommissar für den Binnenmarkt
Julia Fischer und der Pathos einer Solistin
Ganz im Gegenteil: Julia Fischers Spiel nährte sich an der ganzen Bandbreite der farblich glitzernden und dynamischen
Liebe gibt es hier zum Warenpreis: Jenny (Tineke Van Ingelgem) spielt herrlich vulgär.
Drei Ganoven gründen die Stadt Mahagonny und versprechen jedem ein Leben voll Genuss
Drei Ganoven gründen die Stadt Mahagonny und versprechen dort jedem ein Leben voll von Genuss. Die Stadt ist die Karikatur des kapitalistischen Konsumparadieses: Glück gibt es nur gegen Geld und in Form von Waren – darunter auch Frauen. In seinen Notizen hielt Brecht fest, dass der Zuschauer zum Denken, statt zum Mitfühlen angeregt werden solle. Der aufwendigen, bis ins letzte Detail durchkomponierten Inszenierung von Ivo van Hove (Dramaturgie: Koen Tachelet), die am 6. Juli 2019 Premiere feierte, merkt man die Arbeit von fast drei Jahren an.
Die Bühne wirkt dreckig und verrucht. Der perfekte Rahmen für Ganoven und Halunken, denn hier in Mahagonny regieren die reinen Triebe: „Hier gibt es Spaß!“
Eine überdimensionale Leinwand, über die das Geschehen auf der Bühne reproduziert wird, wirkt zunächst etwas retro, wurden Videoeffekte doch bis zur Ermüdung auf den großen Bühnen überstrapaziert. Hier ist die Kamera (Tal Yarden) jedoch omnipräsent, werden die Videoeffekte verzerrt, verdoppelt und als Verfremdungseffekte gut eingesetzt. Von Beginn an wird ganz nah an die Figuren heran gezoomt, beispielsweise in Jennys Ausschnitt. In Zeiten von #Metoo ein gewagter Effekt, der Befremdung hervorruft und damit genau der Intention von Brechts epischen Theater folgt; doch in Zeiten von Instagram und Tik Tok hochaktuell.
In Zeiten der Globalisierung ziehen die Darsteller Rollkoffer auf die Bühne. In großen geschwungenen Lettern liest man den Schriftzug „Mahagonny“, der sich mit dem sukzessiven Niedergang der Stadt verändern wird.
Ab dem ersten Akt kann man sich an den Bildern weiden, die Ivo van Hove gefunden hat. Die Witwe Begbick, Dreieinigkeitsmoses und Fatty, der Prokurist, sind auf der Flucht, weil sie der Zuhälterei und des Betrugs beschuldigt werden. Auf dem Weg zur Goldküste bleibt ihr Wagen liegen und Begbick schlägt ihren beiden Komplizen vor, Mahagonny zu gründen, eine Stadt, deren Wohlstand auf Lastern und Vergnügen beruhen soll.
Eine ehrliche (Anti-)Utopie einer Welt voller Popanze und Aufschneider
Die Kamera von Tal Yarden ist in der Inszenierung omnipräsent, Videoeffekte werden verzerrt, verdoppelt und als Verfremdungseffekte gut eingesetzt.
Die beiden Hauptfiguren Jenny Hill aus Oklahoma (Tineke Van Ingelgem) und Jimmy Mahoney (Leonardo Capalbo) sind hervorragend gecastet. Jenny tritt vulgär auf, ihre Gefährtinnen in glitzernden Röckchen und seidenen Dessous – sie schminken sich mit gespitztem Mund an einem Garderobentisch mit Glühbirnen und bieten für 40 Dollar einen Blow-Job an.
Alsbald betritt Jimmy zu bedrohlichen Tönen die Bühne. Die Frauen tanzen lasziv und schunkeln mit Dollarscheinen in ihren Dekolletes. Der Proletarierchor trägt Schiebermützen, rote Basecaps à la Andy Bausch, die Männer speckige Lederjacken. Im Einkaufswagen schieben sie Dosenbier vor sich her. Eine ehrliche (Anti-)Utopie einer Welt voller Popanze und Aufschneider.
Jimmy hält ein Verkehrsschild in die Kamera, das die Geschwindigkeitsbegrenzung aufhebt. Auf der Leinwand erscheint er auf
einer Erfolgswelle reitend zigfach dupliziert wie die Pop-Art-Kunstwerke Andy Warhols. Eine eindrucksvolle Kameraverfremdung.
Doch schon bald liest man: „Eine Stadt wird gegründet und die ersten Haifische siedeln sich an …“, und die Zuschauer werden gewarnt: „Alle wahrhaft Suchenden werden enttäuscht!“
Die grasgrüne Bühne lockt schrill, Jimmy ist im Rausch verloren und will bald kein „Mensch“mehr sein. Er versinkt in kontemplativer Betrachtung einer Schneekugel mit einem Bären in Mitten eines Haufens verlotterter Gestalten. Später wird er mit der Pistole in die Luft ballern und sich mit gezücktem Messer der Menge entgegenstellen.
In dem biblischen Tohuwabohu auf der Bühne künden riesige antiquierte Ventilatoren den heranziehenden Wirbelsturm an. Die sich anbahnende Katastrophe sorgt in Mahagonny für Furcht und Schrecken. Doch auf wundersame Weise wird die Stadt verschont.
Modernistische Lampen sausen von der Decke, erstrahlen grell und läuten das große Fressen ein. Auf der Leinwand entkleidet sich eine Schönheit aus den 1920er Jahren lasziv unter dem Beifall einer johlenden Männermasse, und man sieht sie gefilmt beim Sex mit unterschiedlichen Männern.
In der Mitte der Tafel lockt ein gegrilltes Spanferkel; Jack überfrisst sich und kippt um. „Jack ist tot!“raunt die Menge. Noch einmal wird Jim den Männern in Mahagonny eine Runde ausgeben, obwohl er kein Geld mehr hat; sein Schicksal ist damit besiegelt.
„Das Schönste auf Erden ist die Liebe und an den Morgen denkt man nicht“, trällert Jenny, da ist schon klar, dass es kein morgen mehr geben wird. Es kommt dem Tod gleich, sich den Vergnügungen hinzugeben. Die Menschen leben bereits in der Hölle.
Als Jimmy wegen Zechprellerei am Pranger steht, wird er, bevor die Meute über ihn herfällt, noch erkennen: „Die Freiheit für Geld war keine Freiheit.“Der Auszug an einen anderen Ort erscheint als Alternative und markiert die ewige Suche nach einem Gelobten Land. Auf der Leinwand ziehen Kraniche, die in Zeitlupe ihre Flügel bewegen, herauf. Bewusst eingesetzter Kitsch! Die Bühne des Grand Théâtre lodert, Mahagonny steht in Flammen und Jimmy wird in ein Leichentuch eingewickelt davongetragen.
Am Ende steht die Feindschaft aller gegen alle, Teuerung und Inflation. Der Chor erklärt feierlich: „Wir brauchen keinen Hurrikan, keinen Taifun – denn das können wir selber tun.“In großen Lettern prangt die Warnung: „Für den Fortbestand des goldenen Zeitalters – gegen die Menschheit.
Man müsse Mahagonny nicht auf die Kapitalismuskritik reduzieren, so Dramaturg Koen Tachelet. Brecht und Weill waren gleichermaßen fasziniert von der Macht des Geldes wie von der geballten Energie, eine Gesellschaft zu gründen, die auf Glückseligkeit und Egoismus fußt.
Der rauschenden Inszenierung von Ivo van Hove gelingt genau dieser Spagat. Die opulenten Bilder der Figuren, die sich dem Konsum-Rausch und den Freuden hingeben, ziehen die Zuschauer in ihren Bann. Die Videoprojektionen spiegeln die Realität von Social Media wider: eine Welt, in der jeder sich ständig abfilmt. Zugleich lässt die aufgeräumte Bühne Weills Musik ausreichend Raum, die Menge mitzureißen.