Ein ungelöster Fall im Visier der Kirche
40 Jahre nach dem Verschwinden von Emanuela Orlandi, der Tochter eines Vatikan-Angestellten, öffnet die Justiz die Akte erneut
Der „Fall Orlandi“zählt zu einem der größten Mysterien in der Ewigen Stadt – und ist nun um ein weiteres Rätsel reicher. Warum, fragt man sich in Rom, hat der vatikanische Staatsanwalt Alessandro Diddi plötzlich Ermittlungen zum Verschwinden der Tochter eines Hofdieners von Papst Johannes Paul II. aufgenommen, nachdem sich der Vatikan in dieser Angelegenheit in den vergangenen 40 Jahren – zurückhaltend formuliert – wenig kooperativ gezeigt hatte? Und warum gerade jetzt?
Die vatikanische Justiz hat bisher in dieser brisanten Sache nämlich noch nie offiziell ermittelt – im Unterschied zur Römer Staatsanwaltschaft, die das Verfahren im Jahr 2015 ergebnislos eingestellt hat.
Der Aktivismus der vatikanischen Justiz hat auch den Bruder der Verschwundenen, Pietro Orlandi überrascht, der von den neuen Ermittlungen aus den Medien erfahren hat. „Ich hoffe, dass ich als Zeuge angehört werde“, sagte Pietro Orlandi gestern etwas skeptisch. „Ich bin überzeugt, dass es im Vatikan viele Leute gibt, auch in hohen Positionen, die wissen, was damals passiert ist.“
Vatikan-Staatsanwalt Diddi will nun zusammen mit der vatikanischen Gendarmerie jeden Stein umdrehen, neue Spuren suchen, alte und neue Zeugen – auch Kardinäle – befragen und italienische Ermittlungsakten sichten.
Vorwürfe an verstorbenen Papst
Auch der verstorbene Papst Benedikt XVI. und sein Privatsekretär Georg Gänswein seien involviert, unterstellt Pietro Orlandi: Sie hätten von einer internen Akte zum Verschwinden Emanuelas Kenntnis gehabt. Gänswein bestreitet dies: Es existiere kein solches „Phantom-Dossier“, schreibt er in seinem Buch „Nichts als die Wahrheit“, das in dieser Woche erscheint.
Ich bin überzeugt, dass es im Vatikan viele Leute gibt, auch in hohen Positionen, die wissen, was damals passiert ist. Pietro Orlandi, Bruder der Vermissten