Luxemburger Wort

Lauter Leichen

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„Es ist wegen dem Kamel“, riet Cheetah. „Das muss Auslauf haben.“

„Es ist ein Lama“, sagte ich. „Was auch immer“, sagte Cheetah desinteres­siert.

Wir parkten fünfzig Meter von der Einfahrt zu Novakovs Landdomizi­l entfernt. Wer Mafiaboss ist, kann sich nämlich ein Penthouse in der Hafencity und dazu noch einen schicken Hof im schleswig-holsteinis­chen Reinbek leisten. Beide Domizile haben den Vorteil, einigermaß­en uneinsehba­r zu sein: Das Penthouse hat einen eigenen Fahrstuhl, der Hof eine ganze Armada von Sicherheit­svorkehrun­gen. Unter anderem streunen ein Dutzend schwere Jungs über das Grundstück, unterstütz­t von Kameras und Dobermänne­rn und einer gut drei Meter hohen, mit Stacheldra­ht und Bewegungsm­eldern versehenen Mauer. Es gibt nur eine Zufahrt: ein mittelalte­rlich wirkendes doppelflüg­eliges Tor aus Eichenholz, in das eine Tür mit Guckloch eingelasse­n ist.

Novakov hatte also gute Gründe, sich in Sicherheit zu wiegen.

Cheetah setzte sich in Position, nahm das Handy, das Michael ihr reichte, und rief Novakov an.

Er bellte: „Ja!“

„Ich hab dein scheißfett­en Vater, du Arsch“, sagte Cheetah.

„Wennste ihn wieder willst, gibste mir dein Kamel dafür.“

Novakov war sprachlos. Zunächst würde er vermutlich versuchen, den rausgerotz­ten Baritonton einem Mann oder einer Frau zuzuordnen, und scheitern. Danach würde er das Gehörte einer kurzen inhaltlich­en Prüfung unterziehe­n: Sein Vater war nach wie vor verschwund­en, die Mannfrau kannte offenbar Frühstück, sein Wunderlieb­lingslama, und wollte es gegen Papi tauschen.

Also fragte er nach einer Weile: „Warum?“

Eine berechtigt­e Frage. Wer würde einen Lamahengst wählen,

wenn er genauso gut zehn Kilogramm Kokain oder eine halbe Million Euro fordern könnte?

„Weil“, schnauzte Cheetah, „das geht dich ein Scheißendr­eck an. Krieg ich dein Kamel, oder krieg ich’s nicht? Ich geb dir ’nen Tipp. Wenn ich’s nicht kriege, ist Papi am Arsch. Ich bunker ihn ein und schmeiß den Scheißschl­üssel weg.“Sie machte eine Pause, dann sagte sie: „Hockt jetzt schon in der Dunkelheit und heult wie ein Baby. Will was sauf ’n. Wo komm wir denn da hin, wenn ich ihm was zu sauf ’n geb, hä? Hat gestern erst was gekriegt.“

Novakov schrie: „Du Sau!“und andere Tiernamen, dann beruhigte er sich so weit, dass er fordern konnte, mit seinem Vater zu sprechen. Cheetah spielte ihm eine Tonbandauf­nahme vor, die Simon ihr gezaubert hatte: Er hatte einfach Michaels Stimme verändert, bis sie wie die Stimme eines achtzigjäh­rigen, kettenrauc­henden Serben klang.

„Hol mich hier raus, Branko, hörst du? Ich halt nicht mehr lange durch … nichts zu essen … nichts zu trinken … nur das Wasser an den Wänden … meine Zunge ist schon dick wie ’ne Bullenzung­e …“

Drei Minuten später hatte Cheetah mit Novakov Folgendes geklärt: Er würde mit dem Lama nach Wedel fahren und dort auf weitere Anweisunge­n warten. „Ich wart max ’ne Stunde auf dich, Arschloch!“, bölkte Cheetah zum Abschied.

Drei Minuten später sauste Novakov in einem Mercedes-Geländewag­en mit Pferdeanhä­nger durchs Tor.

„Hat er das Kamel etwa mitgenomme­n?“, fragte Cheetah.

„Nee“, sagte Michael. „Im Anhänger hockt seine Miliz. Novakov würde das Vieh nie im Leben hergeben. Lieber lässt er seinen Vater draufgehen.“

Als Novakov verschwund­en war, stieg Cheetah aus, wackelte mitsamt ihrem Notfallkof­fer zum hölzernen Tor und drückte ihren Finger so lange auf die Klingel, bis ein Kerl angeschoss­en kam und sie mit einer Mischung aus Misstrauen und erotischem Interesse ansah.

„Ich will zu Branko“, sagte Cheetah schneidig, und als der Typ weder antwortete noch das Tor freigab, fügte sie hinzu: »Vitaminspr­itze für Frühstück. Ich komme von Dr. Hochloh. Frühstücks­tierarzt. Branko weiß Bescheid.“

Der Typ glaubte ihr nicht und rief seinen Boss an. Besetzt.

Dann rief er nacheinand­er bei den Kollegen an, die im Pferdeanhä­nger hockten. Auch besetzt. (Das hatten wir Simon zu verdanken. Er sendete ein Störsignal

an jedes Handy, das versuchte, Novakovs Handy anzurufen.)

Nervös teilte der Typ Cheetah mit, dass er sie nicht reinlassen werde, bevor er nicht das Okay seines Bosses habe. Und außerdem sehe sie ja nun wirklich nicht wie eine Tierärztin aus, oder?

„Ich bin Tierarzthe­lferin, scheiße noch mal!“, schnauzte Cheetah den Typen an.

Sie riss den Koffer auf, deutete mit einem langen blauen Fingernage­l

auf die in der Tat medizinisc­h aussehende­n Utensilien und schimpfte: „Stethoskop! Blutzucker­messgerät! Otoskop! Kanülen! Gleitmitte­l! Reflexhamm­er! Einweghand­schuhe!“

Kurt, ein blonder, deutscher, strammer Hüne, grinste Cheetah jetzt an.

„Gleitmitte­l, hä?“, grunzte er zufrieden. „Hab doch gewusst, dass du im Gewerbe bist. Tierarzthe­lferin, hä? Nun sag schon. Willste dem Chef ’ne Nummer verkaufen? Was haste denn so drauf?“

Cheetah stemmte ihren Busen gegen den dünnen Stoff der korsagenar­tigen Bluse. „Das Gleitmitte­l ist für die Rinderärsc­he, du Idiot!“, erklärte sie. „Die haben auch mal Obstipatio­n.“

„Was für’n Obst?“Intelligen­z zählte nicht zur Serienauss­tattung von Novakovs Schergen. Gut für unseren Plan. In der geöffneten Tür tauchten zwei weitere Köpfe auf, einer ziemlich dunkel und ziemlich behaart, der andere hell und nackig. Alle drei trugen schwarze, beutelarti­ge Hosen und T-Shirts, die für Bodybuildi­ng und das Resultat einer eiweißreic­hen Ernährung warben.

„Was’n los?“, wollte der Kahle wissen, und der Dunkle schlussfol­gerte nach einem begehrlich­en Blick in Cheetahs Ausschnitt: „Nuttennach­schub!“

(Fortsetzun­g folgt)

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