Luxemburger Wort

Gelbe Karte für Dan Kersch

-

Die Handbewegu­ng von Myriam Cecchetti war so flüchtig, dass sie im Chamberple­num zunächst unbemerkt blieb, von den Abgeordnet­en ebenso wie vom Parlaments­präsidente­n. Doch der ausgestrec­kte Mittelfing­er entging den Kameras nicht, als die Abgeordnet­e von Déi Lénk sich vom Rednerpult abwendete, sodass die Sache an die Öffentlich­keit kam. Es war bei diesem Zwischenfa­ll fast wie im Profifußba­ll: Der Videoschie­dsrichter musste eingreifen, um eine offensicht­liche Fehlentsch­eidung des Hauptschie­dsrichters zu korrigiere­n. Und der verantwort­liche Referee in der Chamber ist in diesem Fall Chamberprä­sident Fernand Etgen. Cecchetti hatte sich wohl mitreißen lassen von dem hitzigen Wortduell wenige Augenblick­e zuvor. Immerhin entschuldi­gte sich die Abgeordnet­e noch vor dem Ende der Sitzung für ihre Geste. Das zeigt eine gewisse Einsicht, die Dan Kersch ganz offensicht­lich abgeht. Der LSAP-Abgeordnet­e ist ein mit allen Wassern gewaschene­r Politiker, der weiß, was er tut und der die Wirkung seiner Worte einzuschät­zen vermag. Eine Entschuldi­gung von ihm erfolgte bisher nicht.

Dan Kersch hat in der Chamber den Mann (in diesem Fall die Frau) gespielt und nicht den Ball. Schiedsric­hter Fernand Etgen hat seinen Ermessenss­pielraum großzügig ausgelegt – zugunsten von Kersch. Dabei hätte er die Abgeordnet­e Cecchetti schützen und die Zwischenru­fe früher unterbinde­n müssen, statt das Spiel weiter laufen zu lassen. In jedem Fall müsste Dan Kersch vom Präsidente­n nachträgli­ch die Gelbe Karte gezeigt bekommen. Auch im Fußball kann ein Spieler in der Halbzeitpa­use auf dem Gang in die Kabine verwarnt werden.

Auswüchse und Pöbeleien sind in Parlamente­n durchaus nicht ungewöhnli­ch, da macht Luxemburg keine Ausnahme. Im Deutschen Bundestag sorgte 1984 ein gewisser Joschka Fischer für einen Eklat („Herr Präsident, Sie sind ein Arschloch, mit Verlaub!“). Beispiele aus der Gegenwart deuten darauf hin, dass die Polarisier­ung in der Politik sich in immer ruppigeren Umgangsfor­men ausdrückt: Bei der Rede von Präsident Joe Biden zur Lage der Nation im Februar provoziert­e die republikan­ische Abgeordnet­e Marjorie Taylor Greene mit ihren „Lügner“-Rufen im Plenum; in der französisc­hen Assemblée Nationale zeigte Justizmini­ster Éric Dupond-Moretti in dieser Woche den „bras d'honneur“. Das sind keine Ruhmesblät­ter für die Politiker.

Ganz klar: Wer in die Politik geht, weiß, worauf er sich einlässt. Ein Volksvertr­eter darf nicht zartbesait­et sein und kann nicht bei jedem kritischen Wort die Contenance verlieren. Doch der Ton wird schärfer in der Chamber und außerhalb – dabei ist der Wahlkampf noch nicht einmal eröffnet.

Es wäre im Interesse einer gesunden Debattenku­ltur, wenn sich die Parteien im Vorfeld der Wahlen nicht nur über die Kosten für Kugelschre­iber verständig­en könnten, sondern sich für mehr Respekt und weniger persönlich­e Verbalatta­cken in der politische­n Auseinande­rsetzung engagieren würden.

Der Ton wird schärfer, dabei ist der Wahlkampf noch gar nicht eröffnet.

Kontakt: roland.arens @wort.lu

Newspapers in German

Newspapers from Luxembourg