Gemeindewahlkampf mit Blick über den Tellerrand hinaus
Der Autor plädiert dafür, dass die Parteien im kommunalen Wahlkampf die Themen Nachhaltigkeit und Menschenrechte nicht vergessen
Wie weit reicht der Verantwortungsbereich eines lokalen Politikers? Lokal, regional, national oder sogar global? Denn sollte sein Verantwortungsbereich an den Grenzen der Gemeinde aufhören, ist ein Blick über den eigenen Tellerrand nicht nötig. Die Realität sieht jedoch anders aus, denn das Wirkungsfeld einer Gemeinde erstreckt sich über diese geografischen Grenzen hinaus.
Deshalb stellen sich im Hinblick auf die kommenden Gemeindewahlen eine Reihe von Herausforderungen, die in der Vergangenheit von manchen gerne übersehen wurden. Es stellt sich insbesondere die Frage nach dem positiven – oder negativen – Fußabdruck, den unsere Gemeinden in Sachen Nachhaltigkeit und Menschenrechte nicht nur lokal, sondern auch regional und sogar weltweit hinterlassen.
Der Fußabdruck der Gemeinden kann erdrückend sein
Mit dem Erwerb von Rohstoffen, Fertigwaren und Dienstleistungen überschreitet die Gemeinde nämlich zwingend ihre eigenen Grenzen und hinterlässt bei Produzenten und Dienstleister sowohl einen lokalen als auch einen weltweiten Fußabdruck. Dieser Fußabdruck kann in Sachen Nachhaltigkeit und Achtung der Menschenrechte durchaus einen positiven Impakt haben, jedoch ist das Gegenteil auch möglich. Die Corona-Pandemie hat verdeutlicht, wie wichtig eine bewusste Entscheidung für lokale Strukturen in der Produktion und im Handel ist. Nichtsdestotrotz gilt es zu berücksichtigen, dass sogar bei etlichen Produkten „Made in Luxembourg“(Teile der) Rohstoffe weder lokal noch regional an- beziehungsweise abgebaut werden. Bekanntlich wächst weder Baumwolle noch Kaffee oder Kakao auf einheimischen Feldern und auch viele Ziersteine, die auf öffentlichen Plätzen verlegt oder Mineralien, die im Handy verarbeitet werden, stammen nicht aus einheimischem Abbau.
Hier kommt die Maxime „Global denken – kommunal fair handeln“für den verantwortungsbewussten Gemeindepolitiker (und die, die es werden wollen) ins Spiel. Die nationale Gesetzgebung hinsichtlich öffentlicher Ausschreibungen bringt zudem die notwendige Rechtssicherheit, wenn Gemeindeverantwortliche, Produkte und Dienstleistungen „einkaufen“möchten, die sowohl Nachhaltigkeit als auch die Achtung der Menschenrechte in den Lieferketten konkretisieren.
Nach welchen Kriterien werden Arbeitskleider eingekauft, die vom Gemeindepersonal getragen werden? Welche Arbeitsbedingungen „verstecken“sich hinter den Produkten, die auf öffentlichen Empfängen der Gemeinde angeboten werden, wie etwa Kaffee, Orangensaft, Kakao, usw.? Welche Produkte füllen die obligate „Niklostut“, die im Dezember verteilt wird? Wie wurden Steine abgebaut, die auf öffentlichen Plätzen in unserer Gemeinde verlegt werden? Unter welchen Bedingungen wurde in den Minen gearbeitet, die in den Gemeindehandys des Personals verarbeitet wurden?
All dies sind keine „unschuldigen“Fragen angesichts der erstmals seit der COVID-19-Pandemie weltweit wieder steigenden Kinderarbeitszahlen und der millionenfachen Zwangs- und Sklavenarbeit von Frauen und Männern in unseren Lieferketten.
Der Rückgriff auf zertifizierte Produkte, wie beispielsweise dem Fairtrade-Label, bringt hier konkrete Handlungsmöglichkeiten. Rund 80 Prozent der Bevölkerung hierzulande erwartet laut einer TNSIlres-Umfrage im Auftrag der NGO Fairtrade Lëtzebuerg, dass bei staatlichen Einkäufen hierauf geachtet wird. Damit es nicht nur beim globalen (Über-)Denken bleibt, besitzen die Gemeinden hierzulande und in vielen europäischen Ländern ein bemerkenswertes Instrument: die Zertifizierung als Fairtrade-Gemeinde.
Rund ein Drittel der Gemeinden hat dies hierzulande bereits erkannt – von den größten Städten bis hin zur kleinsten Gemeinde. Diese erfüllen die Standards einer Fairtrade-Gemeinde und setzen somit ein klares kommunales Zeichen für Nachhaltigkeit und Achtung der Menschenrechte in unseren Lieferketten. Dabei betrifft diese Vorbildfunktion nicht nur den Erwerb von fair gehandelten Produkten, die Kriterien im Bereich Wirtschaft, Soziales und Ökologie erfüllen. Die Sensibilisierung der lokalen Bevölkerung durch die Fairtrade-Gemeinden führt den Gemeindeeinwohnern außerdem mit den kürzlich eingeweihten „Fairtrade Walls“im öffentlichen Raum eindrücklich die Gesichter der Produzenten aus Afrika, Asien und Lateinamerika vor Augen. Dies ist eine wichtige Visualisierung, die gegen die Anonymität und die Unsichtbarkeit der Produzenten auf dem Weltmarkt wirkt und den Menschen, die für uns produzieren, ein konkretes Gesicht hier vor Ort gibt.
So geht der Blick über den eigenen Tellerrand hinaus. Ein Gebot der Stunde für verantwortungsbewusste Gemeindepolitiker – und solche, die es werden möchten.
* Der Autor ist Präsident von Fairtrade Lëtzebuerg.