Luxemburger Wort

Gemeindewa­hlkampf mit Blick über den Tellerrand hinaus

Der Autor plädiert dafür, dass die Parteien im kommunalen Wahlkampf die Themen Nachhaltig­keit und Menschenre­chte nicht vergessen

- Von Jean-Louis Zeien *

Wie weit reicht der Verantwort­ungsbereic­h eines lokalen Politikers? Lokal, regional, national oder sogar global? Denn sollte sein Verantwort­ungsbereic­h an den Grenzen der Gemeinde aufhören, ist ein Blick über den eigenen Tellerrand nicht nötig. Die Realität sieht jedoch anders aus, denn das Wirkungsfe­ld einer Gemeinde erstreckt sich über diese geografisc­hen Grenzen hinaus.

Deshalb stellen sich im Hinblick auf die kommenden Gemeindewa­hlen eine Reihe von Herausford­erungen, die in der Vergangenh­eit von manchen gerne übersehen wurden. Es stellt sich insbesonde­re die Frage nach dem positiven – oder negativen – Fußabdruck, den unsere Gemeinden in Sachen Nachhaltig­keit und Menschenre­chte nicht nur lokal, sondern auch regional und sogar weltweit hinterlass­en.

Der Fußabdruck der Gemeinden kann erdrückend sein

Mit dem Erwerb von Rohstoffen, Fertigware­n und Dienstleis­tungen überschrei­tet die Gemeinde nämlich zwingend ihre eigenen Grenzen und hinterläss­t bei Produzente­n und Dienstleis­ter sowohl einen lokalen als auch einen weltweiten Fußabdruck. Dieser Fußabdruck kann in Sachen Nachhaltig­keit und Achtung der Menschenre­chte durchaus einen positiven Impakt haben, jedoch ist das Gegenteil auch möglich. Die Corona-Pandemie hat verdeutlic­ht, wie wichtig eine bewusste Entscheidu­ng für lokale Strukturen in der Produktion und im Handel ist. Nichtsdest­otrotz gilt es zu berücksich­tigen, dass sogar bei etlichen Produkten „Made in Luxembourg“(Teile der) Rohstoffe weder lokal noch regional an- beziehungs­weise abgebaut werden. Bekanntlic­h wächst weder Baumwolle noch Kaffee oder Kakao auf einheimisc­hen Feldern und auch viele Ziersteine, die auf öffentlich­en Plätzen verlegt oder Mineralien, die im Handy verarbeite­t werden, stammen nicht aus einheimisc­hem Abbau.

Hier kommt die Maxime „Global denken – kommunal fair handeln“für den verantwort­ungsbewuss­ten Gemeindepo­litiker (und die, die es werden wollen) ins Spiel. Die nationale Gesetzgebu­ng hinsichtli­ch öffentlich­er Ausschreib­ungen bringt zudem die notwendige Rechtssich­erheit, wenn Gemeindeve­rantwortli­che, Produkte und Dienstleis­tungen „einkaufen“möchten, die sowohl Nachhaltig­keit als auch die Achtung der Menschenre­chte in den Lieferkett­en konkretisi­eren.

Nach welchen Kriterien werden Arbeitskle­ider eingekauft, die vom Gemeindepe­rsonal getragen werden? Welche Arbeitsbed­ingungen „verstecken“sich hinter den Produkten, die auf öffentlich­en Empfängen der Gemeinde angeboten werden, wie etwa Kaffee, Orangensaf­t, Kakao, usw.? Welche Produkte füllen die obligate „Niklostut“, die im Dezember verteilt wird? Wie wurden Steine abgebaut, die auf öffentlich­en Plätzen in unserer Gemeinde verlegt werden? Unter welchen Bedingunge­n wurde in den Minen gearbeitet, die in den Gemeindeha­ndys des Personals verarbeite­t wurden?

All dies sind keine „unschuldig­en“Fragen angesichts der erstmals seit der COVID-19-Pandemie weltweit wieder steigenden Kinderarbe­itszahlen und der millionenf­achen Zwangs- und Sklavenarb­eit von Frauen und Männern in unseren Lieferkett­en.

Der Rückgriff auf zertifizie­rte Produkte, wie beispielsw­eise dem Fairtrade-Label, bringt hier konkrete Handlungsm­öglichkeit­en. Rund 80 Prozent der Bevölkerun­g hierzuland­e erwartet laut einer TNSIlres-Umfrage im Auftrag der NGO Fairtrade Lëtzebuerg, dass bei staatliche­n Einkäufen hierauf geachtet wird. Damit es nicht nur beim globalen (Über-)Denken bleibt, besitzen die Gemeinden hierzuland­e und in vielen europäisch­en Ländern ein bemerkensw­ertes Instrument: die Zertifizie­rung als Fairtrade-Gemeinde.

Rund ein Drittel der Gemeinden hat dies hierzuland­e bereits erkannt – von den größten Städten bis hin zur kleinsten Gemeinde. Diese erfüllen die Standards einer Fairtrade-Gemeinde und setzen somit ein klares kommunales Zeichen für Nachhaltig­keit und Achtung der Menschenre­chte in unseren Lieferkett­en. Dabei betrifft diese Vorbildfun­ktion nicht nur den Erwerb von fair gehandelte­n Produkten, die Kriterien im Bereich Wirtschaft, Soziales und Ökologie erfüllen. Die Sensibilis­ierung der lokalen Bevölkerun­g durch die Fairtrade-Gemeinden führt den Gemeindeei­nwohnern außerdem mit den kürzlich eingeweiht­en „Fairtrade Walls“im öffentlich­en Raum eindrückli­ch die Gesichter der Produzente­n aus Afrika, Asien und Lateinamer­ika vor Augen. Dies ist eine wichtige Visualisie­rung, die gegen die Anonymität und die Unsichtbar­keit der Produzente­n auf dem Weltmarkt wirkt und den Menschen, die für uns produziere­n, ein konkretes Gesicht hier vor Ort gibt.

So geht der Blick über den eigenen Tellerrand hinaus. Ein Gebot der Stunde für verantwort­ungsbewuss­te Gemeindepo­litiker – und solche, die es werden möchten.

* Der Autor ist Präsident von Fairtrade Lëtzebuerg.

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Foto: Shuttersto­ck Mit dem Erwerb von Rohstoffen, Fertigware­n und Dienstleis­tungen hinterlass­e eine Gemeinde bei Produzente­n und Dienstleis­tern sowohl einen lokalen als auch einen weltweiten Fußabdruck, betont Jean-Louis Zeien.

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