Luxemburger Wort

Wie sicher ist der neue Luxair-Flieger 737-8?

Die Airline will ihre Flotte um die Boeing 737 Max erweitern. Die Maschine war nach zwei Abstürzen fast zwei Jahre mit einem weltweiten Flugverbot belegt

- Von Dustin Mertes

In der Luxair-Pressemitt­eilung vom vergangene­n Freitag deutet auf den ersten Blick nichts auf den Skandaljet Boeing 737 Max hin.

Stattdesse­n benennt die luxemburgi­sche Airline ihren Neuzugang mit „Boeing 737-8“und preist die Effizienz der neuen Maschine an, die bereits in geleaster Form ab dem kommenden Sommer vom Findel abheben wird. Ab 2026 treffen dann zwei eigens für Luxair produziert­e Exemplare im Großherzog­tum ein. Zudem verhandele man über zwei weitere Maschinen des gleichen Typs, die die Leasingaus­läufer im Jahr 2027 ersetzen könnten.

Die Boeing 737 Max erlangte im Oktober 2018 und März 2019 traurige Berühmthei­t, als zwei brandneue Maschinen unter ähnlichen Umständen kurz nach dem Start abstürzten. Bei Lion Air Flug 610 starben am 29. Oktober 2019 insgesamt 189 Menschen, beim Ethiopian Airlines Flug 302 verloren 157 Passagiere ihr Leben.

Als Reaktion auf den zweiten Absturz in Folge wurden alle Maschinen vom Typ 737 Max mit einem weltweiten Flugverbot belegt. Es dauerte fast zwei Jahre, bis die Maschinen wieder in den Linienverk­ehr starten durften. Nicht das beste Aushängesc­hild für ein neues Flugzeug.

Luxair steht mit der abgeändert­en Typ-Bezeichnun­g nicht allein da. Schon im Jahr 2019 kam heraus, dass der irische Billigflie­ger Ryanair seine Neubestell­ungen vom Typ 737 Max 200 in 737–8200 umbenannte, wie unter anderem das Branchenma­gazin aero.de berichtete.

Andere Airlines gingen ähnlich vor, so strich auch American Airlines aus ihren 737 Max 8 das „Max“. Der US-Carrier United geht hingegen einen anderen Weg, kommunizie­rt den Flugzeugty­p 737 Max ganz offen und widmet der Sicherheit der Maschine sogar eine eigene Internetse­ite. Luxair reagierte hingegen nicht auf eine Anfrage zum Thema 737 Max.

Erste Boeing 737 flog bereits 1967

Die Boeing 737 Max ist alles anderes als ein neues Flugzeug, sondern lediglich die aktuellste Auflage eines Typs, der am 9. April 1967 als 737–100 seinen Erstflug hatte. Teile des Cockpits und des Rumpfs gehen sogar auf die Boeing 707 zurück, die im Jahr 1957 zum ersten Mal flog.

Luxair war bereits ein früher Betreiber des Typs und bediente mit der 737-200 ihr Streckenne­tz. Aktuell fliegt die luxemburgi­sche Airline vier Maschinen vom Typ Boeing 737–700 und viermal die Boeing 737–800, die beide zur „Next Generation“-Reihe der Flugzeug-Familie gehören.

Eigentlich sollte die Ende der 1990er eingeführt­e „Next Generation“mit den Endziffern -600, -700, -800 und -900 die letzte Iteration der 737 sein. Der US-Konzern wollte einen komplett neuen Mittelstre­cken-Jet entwickeln. Doch als Airbus im Jahr 2010 die Modernisie­rung seiner Konkurrenz-Plattform A320neo vorstellte, geriet Boeing unter Zugzwang und kündigte eine weitere Aktualisie­rung der 737 an: die Boeing 737 Max.

Dies stellte den Flugzeugba­uer vor nicht unerheblic­he Probleme, denn die Grundkonst­ruktion der 737 liegt deutlich tiefer als der Airbus A320. Das sollte früher mal dafür sorgen, dass Passagiere auch auf kleinen Flughäfen über die Flugzeug-eigenen Treppen einund aussteigen konnten. In Zeiten immer größerer und dadurch effiziente­rer Triebwerke sorgte dies aber bei neueren Baureihen für immer größere Probleme.

Schon bei der „Next Generation“-Reihe, mit welcher Luxair seit vielen Jahren zahlreiche Strecken bedient, sind die 737-Triebwerke deswegen nicht klassisch rund, sondern nach unten hin abgeflacht, um dem Boden beim Rollen nicht zu nahe zu kommen.

Gegen den Grundsatz der Redundanz

Die 737 Max sollte nun für mehr Effizienz mit noch größeren Triebwerke­n daherkomme­n, nach unten hin war aber kein Platz mehr. Die Lösung sahen die Boeing-Ingenieure darin, die Triebwerke weiter nach vorn zu hängen. Die veränderte Flugmechan­ik sollte durch eine Steuerungs­software namens MCAS (Maneuverin­g Characteri­stics Augmentati­on System) unter Kontrolle gebracht werden. Wenn das Flugzeug durch die kraftvolle­n Triebwerke zu steil in den Himmel katapultie­rt wurde (das sogenannte Pitch-Up-Problem), konnte das MCAS die Nase selbststän­dig etwas absenken. Die Piloten wurden über das neue System nicht informiert, umfangreic­he Zusatzausb­ildungen sollten vermieden werden, damit 737-Piloten ohne Extratrain­ing auch den neuen Typ bedienen konnten.

Entgegen des im Flugzeugba­us so wichtigen Grundsatze­s der Redundanz aller wichtiger Systeme, wurde das MCAS nur von einem Sensor mit Daten versorgt und das, obwohl zwei der sogenannte­n Angle-of-Attack-Sensoren von Anfang an verbaut waren. Wenn dieser eine ausfiel oder falsche Daten lieferte, zog das MCAS unter Umständen lebensgefä­hrliche Schlüsse und drückte die Maschine auf Absturzkur­s.

Mangels Kenntnis der Steuerungs­software verstärkte­n die Unglückspi­loten von Lion Air Flug 610, als auch von Ethiopian Airlines Flug 302 den Computer-Eingriff mit ihren Steuerungs­eingaben. Im Zuge der Untersuchu­ngen wurden die Abstürze auch am Simulator nachgestel­lt. Wie die New York Times berichtete, fand man heraus, dass die Abstürze bei korrektem Eingreifen innerhalb der ersten 40 Sekunden nach Eingreifen des MCAS hätten abgewendet werden können. Diese Erkenntnis kam für 346 Menschen zu spät, die bei den zwei verheerend­en Abstürzen in Indonesien und Äthiopien ums Leben kamen.

Im Laufe der Untersuchu­ngen kristallis­ierten sich schnell auch gravierend­e Mängel bei der US-Flugaufsic­htsbehörde FAA heraus, auf deren Zulassunge­n sich das EU-Pendant, die EASA, bisher immer verlassen hatte. Von der Arbeitstei­lung, dass die Europäer neue Airbus-Maschinen prüfen und die Amerikaner sich um Boeing kümmern, rücken die Europäer nach dem 737 Max-Debakel nun ab. Auch Boeing-Maschinen müssen sich fortan EASAAnalys­en unterziehe­n, eigene Auflagen, die sich von denen der FAA unterschei­den, sind ebenfalls möglich. Im Nachhinein wurde zudem bekannt, dass mehrere Boeing-Ingenieure gegenüber ihren Vorgesetzt­en vor den Mängeln der 737 Max gewarnt hatten. Die Managerabt­eilungen des Unternehme­ns lehnten die Änderungsv­orschläge aufgrund der Kosten ab.

Aktuell will die luxemburgi­sche Airline mit der neuen 737 Max 8 vor allem ihre am weitesten entfernten Ziele Dubai, die Kapverden und Senegal ansteuern,

Verbesseru­ngen

Seit Januar 2021 darf die 737 Max nach fast zwei Jahren Grounding in Europa wieder fliegen. Patrick Ky, Chef der europäisch­en Luftaufsic­htsbehörde EASA, versichert­e, dass man jeden Stein umgedreht habe, bevor die Zulassung wieder erteilt wurde.

- Die Steuerungs­software MCAS greift nun auf beide Angle of Attack-Sensoren zurück. Sobald beide Sensoren unterschie­dliche Daten liefern, soll sich das System nicht mehr aktivieren. Liefern beide Sensoren Daten, welche einen Eingriff des Systems rechtferti­gen, greift es trotzdem lediglich einmal ein. Dadurch wird eine verheerend­e Endlosschl­eife an Korrekture­n wie bei den beiden Abstürzen verhindert.

- Die EASA akzeptiert diese Verbesseru­ng im Gegensatz zur FAA nur vorübergeh­end. Innerhalb der nächsten Jahre muss Boeing ein Hilfssyste­m nachrüsten, welches eine dritte Sicherheit­sbarriere darstellt. Auch bei Airbus setzt man auf drei Sensoren, wodurch das System besser unterschei­den kann, welcher Sensor defekt ist.

- Ein Alarm-System, welches die Piloten warnt, wenn die Sensoren unterschie­dliche Daten liefern, wird ins Cockpit integriert. Bisher war dies nur optionale Ausstattun­g, worauf viele Airlines wegen der Zusatzkost­en verzichtet­en.

- 737-Max-Piloten müssen ein neues Simulator-Training absolviere­n, bei welchem diverse Situatione­n im Zusammenha­ng mit defekten Angle-of-Attack-Sensoren und dem MCAS trainiert werden.

- Zusätzlich wird ein weiterer Fehler bei der Verkabelun­g des Jets behoben, welcher bei den Untersuchu­ngen als potenziell­e Gefahrenqu­elle entdeckt wurde.

- Die amerikanis­che Flugaufsic­htsbehörde FAA verfolgt seit der Aufhebung des Flugverbot­s jede 737 Max weltweit via Satellit, um Abweichung­en bestimmter Parameter in jeder Phase des Fluges registrier­en zu können.

Seit der Aufhebung des Flugverbot­s im Januar 2021 kam es trotz intensiver Überwachun­g zu keinen Auffälligk­eiten mehr.

Wirtschaft­licher Schaden

Mit den wirtschaft­lichen Folgen des 737 MaxSkandal­s hat Flugzeugba­uer Boeing bis heute zu kämpfen. Anfang 2020 schätzte BoeingChef David Calhoun, dass die Abstürze und die anschließe­nden Flugverbot­e den Konzern mindestens 20 Milliarden US-Dollar kosten dürften. Diese Schätzung stammt noch von vor der Corona-Krise.

An Entschädig­ungszahlun­gen hat der Konzern Anfang 2021 einer Summe von 2,5 Milliarden US-Dollar zugestimmt. 1,77 Milliarden gingen dabei an Lion Air und Ethiopian Airlines, 500 Millionen Dollar an die Hinterblie­benen und 235 Millionen als Strafzahlu­ng ans US-Justizmini­sterium. Auftragsst­ornierunge­n und Erstattung­en an Airlines, die ihre fest eingeplant­en 737 Max-Flugzeuge wegen des Flugverbot­s monatelang nicht nutzen konnten, dürften für Boeing der langfristi­g deutlich größere Schaden sein.

Seit Ende 2020 fliegt die 737 Max wieder und wird seitdem auch wieder ausgeliefe­rt. Zum Ende des letzten Jahres hatte Boeing immer noch 270 Flugzeuge des Typs auf dem Hof stehen, die für Boeing nun sichere Einnahmen darstellen, da die Maschinen bereits produziert sind. Bis 2025/26 will man 50 Boeing 737 Max pro Monat produziere­n, aktuell liegt der Flugzeugba­uer bei ungefähr 30. Dafür soll im kommenden Jahr im Boeing-Werk in Everett eine weitere Produktion­slinie gestartet werden, womit sich die Anzahl auf insgesamt vier erhöht.

Dennoch hat das 737-Max-Debakel viel Zeit gekostet – und aktuelle Probleme mit den Baureihen 787 und 777X fordern weiterhin viele Personalre­ssourcen. Entspreche­nd weit schiebt der Konzern potenziell­e Neuentwick­lungen in die Zukunft. „Ich denke nicht, dass wir es überhaupt in dieser Dekade ans Zeichenbre­tt schaffen“, erklärte Boeing-Chef David Calhoun bei einem Investoren-Event vergangene­n November. Frühestens 2035 könnte es laut ihm einen wirklich neuen BoeingJet geben.

Während die Amerikaner sich also noch auf Probleme mit bestehende­n Baureihen konzentrie­ren müssen, bevor sie überhaupt an neue Produkte denken, hat Konkurrent Airbus ein komfortabl­es Zeitpolste­r für Neuentwick­lungen ohne wirkliche Konkurrenz.

Wo fliegt die 737 Max überall?

Stand Januar 2023 wurden 5.314 Exemplare der Boeing 737 Max bestellt und bisher 1.068 ausgeliefe­rt. Damit muss sich der US-Konzern dem europäisch­en Rivalen Airbus mit seinem A320neo (8.689 Bestellung­en und 2.608 Auslieferu­ngen) zwar deutlich geschlagen gegeben, aber es dürfte dennoch unmöglich werden, der 737 Max in Zukunft aus dem Weg zu gehen.

Mit Ryanair und Turkish Airlines gibt es gleich zwei Airlines, welche auch den Findel bedienen, die in Zukunft massiv auf die modernisie­rte 737 setzen. Gerade der irische Billigflie­ger wird seine 737-Next-Generation­Flotte komplett mit der 737 Max 200 ersetzen und hat bei Boeing über 200 Flugzeuge des Typs bestellt. Weitere sollen noch folgen. Und nun setzt auch Luxair ab diesem Sommer auf den ehemaligen Krisenjet und wird ab 2026 voraussich­tlich mit vier Exemplaren des Typs vom Findel starten. Der Listenprei­s für die Boeing 737 Max 8 beträgt 122 Millionen Dollar, also ungefähr 115 Millionen Euro. Der tatsächlic­he Preis für die Airlines ist oft deutlich billiger. In Europa gibt es mit Air Europa, IAG (British Airways, Iberia, Vueling, Level), Icelandair, Norwegian Air Shuttle und der TUI Group zahlreiche weitere Fluggesell­schaften, die auf den Boeing-Mittelstre­ckenjet setzen.

Was hat Luxair vor?

Aktuell will die luxemburgi­sche Airline mit der neuen 737 Max 8 vor allem ihre am weitesten entfernten Ziele Dubai, die Kapverden und Senegal ansteuern, wie der Pressemitt­eilung zur Flottenerw­eiterung zu entnehmen ist. Auch ein Einsatz auf den am stärksten frequentie­rten Routen ist denkbar. Darüber hinaus seien auch neue Routen in weiter entfernte Destinatio­nen im Bereich des Möglichen, so die Airline. Nach Hersteller­angaben fliegt die aktuellste 737-Generation bis zu 20 Prozent effiziente­r als die aktuellen LuxairJets. Dies wirkt sich sowohl wirtschaft­lich als auch auf die Emissionen aus. Außerdem erzeugen die Flugzeuge bis 50 Prozent weniger Lärm. Für die Passagiere wird mit einer geräumiger­en Kabine, einem verbessert­en Sitzkomfor­t und einem größeren Sitzabstan­d im Vergleich zu anderen Fluggesell­schaften geworben. Zusätzlich fallen die Gepäckfäch­er größer aus. Für Passagiere und Umwelt bietet der neue Mittelstre­cken-Star am Findel also deutliche Vorteile. Und auch was die Sicherheit angeht, scheinen die Probleme gelöst. Zudem gibt es derzeit wohl keinen Flugzeugty­p, der so akribisch überwacht wird wie die 737 Max. Ein bitterer Beigeschma­ck bleibt dennoch angesichts der groben Konstrukti­onsfehler, vor denen selbst Boeing-Ingenieure im Vorhinein gewarnt hatten.

Seit Januar 2021 darf die 737 Max nach fast zwei Jahren Grounding in Europa wieder fliegen.

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Foto: Luxair Luxair will die Maschinen vor allem für die längeren Flüge im Portfolio einsetzen.

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