Viel „Luxemburg“bei den Academy Awards
Millionen Menschen schauen auf Cyrus Neshvad und seinen Kurzfilm – aber auch ein Kameramann, ein Visual-Effect-Spezialist und ein Schauspieler aus Luxemburg sind an nominierten Filmen beteiligt
Ein roter Teppich und ein roter Koffer: In der Nacht zum kommenden Montag werden alle Blicke auf „The Red Suitcase“von Cyrus Neshvad gerichtet sein. Der Kurzfilm ist die Luxemburger Hoffnung auf einen Oscar.
Einem Millionenpublikum werden in der Fernsehübertragung der 95. Academy Awards aus dem Dolby Theatre in Los Angeles Ausschnitte aus dem Film gezeigt. Man wird aber natürlich auch auf Cyrus Neshvad schauen, den Filmemacher aus Luxemburg, der im Blitzlichtgewitter der Fotografen den roten Teppich hochlaufen wird. Nein, Halt! Es wird diesmal kein roter Teppich sein, er ist beigefarben, offiziell heißt es sogar ganz euphemistisch „champagnerfarben“.
Cyrus Neshvad, der im Jahr 1979 mit seinen Eltern und Geschwistern vor der islamischen Revolution aus dem Iran geflohen und in Luxemburg aufgewachsen ist, hat heute in Steinsel und Mamer seine Produktionsgesellschaft Cynefilms. Er wird diese Glanz- und Glamour-Show in den USA voll genießen können, auch wenn der weiche Teppichstoff unter seinen schwarzen Lackschuhen nicht rot sein wird.
Es geht ja auch in erster Linie nicht um diesen Teppich, sondern um den roten Koffer, „The Red Suitcase“, seinen Film. Dieses Werk wird zum Ausrufezeichen aus dem Großherzogtum und wurde vom Luxembourg Film Fund bei der Entstehung gefördert. Dessen Direktor, Guy Daleiden, wird in Los Angeles dabei sein – übrigens schon zum vierten Mal, nach „Song of Sea“2015 , „The Breadwinner“2018, und „Monsieur Hublot“, dem Animationskurzfilm von Laurent Witz und Alexandre Espigares. Das Leinwand-Abenteuer ist bislang das einzige von Luxemburg geförderte Werk, das nicht nur für den Oscar nominiert war, sondern deren Regisseure ihn am Ende auch mit nach Hause nehmen durften.
Wird auch Cyrus Neshvad, „unser Mann in Hollywood“, wie die „Revue“vor zwei Wochen getitelt hat, mit einer goldenen Statue nach Luxemburg zurückkehren? Am Montag früh werden wir es erfahren.
Seine Hausaufgaben hat der Filmregisseur und Produzent jedenfalls gemacht. Nach der Nominierung seines Films am 24. Januar stand ihm ein mühsamer Interview-Marathon in den Vereinigten Staaten bevor. Den hat er nun hinter sich. Dabei ging es in erster Linie darum, so viel Aufmerksamkeit wie nur möglich auf sein Werk zu lenken. Insbesondere, damit die Wählerinnen und Wähler aus der Oscar-Academy auch dafür abstimmen sollten. Für diesen medialen Feldzug hatte Neshvad bereits vor der allerletzten Nominierungsrunde seines Films einen Agenten in Hollywood angeheuert. Er sollte ihm dabei helfen, den Sprung von der Shortlist unter die letzten paar Preiskandidaten zu schaffen.
„Die seltene Perle“gefunden
„Engagiert“, „stur“, „ideenfixiert“, so wird Cyrus Neshvad in seiner Entourage beschrieben. Er sei „ein Perfektionist“, „einer, der seine Projekte fest im Griff habe“. Genau das bestätigte der Filmemacher auch in dem Interview, das das „Luxemburger Wort“mit ihm nach seiner Nominierung in die letzte Runde geführt hat.
Darin betont er, dass er bei dieser Produktion nicht locker lassen wollte. Er kämpfte, bis er trotz der Corona-Pandemie den Flughafen Findel als Drehort bekam. Er gab sich beim Casting erst dann zufrieden, bis er in Paris für die Hauptrolle „die seltene Perle“- so Neshwad wörtlich – gefunden hatte. Die französische Schauspielerin Nawelle Evad spielt im Film die junge Iranerin Ariane, die nach Luxemburg reist. Die 22-Jährige – übrigens auch ein Kind der Immigration (ihre Eltern sind Algerier) – wird ebenfalls bei der Oscar-Verleihung in Los Angeles dabei sein.
So wie bei seinen Drehs erwies sich Neshvad dann auch bei der Werbetour für seinen Film als akribischer Perfektionist. Unermüdlich hat er in den vergangenen Wochen die amerikanischen Medien „gefüttert“, stand Journalisten und Filmfreaks Rede und Antwort und schaffte es, mit seinem Werk in der Kino-Fachpresse unterzukommen. Eingeladen wurde er aber auch in die Studios von CNN und zu anderen Nachrichtensendern, die sich mehr auf den sehr aktuellen Bezug seines Films, die Proteste im Iran, fokussiert hatten. Und die Reaktionen sind deutlich: „Der stärkste der fünf Filme, , The Red Suitcase‘ des iranischen Regisseurs Cyrus Neshvad, ist von politischer Tragweite, aber abgesehen von den Auswirkungen auf die reale Welt ist dieser Film auch ein spannender, gut erzählter Thriller“, urteilt das Branchenmagazin „Variety“. „'The Red Suitcase' ist so raffiniert konstruiert, dass er fast wie ein Stummfilm wirken würde“, meint derweil die „New York Times“. Und CNN-Journalistin Becky Andersen sagt am Ende ihres Live-Interviews mit Neshvad: „Cyrus, you are doing more than a little bit, we wish you the very best of luck, your short is terrific“.
Mit noch vier anderen Werken steht „The Red Suitcase“in der Endauswahl für den Oscar. Drei werden zu den Favoriten gezählt, darunter natürlich auch „The Red Suitcase“. Die beiden anderen Film sind „An Irish Goodbye“von Tom Berkeley und Ross White, sowie Alice Rohrwachers Geschichte „Le Pupille“. In dem einen kommen zwei Brüder im ländlichen Irland wieder zusammen, um ihre Mutter zu beerdigen; in dem zweiten rückt eine katholische Schule im Italien der 1940er-Jahre in den Fokus.
Kein Geringerer als der mexikanische Filmemacher Alfonso Cuarón („Harry Potter“, „Gravity“, „Roma“) ist Produzent des Disney-Films „Le Pupille“. Da ist es nicht verwunderlich, dass in dessen Ringen um Academy-Stimmen auch viel mehr Mittel gepumpt wurden, als in „The Red Suitcase“. Bei Disney sind es zweieinhalb Millionen Dollar allein für die Vorbereitung auf den Oscar-Preis. Bei dem Luxemburger Film werden es am Ende um die 30.000 Euro sein.
Ob nun mit oder ohne goldener OscarStatue, Cyrus Neshvad wird auf jeden Fall als ein ganz anderer Mensch nach Luxemburg heimkehren. Er ist jetzt schon OscarNominee, bekam dafür am vergangenen Donnerstag ein offizielles Dokument ausgehändigt, und vielleicht wird er ja auch noch Oscar-Winner. Auch so hat er bereits dank seiner Oscar-Nominierung auf der ganz großen Bühne des Films zeigen können, was er drauf hat. Er, der im Interview vor drei Wochen dem „Luxemburger Wort“sagte, dass er sich als Kind Mehl ins Gesicht gerieben habe, um seine Haut heller zu machen, um halt so zu sein wie seine Luxemburger Schulfreunde, ist nun definitiv in einer neuen Liga der Filmbranche angelangt.
Er hat beim „Oscars Nominees Luncheon“am vergangenen 14. Februar in Beverly Hills mit Steven Spielberg, Cate Blanchett und anderen Hollywood-Stars plaudern dürfen. Zudem ist er mittlerweile auch Mitglied der Academy of Motion Picture Arts and Science, die das Oscar-Rennen veranstaltet. Aber all das ist ganz bestimmt nur ein vorläufiger Höhepunkt in dieser einmaligen Erfolgsgeschichte des iranischen Flüchtlingsjungen.
The „Red Suitcase“ist so raffiniert konstruiert, dass er fast wie ein Stummfilm wirken würde. The New York Times