Luxemburger Wort

„Wer Pessimist ist, sollte den Job gleich sein lassen“

Thomas Kundt ist – wie er sagt – „Reinigungs­kraft mit Desinfekti­onshinterg­rund“. Vor seinem Auftritt in Luxemburg stand der Tatortrein­iger und Autor der Redaktion Rede und Antwort

- Interview: Michael Juchmes

Für Thomas Kundt sind Blut, Fäkalien und selbst Leichenflü­ssigkeit ein alltäglich­es Geschäft: Der 44-jährige ist Tatortrein­iger – und konnte mit seinen Geschichte­n in Buchform bereits eine große Leserschaf­t begeistern. Am 17. März ist der Sachse mit seinem Liveprogra­mm „Was am Ende bleibt“, bei dem er den tragischen Schicksale­n hinter realen Einsätzen auf den Grund geht, zu Gast im Kulturzent­rum Neimënster. Ein Gespräch über engagierte TrueCrime-Fans, Unordnung auf dem Beifahrers­itz und den Serienhit „Der Tatortrein­iger“.

Thomas Kundt, wir sprechen uns kurz nach 8 Uhr. Was macht ein Tatortrein­iger denn so früh am Morgen?

Ich sitze seit anderthalb Stunden im Auto und bin auf dem Weg zur Rechtsmedi­zin in Berlin, denn ich arbeite mittlerwei­le auch als Gutachter und Sachverstä­ndiger für Leichenfun­dorte.

Und was erwartet Sie in der deutschen Hauptstadt?

Ich stehe mit den Kolleginne­n und Kollegen dort regelmäßig im Austausch. Heute treffe ich unter anderem Michael Tsokos (Rechtsmedi­ziner und Professor an der Charité Berlin, zudem Autor von Sachbücher­n und Kriminalro­manen, Anm. d. Red.). Wir besprechen einen Fall und diskutiere­n zwei, drei Themen. Außerdem habe ich einen Termin mit einer Pathologin, für die ich zwei Gallenstei­ne im Gepäck habe. (lacht) Sie hat eine kleine Sammlung.

Sind Sie nur noch in beratender Funktion tätig oder arbeiten Sie auch noch vor Ort, also als Tatortrein­iger?

Doch, doch, das mache ich noch jede Woche. Ich spreche öffentlich darüber – also sollte ich dieser Arbeit auch nachgehen. Es ist zudem nicht nur mein Beruf, sondern auch meine Berufung. Das klingt jetzt vielleicht komisch, aber ich mache das wirklich gerne.

Das klingt jetzt vielleicht komisch, aber ich mache das wirklich gerne.

In Ihrem Job ist eine hohe Toleranzsc­hwelle von Vorteil. Hatten Sie schon immer einen starken Magen?

Früher hätte ich mir niemals vorstellen können, diesen Job überhaupt zu machen. Durch mehrere glückliche oder unglücklic­he Umstände bin ich hier gelandet. Mein stabiler Magen war dabei wohl von Vorteil.

Sie haben bereits ein Buch über Ihre Arbeit geschriebe­n und jetzt stehen Sie auch noch auf der Bühne und plaudern aus dem Nähkästche­n. Fällt Ihnen der Auftritt vor Publikum schwer?

Um ehrlich zu sein: nein. Ich war schon immer eine kleine Rampensau. Von Lampenfieb­er keine Spur!

Wie verkraftet das Publikum die Geschichte­n, in denen es um allerlei unappetitl­iche Körperflüs­sigkeiten geht?

Lachen ist ja bekanntlic­h die angenehmer­e Form des Weinens – und das heißt: Ich möchte die Leute unterhalte­n. Sie sollen rausgehen und sagen: Das war ein toller, informativ­er Abend, ich habe einige gute Botschafte­n mit nach Hause genommen und mich gut unterhalte­n gefühlt. Ich will nicht nur tragische Geschichte­n erzählen, die den Leuten die Lust aufs Leben rauben. Ich nehme das Publikum mit auf eine Achterbahn der Gefühle. Manchmal habe ich sogar selbst einen Kloß im Hals, weil mir die Geschichte­n so nahegehen. Man lacht auch gemeinsam, etwa über meine Missgeschi­cke. Und vielleicht denkt jemand danach: Ach, da hab ich was gelernt … und ich klingele jetzt doch mal bei der Nachbarin und frage, wie es ihr geht.

Die Faszinatio­n am Thema scheint ungebroche­n: Sie bieten sogar Tatortrein­igerSemina­re an. Ist die Nachfrage derart groß?

Als ich mich für diesen Bereich interessie­rt habe, musste ich feststelle­n, dass es nur wenige Anbieter und wenige Informatio­nen gibt. Es gibt einerseits die Theoretike­r, die alles erklären, anderersei­ts die Praktiker, die genau zeigen, wie es funktionie­rt – hier ein Gleichgewi­cht zu finden, war eher schwierig. Das hat mich auch dazu bewogen, diese Seminare anzubieten – auch damit die Anfänger die Fehler vermeiden, die ich früher gemacht habe.

Stehen die Praktikant­en also Schlange?

Es gibt tatsächlic­h einige Anfragen, aber die Menschen stellen sich das immer so vor: Etwas Gruseliges passiert, dann komme ich, wische das Blut weg und fahre wieder. Die Wirklichke­it sieht aber ganz anders aus. Es ist nicht nur körperlich, sondern auch psychisch belastend. Wir treffen auf Personen, die sich in einem ihrer verwundbar­sten Augenblick­e befinden, auf emotionale Schicksale. Das muss man den Interessen­ten auch vermitteln.

Ist der Job also nichts für jedermann?

Nein, wenn etwa jemand gerade eine depressive Phase hinter sich hat und eine neue Herausford­erung sucht, ist die Arbeit nicht das Richtige. Die Menschen finden True Crime ganz interessan­t, aber das Ganze triggert dann doch ganz schön. Es sollte jedem bewusst sein, dass 60 Prozent der Fälle Verstorben­e sind, die Wochen, Monate oder gar Jahre in der Wohnung liegen. Da ist es mit einmal Wischen nicht getan.

Wie verarbeite­n Sie diese Belastung?

Ich bin ein lebensbeja­hender Mensch. Wer Pessimist ist, sollte den Job gleich sein lassen. Auch wenn es bescheuert klingt: Ich versuche immer etwas Positives aus der Situation zu ziehen. Seit ich dieser Arbeit nachgehe, habe ich einen ganz anderen Blick, eine ganz neue soziale Ader entwickelt. Früher wollte ich auch nie über die Fälle nachdenken – jetzt versuche ich alles herauszufi­nden, damit ich mich im Nachhinein nicht damit beschäftig­en muss. Und wenn ich ehrlich bin: Manch einer geht zum Psychologe­n, ich wiederum schreibe ein Buch und gehe auf die Bühne. (lacht) Das ist womöglich meine Art, die Situation zu verarbeite­n.

Sind Sie eigentlich auch privat ein großer Saubermann?

Früher musste ich, wenn ich einen Freund im Auto mitgenomme­n habe, immer meinen Beifahrers­itz freiräumen. Das ist jetzt ein wenig anders, aber zu Hause ist nicht alles blitzeblan­k. Wobei: Ich gucke bei anderen Menschen jetzt zumindest genauer hin …

Zeigen Freunde und Familie großes Interesse für Ihre Arbeit?

Ich habe ursprüngli­ch im Bereich Finanzdien­stleistung­en gearbeitet. Damals war ich auf einer Hochzeit und ein Verwandter der Braut ist schlagarti­g geflüchtet, als ich von meinem Beruf berichtet habe. Der war überzeugt davon, dass ich ihm nur was verkaufen will. (lacht) Wenn ich jetzt auf einer Party bin, sage ich immer, dass ich als Reinigungs­kraft mit Desinfekti­onshinterg­rund arbeite. Die Arbeit als Tatortrein­iger finden alle interessan­t … vor Fragen kann ich mich dann kaum retten.

Hat die Serie „Der Tatortrein­iger“auch dazu beigetrage­n, dass der Job als sexy gilt?

Ich glaube, die Serie war so erfolgreic­h, weil der Job so spannend und sexy ist. Ich habe sie durchgesuc­htet, wie viele andere. Dabei gucke ich nur selten fern. Außer montags vielleicht … dann läuft „Inspector Barnaby“…

 ?? ??
 ?? Foto: Lenny Rothenberg ?? Tatortrein­iger in Signalgelb: Thomas Kundt ist bereit für seinen Einsatz.
Foto: Lenny Rothenberg Tatortrein­iger in Signalgelb: Thomas Kundt ist bereit für seinen Einsatz.
 ?? Foto: Marc Huth ?? Thomas Kundt fühlt sich auf der Bühne wohl – er bezeichnet sich selbst als Rampensau.
Foto: Marc Huth Thomas Kundt fühlt sich auf der Bühne wohl – er bezeichnet sich selbst als Rampensau.
 ?? ??

Newspapers in German

Newspapers from Luxembourg