Zweite-Weltkriegs-Idylle rund um einen Konvoi
Das Kriegsdrama „Lost Transport“, eine luxemburgische Co-Produktion (Amour Fou), erweist sich beim Luxfilmfestival als Streifen mit wenig Tiefgang, hingegen überladen mit bedeutungsschwerer Symbolik
„Der verlorene Zug“– „packendes Kriegsdrama aus weiblicher Perspektive“so wird „Lost Transport“der Niederländerin Saskia Diesing auf dem deutschen Film-Plakat angekündigt. Eine Vorpremiere des Historiendramas war am vergangenen Freitag im Rahmen des Luxfilmfestivals zu sehen.
Plot und Filmplakat bereiten einem Unbehagen: Im April 1945 strandet ein Zug mit jüdischen Gefangenen in der Nähe des kleinen deutschen Dorfes Tröbitz, das bereits von der Roten Armee besetzt ist. Deutsche Soldaten überlassen den Deportationszug mit über 2.000 jüdischen KZ-Inhaftierten ihrem Schicksal.
Gegeneinander verdammt, führt das Schicksal drei junge Frauen zusammen: Simone (Hanna van Vliet), jüdisch aus den Niederlanden, die russische Scharfschützin Vera (Eugenie Anselin) und Winnie (Anna Bachmann), die wie vom Bund deutscher Mädels wirkt und noch vom großdeutschen Reich fantasiert – im Kontext des Zweiten Weltkrieges sind diese Drei im Grunde tief verfeindet. In „Lost Transport“treffen die geschundenen Seelen, respektive im Falle von Vera und Winnie unterschiedlich indoktrinierten Gemüter, aufeinander. Sie teilen sich ein Haus, bilden eine Art Wohngemeinschaft.
Ärgerliche Figurenzeichnung
Zwischen Verzweiflung und Rachegelüsten entsteht eine unerwartete Freundschaft. Die Drei tasten sich aneinander heran und beginnen langsam Vertrauen zu entwickeln. Mit Feminismus hat das – auch wenn dieser Topos und das Wort gerade en vogue sind – erstmal direkt nichts zu tun. Die Frauen sind auch nicht besonders stark, sondern alle auf unterschiedliche Weise traumatisiert. Rund um diese schräge Dreieckskonstellation mäandert der Film, der nicht an Klischees spart.
So steigen anfangs KZ-Überlebende aus Bergen-Belsen leicht erschöpft, doch wie aus dem Ei gepellt, aus dem Zug, als kämen sie gerade von einem Tages-Ausflug. Das ist schon ab den ersten Einstellungen befremdlich. Auch wenn sich abgegriffene Bilder ausgemergelter KZ-Insassen mit Sträflingsuniform verbieten, ist doch die ostentative Normalität beschwörende Darstellung hier bizarr.
Eugenie Anselin sieht sexy aus in ihrer russischen Uniform. Von Anfang an marschiert sie in sich gekehrt, mit Hütchen, stets das Gewehr im Anschlag durch die Gegend und spricht kaum ein Wort – und wenn dann ein paar Brocken Russisch.
Zwischen deutschem Heimat- und Schulfilm
Einige Bildmotive sind mit NS-Symbolik wie Hakenkreuzen überladen; untermalt werden diese Einstellungen auch noch durch bedeutungsschwere Musik. Die Figurenzeichnung ist insgesamt eher eingängig, denn von Nuancen geprägt. Die schematische, bisweilen geradezu karikaturhafte Darstellung der Deutschen, der Juden, der Russen usw. macht die Figuren auch nicht interessanter. Wenige Ironisierungen in den stets dunklen Räumen sind gelungen, so die Art-Deco-Tapete mit Hakenkreuzen, die am Ende (nach Bekanntgabe der Kapitulation Deutschlands) resolut abgerissen wird. An der Tapete prangt zudem ein Bild des Führers, der grotesk wie eine eitle Gans förmlich aus dem Rahmen zu springen scheint. Im Abspann wird „all jenen gedacht, die während des Zweiten Weltkriegs gelitten haben“. Hinter einer solchen relativierenden Formulierung können bzw. sollen sich dann alle versammeln. Das Historiendrama läuft am 27. April an, und wird vermutlich kaum für einen Gedankenanstoß sorgen.
Zwischen Verzweiflung und Rachegelüsten entsteht eine unerwartete Freundschaft. Rund um diese schräge Dreieckskonstellation mäandert der Film, der nicht an Klischees spart.
„Lost Transport“, Regie: Saskia Diesing; Spielfilm; 98 Minuten; NL/DE/LU 2022. Offizieller Kinostart: 27. April 2023