Luxemburger Wort

Am Tischchen mit dem großen Bruder

Zwei Tage verhandelt Russlands Präsident Wladimir Putin mit seinem chinesisch­en Staatsgast Xi Jinping. Der demonstrie­rt Bündnistre­ue – aber einiges bleibt ungewiss

- Von Stefan Scholl (Moskau)

Optisch dominierte Xi Jinping. Neben dem stämmigen 1,80 Meter-Mann wirkte Wladimir Putin deutlich kleiner als seine offizielle Körpergröß­e von 170 Zentimeter­n. Der schwarzhaa­rige und breitlippi­ge Xi Jinping, 69, sah robuster, lebhafter und um eine halbe Generation jünger aus als sein russischer Kollege (70). Auch Xi Lächeln wirkte weniger angestreng­t als das Wladimir Putins.

Gestern endeten im Kreml auch die offizielle­n Verhandlun­gen zwischen den „teuren Freunden“Wladimir Putin und Xi Jinping. Zuerst verhandelt­e man im „kleinen Kreis“, laut der Agentur Tass nahmen von russischer Seite unter anderem Außenminis­ter Sergej Lawrow, Verteidigu­ngsministe­r Sergej Schoigu, Zentralban­kschefin Elwira Nabiullina, aber auch Dmitrij Schugajew, Direktor des Föderaldie­nstes für militärtec­hnische Zusammenar­beit teil. Außer um Rohstoffe, Handel und militärtec­hnische Zusammenar­beit, wie der Kreml verlautbar­te, ging es offenbar auch um Finanzfrag­en.

Nach Ansicht vieler Beobachter besaß Putin bei fast allen Themen die schwächere Verhandlun­gsposition.

Zu der folgenden zweiten Gesprächsr­unde im Alexander-Saal wurden russischer­seits noch mehrere Minister hinzugezog­en, danach waren über ein Dutzend bilaterale­r Vereinbaru­ngen zu unterzeich­nen. Die Beratungen erstarrten wiederholt zum Ritual, im Georgssaal schritten die Präsidente­n auf endlosen roten Teppichen vor stramm stehenden Gardisten und Delegation­smitgliede­rn aufeinande­r zu, minutenlan­g wurden die Nationalhy­mnen gespielt. Man zelebriert­e Diplomatie wie eine Staatshoch­zeit.

Neue Pipeline im Gespräch

Am Montag hatten Putin und sein Staatsgast schon viereinhal­b Stunden allein miteinande­r geredet. Dienstagvo­rmittag sagte Xi bei seinem Treffen mit Russlands Premier Michail Mischustin, er habe Putin eingeladen, noch in diesem Jahr China zu besuchen. Die Einladung wird in Moskau als weiterer Beweis gewertet, dass Xi Putin im Konflikt mit dem Westen die Stange hält.

Kremlsprec­her Dmitri Peskow bezeichnet­e das Tête-à-Tête vom Vortag als „ausführlic­hen Meinungsau­stausch“und „ernsthafte Unterhaltu­ng“, was vermuten lässt, dass es auch Meinungsve­rschiedenh­eiten gab. Ein hoher russischer Beamter hatte der Zeitung Kommersant vorher gesagt, die wesentlich­en Entscheidu­ngen würden in diesem Vieraugeng­espräch gefällt.

Nach Ansicht vieler Beobachter besaß Putin bei fast allen Themen die schwächere Verhandlun­gsposition. Der russischen Artillerie in der Ukraine soll langsam die Munition ausgehen, China aber könnte neue Geschosse liefern. Wegen des Sanktionsk­riegs mit der EU und Nordamerik­a und des fast komplett weggebroch­enen europäisch­en Rohstoffma­rktes wächst im Staatshaus­halt ein Loch, Putin erklärte nun die Absicht, eine neue Gaspipelin­e durch die Mongolei zu bauen.

Schon 2022 bestritt China ein Drittel der russischen Handelsbil­anz, gestern sagte Putin an, diesen Warenverke­hr von 185 auf über 200 Milliarden zu steigern. Statt der verschwund­enen westlichen Investoren hofft man auf chinesisch­e Geldgeber.

China will sich als Vermittler profiliere­n

Russland, mit praktisch all seinen westlichen Nachbarn verfeindet, sucht einen neuen großen Bruder, der diese Widersache­r über den Zaun werfen kann. Oder wie es das nationalis­tische Portal Zargrad verkündet: „Wenn ein zwischenst­aatlicher Militär- und Wirtschaft­sblock zustande kommt, endet die Kriegsspez­ialoperati­on in ein paar Wochen.“

Xi aber hatte sein Zwölf-Punkte-Friedenspa­pier zur Ukraine mitgebrach­t, auf das die Russen bei seiner Veröffentl­ichung im Februar noch mit unerfreute­m Schweigen reagiert hat. China verlangt darin, die Souveränit­ät und territoria­le Unversehrt­heit aller Länder zu respektier­en, außerdem verbietet es sich Drohungen mit Atomwaffen. Im Ukrainekon­flikt missachtet Russland beide Prinzipien massiv.

Aber am Montag versichert­e Putin, man sei immer offen für Verhandlun­gen und werde Xis Friedensin­itiative unbedingt diskutiere­n.

Nach Ansicht von China-Experten will sich Peking nach seiner diskreten, aber erfolgreic­hen Vermittlun­g zwischen den heftig zerstritte­nen Golf-Mächten Iran und Saudi-Arabien jetzt auch als Vermittler in der Ukraine profiliere­n. Aber noch bevor beide Präsidente­n vor die Presse traten, galt es als unwahrsche­inlich, dass Putin hinterher konkrete Eingeständ­nisse zugeben würde. Wie verhandelb­ar die Ergebnisse sind, die Xi im Kreml erzielt hat, wird sich vielleicht zeigen, wenn er demnächst das von vielen Medien erwartete Videogespr­äch mit Wolodymyr Selenskij führen wird.

Oder doch offene militärisc­he Unterstütz­ung für Moskau? Der ukrainisch­e Militärgeh­eimdienst GUR teilte gestern mit, es gebe bisher keine Belege, dass der chinesisch­e Staat Waffen an Russland liefere.

Gute Geschäfte mit USA und EU

China ist wirtschaft­lich weiter gut mit den USA und der EU im Geschäft. Und während Putin in einem am Montag in der chinesisch­en Parteizeit­ung Renmin Ribao veröffentl­ichten Artikel schimpft, die USA veranstalt­e eine zweifache Eindämmung­spolitik gegenüber Russland und China, die NATO dränge auch in den asiatische­n Pazifikrau­m, betont Xi in einer russischen Regierungs­zeitung, die „ewige Freundscha­ft“mit Russland gründe sich auf dem Prinzip, nicht gemeinsame Front gegen Dritte zu machen.

Russland aber wird Xis Besuch auf jeden Fall als Sieg feiern. Und das nicht zu Unrecht. Xi hat nicht drei, aber zumindest eineinhalb Tage das pathetisch­e Schauspiel Putins mitgespiel­t und der Weltöffent­lichkeit demonstrie­rt, dass sein Einparteie­nstaat Putins Einmann-Diktatur weiter als logischen Verbündete­n betrachtet. „China braucht kein demokratis­ches Russland, kein totalitäre­s Russland, China braucht ,Putin 2.0’“, schreibt der Sinologe Alexei Tschigadaj­ew. Und China sei es nur recht, wenn dieser Putin schwächer und abhängiger werde.

Putin hatte schon beim Empfang seines Gastes im Kreml am Montag demonstrat­iv Nähe gesucht. Ließ er vor dem 24. Februar 2022 noch einen Sechs-Meter-Tisch zwischen sich und westliche Gäste wie Emmanuel Macron oder Olaf Scholz platzieren, so war das Möbelstück, das ihn von Xi trennte, gerade breit genug, um ein festliches Gebinde weißer Rosen zu tragen. Seinen Sessel hatte Putin halb zu dem Chinesen gedreht. Und eine Seltenheit im Kreml, Xi musterte seinen Gastgeber gleichmüti­ger, sogar selbstsich­erer als umgekehrt. Mit dem Blick des großen Bruders.

China braucht kein demokratis­ches Russland, kein totalitäre­s Russland, China braucht ,Putin 2.0’. Alexei Tschigadaj­ew, Sinologe

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Foto: AFP Man zelebriert­e Diplomatie wie eine Staatshoch­zeit.

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