Am Tischchen mit dem großen Bruder
Zwei Tage verhandelt Russlands Präsident Wladimir Putin mit seinem chinesischen Staatsgast Xi Jinping. Der demonstriert Bündnistreue – aber einiges bleibt ungewiss
Optisch dominierte Xi Jinping. Neben dem stämmigen 1,80 Meter-Mann wirkte Wladimir Putin deutlich kleiner als seine offizielle Körpergröße von 170 Zentimetern. Der schwarzhaarige und breitlippige Xi Jinping, 69, sah robuster, lebhafter und um eine halbe Generation jünger aus als sein russischer Kollege (70). Auch Xi Lächeln wirkte weniger angestrengt als das Wladimir Putins.
Gestern endeten im Kreml auch die offiziellen Verhandlungen zwischen den „teuren Freunden“Wladimir Putin und Xi Jinping. Zuerst verhandelte man im „kleinen Kreis“, laut der Agentur Tass nahmen von russischer Seite unter anderem Außenminister Sergej Lawrow, Verteidigungsminister Sergej Schoigu, Zentralbankschefin Elwira Nabiullina, aber auch Dmitrij Schugajew, Direktor des Föderaldienstes für militärtechnische Zusammenarbeit teil. Außer um Rohstoffe, Handel und militärtechnische Zusammenarbeit, wie der Kreml verlautbarte, ging es offenbar auch um Finanzfragen.
Nach Ansicht vieler Beobachter besaß Putin bei fast allen Themen die schwächere Verhandlungsposition.
Zu der folgenden zweiten Gesprächsrunde im Alexander-Saal wurden russischerseits noch mehrere Minister hinzugezogen, danach waren über ein Dutzend bilateraler Vereinbarungen zu unterzeichnen. Die Beratungen erstarrten wiederholt zum Ritual, im Georgssaal schritten die Präsidenten auf endlosen roten Teppichen vor stramm stehenden Gardisten und Delegationsmitgliedern aufeinander zu, minutenlang wurden die Nationalhymnen gespielt. Man zelebrierte Diplomatie wie eine Staatshochzeit.
Neue Pipeline im Gespräch
Am Montag hatten Putin und sein Staatsgast schon viereinhalb Stunden allein miteinander geredet. Dienstagvormittag sagte Xi bei seinem Treffen mit Russlands Premier Michail Mischustin, er habe Putin eingeladen, noch in diesem Jahr China zu besuchen. Die Einladung wird in Moskau als weiterer Beweis gewertet, dass Xi Putin im Konflikt mit dem Westen die Stange hält.
Kremlsprecher Dmitri Peskow bezeichnete das Tête-à-Tête vom Vortag als „ausführlichen Meinungsaustausch“und „ernsthafte Unterhaltung“, was vermuten lässt, dass es auch Meinungsverschiedenheiten gab. Ein hoher russischer Beamter hatte der Zeitung Kommersant vorher gesagt, die wesentlichen Entscheidungen würden in diesem Vieraugengespräch gefällt.
Nach Ansicht vieler Beobachter besaß Putin bei fast allen Themen die schwächere Verhandlungsposition. Der russischen Artillerie in der Ukraine soll langsam die Munition ausgehen, China aber könnte neue Geschosse liefern. Wegen des Sanktionskriegs mit der EU und Nordamerika und des fast komplett weggebrochenen europäischen Rohstoffmarktes wächst im Staatshaushalt ein Loch, Putin erklärte nun die Absicht, eine neue Gaspipeline durch die Mongolei zu bauen.
Schon 2022 bestritt China ein Drittel der russischen Handelsbilanz, gestern sagte Putin an, diesen Warenverkehr von 185 auf über 200 Milliarden zu steigern. Statt der verschwundenen westlichen Investoren hofft man auf chinesische Geldgeber.
China will sich als Vermittler profilieren
Russland, mit praktisch all seinen westlichen Nachbarn verfeindet, sucht einen neuen großen Bruder, der diese Widersacher über den Zaun werfen kann. Oder wie es das nationalistische Portal Zargrad verkündet: „Wenn ein zwischenstaatlicher Militär- und Wirtschaftsblock zustande kommt, endet die Kriegsspezialoperation in ein paar Wochen.“
Xi aber hatte sein Zwölf-Punkte-Friedenspapier zur Ukraine mitgebracht, auf das die Russen bei seiner Veröffentlichung im Februar noch mit unerfreutem Schweigen reagiert hat. China verlangt darin, die Souveränität und territoriale Unversehrtheit aller Länder zu respektieren, außerdem verbietet es sich Drohungen mit Atomwaffen. Im Ukrainekonflikt missachtet Russland beide Prinzipien massiv.
Aber am Montag versicherte Putin, man sei immer offen für Verhandlungen und werde Xis Friedensinitiative unbedingt diskutieren.
Nach Ansicht von China-Experten will sich Peking nach seiner diskreten, aber erfolgreichen Vermittlung zwischen den heftig zerstrittenen Golf-Mächten Iran und Saudi-Arabien jetzt auch als Vermittler in der Ukraine profilieren. Aber noch bevor beide Präsidenten vor die Presse traten, galt es als unwahrscheinlich, dass Putin hinterher konkrete Eingeständnisse zugeben würde. Wie verhandelbar die Ergebnisse sind, die Xi im Kreml erzielt hat, wird sich vielleicht zeigen, wenn er demnächst das von vielen Medien erwartete Videogespräch mit Wolodymyr Selenskij führen wird.
Oder doch offene militärische Unterstützung für Moskau? Der ukrainische Militärgeheimdienst GUR teilte gestern mit, es gebe bisher keine Belege, dass der chinesische Staat Waffen an Russland liefere.
Gute Geschäfte mit USA und EU
China ist wirtschaftlich weiter gut mit den USA und der EU im Geschäft. Und während Putin in einem am Montag in der chinesischen Parteizeitung Renmin Ribao veröffentlichten Artikel schimpft, die USA veranstalte eine zweifache Eindämmungspolitik gegenüber Russland und China, die NATO dränge auch in den asiatischen Pazifikraum, betont Xi in einer russischen Regierungszeitung, die „ewige Freundschaft“mit Russland gründe sich auf dem Prinzip, nicht gemeinsame Front gegen Dritte zu machen.
Russland aber wird Xis Besuch auf jeden Fall als Sieg feiern. Und das nicht zu Unrecht. Xi hat nicht drei, aber zumindest eineinhalb Tage das pathetische Schauspiel Putins mitgespielt und der Weltöffentlichkeit demonstriert, dass sein Einparteienstaat Putins Einmann-Diktatur weiter als logischen Verbündeten betrachtet. „China braucht kein demokratisches Russland, kein totalitäres Russland, China braucht ,Putin 2.0’“, schreibt der Sinologe Alexei Tschigadajew. Und China sei es nur recht, wenn dieser Putin schwächer und abhängiger werde.
Putin hatte schon beim Empfang seines Gastes im Kreml am Montag demonstrativ Nähe gesucht. Ließ er vor dem 24. Februar 2022 noch einen Sechs-Meter-Tisch zwischen sich und westliche Gäste wie Emmanuel Macron oder Olaf Scholz platzieren, so war das Möbelstück, das ihn von Xi trennte, gerade breit genug, um ein festliches Gebinde weißer Rosen zu tragen. Seinen Sessel hatte Putin halb zu dem Chinesen gedreht. Und eine Seltenheit im Kreml, Xi musterte seinen Gastgeber gleichmütiger, sogar selbstsicherer als umgekehrt. Mit dem Blick des großen Bruders.
China braucht kein demokratisches Russland, kein totalitäres Russland, China braucht ,Putin 2.0’. Alexei Tschigadajew, Sinologe