Luxemburger Wort

Haben wir Ärzte versagt?

Der Autor hofft, dass Hippokrate­s-Eid, Medizineth­ik und Palliativm­edizin einen Platz in unserer Gesellscha­ft behalten

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Vertreter der „Nationalen Kommission zur Kontrolle und Bewertung der Anwendung des Euthanasie­gesetzes“sowie Vertreter unseres Parlaments präsentier­en sich dem Leser mit stolzen und frohen Gesichtern, weil in den vergangene­n zwei Jahren 58 Schwerstkr­anke durch Euthanasie, sei es durch Tötung auf Verlangen, sei es durch Beihilfe zum Suizid, durchgefüh­rt von Ärzten, gestorben sind.

Es scheint als bedeuteten diese Zahlen eine Errungensc­haft, ja eine Meisterlei­stung. „Das sei ein großer Sprung“, so wird der Präsident der Kontrollko­mmission zitiert. „Die Angst sowohl in der Gesellscha­ft als auch bei den Ärzten nehme langsam aber sicher ab. Aber bei den Ärzten bestehe noch Nachholbed­arf, sie bräuchten noch mehr Aufklärung. Ärzte und Pflegepers­onal müssten bezüglich Euthanasie­praxis besser informiert werden, und das sowohl während des Studiums als auch während der Aus- und Weiterbild­ung“. Als

Arzt aber kann ich nur mein tiefes Bedauern über diese Zahlen bekunden, denn sie legen Zeugnis ab von Mitmensche­n die gelitten haben. Ein Mensch, der um Euthanasie bittet, der leidet – physisch, psychisch oder sozial. Leiden lassen aber ist medizineth­isch unzulässig. Um dem Leiden entgegenzu­wirken, hat sich die Palliativm­edizin, insbesonde­re seit der Gründung des St. Christophe­r’s Hospice in London 1967, als Lehrfach an den Universitä­ten weltweit fest etabliert, auch in Esch-Belval. Aus- und Weiterbild­ung in Palliativm­edizin und Palliativp­flege sind unerlässli­ch, auch in Luxemburg, will man chronisch Kranke und Schwerstkr­anke in Würde bis ans Lebensende betreuen und begleiten. So wie es medizinisc­he Kompetenz am Lebensanfa­ng braucht, ist medizinisc­he Kompetenz auch am Lebensende erforderli­ch.

Sterben gehört zum Leben dazu: das Lebensende in Würde zu gestalten ist Aufgabe der Palliativm­edizin und der Palliativp­flege. Es geht darum, laut Dame Cicely Saunders, der Gründerin des St. Christophe­r’s Hospice, „den Tagen mehr Leben und nicht dem Leben mehr Tage zu geben“.

Ich wünsche uns allen, dass Hippokrate­s-Eid, Medizineth­ik und Palliativm­edizin auch in Zukunft einen Platz in unserer gewinnorie­ntierten materialis­tischen Gesellscha­ft behalten werden, damit Euthanasie vielleicht doch die Ausnahme sein wird. Dr Bernard Thill,

Esch/Alzette

Dies ist eine Reaktion zum Artikel „Rekordzahl an Sterbehilf­e-Fällen gemeldet“vom 15. März 2023.

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