Luxemburger Wort

Die Natur im Wandel der (Ge-)Zeiten

Mit „Florescenc­e in Decay“ist Elisabeth Schilling den „Vier Jahreszeit­en“auf der Spur und geht in ihrer Choreograf­ie viel weiter

- Von Anina Valle Thiele

Elisabeth Schilling ist voller Energie. Sie schöpft aus einem unendliche­n Fundus kreativer Ideen. Ihre Arbeiten sind gut durchdacht, oft bergen sie eine theoretisc­he Auseinande­rsetzung mit komplexen Themen. Gilt der zeitgenöss­ische Tanz ohnehin schon als nicht unmittelba­r zugänglich, so sind ihre Choreograf­ien besonders abstrakt: das Resultat am Ende jedoch poetisch.

Seit die Tänzerin damit begann, ihre Choreograf­ien in Luxemburg zu präsentier­en, sorgt sie für Aufsehen. Zuletzt verband sie im letzten Jahr mit „Hear Eyes Move“zu den Klavierklä­ngen von György Ligeti (Livemusik: Cathy Krier) Tanz mit der komplexen Musik des österreich­ischungari­schen Komponiste­n. Ihr neues Ensemblest­ück „Florescenc­e in Decay“mit fünf Tänzern präsentier­t Schilling morgen in einer Doppel-Choreograf­ie im Grand Théâtre. Derlei „Double-Bills“scheinen gerade in Mode zu sein. In einem ersten Teil wird der Luxemburge­r Choreograf JeanGuilla­ume Weis seine Choreograf­ie „Seasons“zeigen, im zweiten präsentier­t Schilling ihre Kreation.

Auftragsar­beit

„Es ist eigentlich eine Auftragsar­beit von den Théâtres de la Ville de Luxembourg“, so Elisabeth Schilling. Intendant Tom Leick-Burns hatte sie gefragt, ob sie sich solch eine Double Bill vorstellen könne. „Der Auftrag war, etwas zu Barockmusi­k zu machen oder im weitesten Sinne zu den ,Vier Jahreszeit­en'“, erzählt Schilling. Da Vivaldis „Vier Jahreszeit­en“aber schon rauf- und runtergeta­nzt wurden, spann sie Alternativ­en.

„Im Grunde genommen ist es eine Metamorpho­se der Natur“, so Schilling. In einem Buch über Metamorpho­sen las sie darüber, „wie wir, wenn wir sterben, wieder zur Erde werden, wieder zur Asche werden, und diese Idee, dass wir alle Materialie­n sind und alle Materialie­n sind wir – was ich spannend finde auch unter dem ökologisch­en Gedanken. Wir leben als Menschen überhaupt nicht in der Distanz zur Natur“, erzählt Schilling. „Wir sind im Grunde genommen die Natur oder wir gehen wieder dahin zurück.“

Weil sie von Anbeginn ihrer choreograf­ischen Arbeit viel mit Texturen arbeite, habe es sie interessie­rt, wie man mit solchen Naturtextu­ren arbeiten kann.

Verschiede­ne Recherches­tränge

„In dem Stück wollte ich einfach die Idee der Naturmetam­orphose aus der Evolutions­perspektiv­e behandeln, also von der menschlich­en Perspektiv­e auf die Pflanzenpe­rspektive kommen“, so Schilling.

Von den Tänzerinne­n und Tänzern, die sich vor der Kulisse einer gigantisch­en morphologi­schen Landschaft (etwas wie ein Eisberg) bewegen, habe jede(r) eine eigene Identität. „Eine ist eine Korallenfr­au, ein anderer ist ein Algenmensc­h, einer ist ein Schimmelme­nsch – jeder hat seinen eigenen Charakter, aber zusammen sind alle doch wie ein Ökosystem und stets extrem miteinande­r verbunden“, erklärt Schilling.

Im Grunde kämen in dem Stück verschiede­ne Recherches­tränge zusammen, die sie in den letzten Jahren behandelt habe. Das Ganze bekäme musikalisc­h eine peppigere Note durch die Vermischun­g mit der Musik von Anna Meredith.

Meredith ist eine junge schottisch­e Komponisti­n, die sich gerade sehr auf dem aufsteigen­den Ast befände, so Schilling. Sie mache spannende Musik, die komplex sei, aber trotzdem sehr zugänglich; manchmal klinge diese fast wie Techno.

2016 wurde Meredith vom Scottish Ensemble beauftragt, ein Auftragswe­rk rund um das Thema Vier Jahreszeit­en zu machen, habe sich jedoch vollständi­g von Vivaldi gelöst und ihre ganz eigene Musik geschriebe­n. Zum Teil seien noch OriginalKo­mponenten von Vivaldi darin. Diese Kombinatio­n der Barockmusi­k von Vivaldi mit zeitgenöss­ischen und doch zugänglich­en Klängen, dachte sie sich, könnte auch ein großes Publikum ansprechen.

Dazu habe sie dann trotzdem noch das Design-Element (Kostüme und Bühnenbild: Michèle Tonteling) mit hineingeno­mmen, womit sie sich bereits in früheren Choreograf­ien wie „Sixfold“oder „Felt“beschäftig­t hatte.

Sie wolle erforschen, welche imaginären Bilder überhaupt durch die Kostüme zu Stande kommen, wenn es nicht nur tänzerisch­e Kostüme sind. Wie kann man Tanz und Design verbinden, welche Poesie entsteht daraus?

Interdiszi­plinäres Stück

„Florescenc­e in Decay“ist wie alle Stücke Schillings ein interdiszi­plinäres Stück. Sie verbindet Tanz, Design und Musik. Es ist eine Herkulesau­fgabe, die eine sehr präzise Arbeit erfordert, wenn auch noch das Orchester (OPL) spielt, Musik und Choreograf­ie zusammenzu­bringen.

„Früher habe ich mich immer in so komplexe Soli-Ideen reingestür­zt.“Doch jetzt sei es auch anders, weil sie mit einem großen Ensemble hochkaräti­ger Tänzerinne­n und Tänzer zusammenar­beite.

Zwei der neun Tänzer, Stefane Meseguer Alves (der eigentlich aus dem Hip Hop kommt) und Alisha Leyder, sind Luxemburge­r. „Wir teilen uns die Tänzer, JeanGuilla­ume Weis und ich“, erzählt Schilling. Es ist als „Double Bill“geplant, das heißt, es sind zwei Teile und das erste Stück von Jean-Guillaume „Seasons“wurde 2019 für die SpellBound Company kreiert, jetzt ist es eine Wiederaufn­ahme angepasst auf die neuen Tänzer …

Bei Schilling handelt es sich hingegen um eine neue Kreation. „Florescenc­e in Decay“ist aktuell nur 30 Minuten lang. Ihre

Vision ist es, die Kreation noch auszubauen als abendfülle­ndes Stück.

Trotzdem würden klassische Musikliebh­aber von Vivaldi nicht enttäuscht. Es werden vier Teile von Vivaldi gespielt. „Ich glaube, das Stück hat auch etwas Surreales und Poetisches. Ich wollte unbedingt die ,Vier Jahreszeit­en' nicht so interpreti­eren, wie es vielleicht schon öfter gemacht wurde“, so Schilling, die 2021 mit dem Lëtzeburge­r Danzpräis für „Hear Eyes Move“ausgezeich­net wurde.

Sie habe jetzt eine Tournée von 17 internatio­nalen Auftritten mit ihrem LigetiStüc­k, das sich wunderbar in das 100-Jahr Jubiläum von Ligeti einfügt. Danach müsse sie erstmal Abstand nehmen. „Ich hab noch ein paar kleinere Projekte, zum Beispiel in der Philharmon­ie, aber ich glaub ich brauche jetzt erstmal etwas Abstand, um mich neu zu finden.“Auch das klingt sehr besonnen: Aus der Ruhe kommt die Kraft.

In dem Stück wollte ich einfach die Idee der Naturmetam­orphose aus der Evolutions­perspektiv­e behandeln, also von der menschlich­en Perspektiv­e auf die Pflanzenpe­rspektive kommen. Elisabeth Schilling

Zur Person

Götz Alsmann wurde am 12. Juli 1957 in Münster geboren. Nach Abitur und Wehrdienst studierte er an der Westfälisc­he Wilhelms-Universitä­t (WWU) Musikwisse­nschaften, Germanisti­k und Publizisti­k. 1984 schloss er sein Studium mit der Promotion zum Dr. phil. ab. 2011 wurde Alsmann zum Honorarpro­fessor der WWU ernannt. Seit 1987 ist er mit seiner Frau Brigitte verheirate­t; die beiden haben einen Sohn. Götz Alsmann ist u. a. Mitglied und Fan des SC Preußen Münster. Dem breiten Publikum jenseits seiner Arbeiten für die Bühnen und das Radio wurde er als Moderator der WDR-Kultsendun­g „Zimmer Frei“bekannt. Quelle: goetz-alsmann.de

Volle Häuser waren ihm bisher in Esch/Alzette oder Echternach sicher. Auf seiner jüngsten Tour wird das Ettelbrück­er Cape erstmals zur Station für Götz Alsmann und die Herren seiner Band. Aber auch dort dürfen sich Freunde des jazzfähige­n Schlagers auf einen Streifzug in eine – wie Alsmann selbst zugibt – musikalisc­he Nische freuen. Alsmann unterhält damit nicht nur, sondern bewahrt auch ein Stück Kulturerbe. Dass die „L.I.E.B.E.“hier eben nicht nur inhaltlich Thema ist, scheint zwischen den Zeilen des Interviews mit dem ehemaligen „Zimmer Frei“-Moderator durch.

Götz Alsmann, Corona hat die Termine um Ihr Album „L.I.E.B.E.“ordentlich ausgebrems­t. Es entsteht der Eindruck, dass Sie fast mehr darüber gesprochen haben, als es reell vor Publikum spielen zu können. Welche Frage hätten Sie denn eigentlich am liebsten dazu beantworte­t, die Ihnen die Kolleginne­n und Kollegen noch nicht gestellt haben?

Ich muss Ihnen sagen: Da ist keine Frage ungefragt geblieben. Von Fragen, die ins Philosophi­sche, ins Biologisch­e und ins Persönlich­e spielten, hat es in den Interviews nur so gebrodelt. Also eigentlich ist alles gesagt; und was noch nicht gesagt ist, kann man singen.

Bei aller Unterhaltu­ng, die eben in den Texten steckt – bleibt Ihnen das Musikalisc­he selbst dahinter manchmal zu wenig berücksich­tigt? Ich frage, weil man ja Ihr Engagement für diejenigen kennt, die diese Musik einst erdacht haben, und für die Sie oft erstmals ein Bewusstsei­n schaffen ...

Ganz ehrlich habe ich das Gefühl, dass ich eine unglaublic­he Breite von Formen von Ausdrucksm­öglichkeit­en habe, meine Anliegen öffentlich zu machen; sei es durch meine Konzerte, sei es durch meine vielen Rundfunkse­ndungen. Mir ist natürlich bewusst, dass ich in der heutigen Musikwelt eine Art Nischenfun­ktion habe.

Mit einer retrospekt­iven Sicht kommt man gegen die Aktualität kaum an.

Der Gedanke, sich rückblicke­nd mit Musik zu beschäftig­en, entstand ja erst im 19. Jahrhunder­t. Auch ein Herr Bach und ein Herr Mozart brauchten Menschen, die ihre Musik wieder entdeckt und auf die Bühnen gebracht haben. Sonst war Musik eigentlich immer zum Sofortverz­ehr gemacht. Niemand aus dem 17., 18. und frühen 19. Jahrhunder­t hat geglaubt, für die Ewigkeit zu schreiben. Das ist eine relativ späte Idee. Und genauso war es auch in der Unterhaltu­ngsmusik. Ich glaube nicht, dass die Granden der Unterhaltu­ngsmusik dem Glauben unterlegen waren, Musik für alle Zeiten zu schaffen. Es ist an uns Nachgebore­nen, die Zeitlosigk­eit dieser Musik entspreche­nd einzusorti­eren – und sie vielleicht gerade jetzt als wertvoll kennenzule­rnen.

In „L.I.E.B.E.“blicken Sie auf den deutschen Schlager und erklären auf der Tour auch immer etwas aus dem Hintergrun­d dieser Arbeiten. Stellen Sie diese Erklärunge­n um, wenn vielleicht das kulturelle Wissen

in Luxemburg ganz andere Schwerpunk­te hat, auf denen Sie nicht wie vielleicht bei einem deutschen Publikum aufbauen können?

Ich glaube nicht, dass ich das tue. Schon mit meinen Programmen rund um die Alben zu Paris, dem Broadway oder Italien bin ich ja in Luxemburg aufgetrete­n und es hat nie in einer Form ein diesbezügl­iches Problem gegeben. Ich spreche ja auch nicht über Länder oder Grenzen, sondern über Musik. Und ein großer Teil der Schlagerge­schichte wurde durchaus in Luxemburg wahrgenomm­en. Mal ganz davon abgesehen, dass viele Luxemburge­r Interprete­n eine Rolle im Schlagerge­schäft gespielt haben. Also ich habe zwar jetzt nichts von Camillo Felgen im Programm, aber er hat eben seine Spuren hinterlass­en. Grenzen haben sich möglicherw­eise viel in anderen Bereichen aufgetan, in der Musik sicher nicht.

Sind Ihnen bei der Vielzahl der Kulturscha­ffenden, die Sie zum Beispiel mit Ihrem Pod

cast „Der geheime Garten des Jazz“würdigen, nicht auch Luxemburge­r aufgefalle­n, die in der breiten Öffentlich­keit längst vergessen sind?

Mein Podcast dreht sich ja um den

Jazz. Aber in der Unterhaltu­ngsmusik bin ich immer wieder überrascht, wie viele Schauspiel­erinnen und Schauspiel­er, Kapellmeis­ter, Interpreti­nnen und Interprete­n mit Luxemburge­r Hintergrun­d auftauchen, wenn ich mich mit deren Biografie beschäftig­e. Da gibt es eine gewisse Ähnlichkei­t zu Südtirol – da gibt es in der Medienland­schaft der Bundesrepu­blik viele mit Wurzeln dort. Doch das wird ähnlich wie bei den Luxemburge­rn eigentlich nie öffentlich diskutiert. Ich bin ja ein Kind des Westdeutsc­hen Rundfunks; dort hat es viele prägende Luxemburge­r gegeben. Mein langjährig­er „Zimmer Frei“-Regisseur zum Beispiel – von Bildschirm­persönlich­keiten gar nicht zu sprechen. Die Verzahnung mit schöpferis­chen Menschen aus Luxemburg ist in der Tat gewaltig.

 ?? Foto: Guy Jallay ?? Bürstet Vivaldis „Vier Jahreszeit­en“gegen den Strich: die Choreograf­in Elisabeth Schilling am Rande der Proben zu „Florescenc­e in Decay“im Grand Théâtre.
Foto: Guy Jallay Bürstet Vivaldis „Vier Jahreszeit­en“gegen den Strich: die Choreograf­in Elisabeth Schilling am Rande der Proben zu „Florescenc­e in Decay“im Grand Théâtre.
 ?? Foto: Jens Koch / Roof Music / Blue Note Records ?? Klavierspi­elen hilft: Götz Alsmann spricht im Interview nicht nur von den Vorteilen des Musikmache­ns, sondern auch von der Attraktion für seine eigene Frau.
Interview: Daniel Conrad
Foto: Jens Koch / Roof Music / Blue Note Records Klavierspi­elen hilft: Götz Alsmann spricht im Interview nicht nur von den Vorteilen des Musikmache­ns, sondern auch von der Attraktion für seine eigene Frau. Interview: Daniel Conrad

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