„Gratis-Politik für alle ist nicht finanzierbar“
Luc Frieden möchte die CSV zurück in die Regierung führen. Für welche Politik steht er? Das haben wir den Ex-Minister gefragt
Die CSV soll die stärkste Fraktion im Parlament bleiben und zurück in die Regierung. Das ist das Ziel von Luc Frieden. Er wird am Samstag beim Parteikongress in Ettelbrück zum Spitzenkandidaten gekürt. Wir haben mit dem ehemaligen Minister über die politischen Orientierungen und Ziele seiner Partei gesprochen.
Luc Frieden, Sie haben Ihre gut bezahlten Jobs gekündigt und setzen mit Ihrer Spitzenkandidatur alles auf eine Karte. Gab es schon Momente des Bedauerns?
Nein, es war eine schwierige Entscheidung, weil ich ein relativ komfortables Leben hatte, das nicht im Blick der Öffentlichkeit war. Aber die Zukunft des Landes ist etwas, das mich begeistert. Die Herausforderungen für unser Land sind groß und ich bin jetzt sehr motiviert, dieses demokratische Rennen zu bestreiten. Wir brauchen einen Politikwechsel im Land.
Ihre Parteifreunde sagen, Sie seien die richtige Person, um die CSV aus der Opposition zu holen. Ist der Rückgriff auf Sie als ehemaliger Minister nicht eher ein Beleg für die Unfähigkeit Ihrer Partei, in den vergangenen zehn Jahren einen neuen, jüngeren Kandidaten aufzubauen?
Ich habe Erfahrung in der Regierung sowie in mehreren Luxemburger Unternehmen. Das ergibt ein Profil, das gerade in schwierigen wirtschaftlichen Zeiten die CSV-Spitze dazu verleitet hat, mich vorzuschlagen. Sicher wären andere Kandidaturen möglich gewesen. Aber die Profilbeschreibung, auf die ich passe, ist auf große Zustimmung in den Parteigremien gestoßen.
Co-Präsident Claude Wiseler sagt, die CSV müsse ihr Profil schärfen, Ecken und Kanten haben. Sie aber sagen: Wir müssen Ökologie, Ökonomie und Soziales zusammenbringen. Das klingt nicht nach Ecken und Kanten.
Zunächst ist es wichtig, ein Gesamtbild dessen zu haben, was man für das Land will. Für mich ist das der soziale Zusammenhalt. Dazu brauchen wir eine starke Wirtschaft. Wir brauchen Wachstum, das nachhaltig und inklusiv ist. Geht es der Wirtschaft gut, können wir einen starken Sozialstaat aufbauen, der den Menschen die Kaufkraft gibt, die reicht, um besonders im Bereich Wohnen die Lebensqualität zu haben, die sie sich erwarten. Wirtschaft und Soziales sind eng miteinander verknüpft und es ist völlig klar, dass wir gleichzeitig die Umwelt schützen müssen. Viele Parteien legen den Fokus auf einen dieser Bereiche. Wir wollen die drei Bereiche auf intelligente Weise zusammen- und ins Gleichgewicht bringen.
Im Rahmen der Tripartite im März 2022 entbrannte eine Diskussion um den Index und die Frage, ob er reformiert werden sollte. Wie steht die CSV dazu?
Der Index ist ein wichtiges Element des sozialen Friedens und des Kaufkrafterhalts.
Wir stehen zum automatischen Index. Wir sind uns aber bewusst, dass im Falle einer starken Inflation, wenn also mehr als eine Index-Tranche pro Jahr fällig wird, im Sozialdialog eine Lösung gefunden werden muss, die sowohl dem Einkommensverlust der Menschen als auch der Wettbewerbsfähigkeit der Betriebe Rechnung trägt.
Die Gewerkschaften sagen, Sozialpolitik mache man über Steuern, nicht über den Index. Teilen Sie diese Meinung?
Ich teile sie in Bezug auf die Sozialpolitik. Es ist aber keine Antwort auf die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen. Anders ausgedrückt: Werden mehrere IndexTranchen in einem Jahr fällig, muss man schauen, wie man die Wettbewerbsfähigkeit der Betriebe erhalten kann. Das ist wichtig, da Luxemburg eine offene Wirtschaft hat. Ich möchte verhindern, dass Arbeitsplätze verschwinden oder ins Ausland verlagert werden.
Die Staatsverschuldung steigt seit Jahren und liegt nahe der 30-Prozent-Grenze. Die LSAP hält es für unbedenklich, darüber hinauszugehen. Und Sie?
Schulden sind schlecht für die Zukunft eines Landes, besonders wenn die Zinsen steigen, denn das Geld, das man aufbringen muss, um Zinsen zurückzuzahlen, ist nicht für andere Dinge verfügbar. Wichtig ist auch, dass Luxemburg das Triple A behält. Es sorgt dafür, dass wir Geld zu einem akzeptablen Zinssatz geliehen bekommen. Deshalb bin ich der Ansicht, dass eine mittelfristige Verschuldung, die über die 30-Prozent-Grenze hinausgeht, schlecht für unser Land und inakzeptabel ist. Wenn neue Schulden gemacht werden, dann um große Herausforderungen anzugehen. Ich sehe drei Bereiche, in die wir massiv investieren müssen: Wohnen, Gesundheit und erneuerbare Energien – aber ohne über die 30-Prozent-Grenze hinauszugehen.
Finanzministerin Yuriko Backes (DP) hat vorgerechnet, die von der CSV vorgeschlagenen Maßnahmen zur Stärkung der Kaufkraft würden 1,8 Milliarden Euro kosten. Das passt nicht zum Sparen, das Sie vertreten.
Kaufkrafterhöhung führt zu mehr Lebensqualität und mehr wirtschaftlicher Aktivität. Wenn wir zudem ein attraktiveres Umfeld für Luxemburger Unternehmen schaffen, generiert die Wirtschaft neue Steuereinnahmen mit denen wir andere Ausgaben tätigen können. Zweitens möchte ich, dass, wenn wir neue Leistungen einführen, diese sozial selektiv sind. Nur so ist es möglich, gesunde Staatsfinanzen zu behalten. Wir können nicht jedem alles in gleichem Umfang geben. Eine Gratis-Politik für alle ist nicht finanzierbar.
Wie verträgt sich Ihre Position mit den Aussagen von CSV-Co-Fraktionschef Gilles Roth, der diese Maßnahmen in Höhe von 1,8 Milliarden Euro aber fordert?
Einige der von der CSV geforderten Maßnahmen wurden bereits in der Tripartite beschlossen. Über die großen Orientierungen dessen, was wir in den kommenden fünf Jahren in der Sozial- und Wirtschaftspolitik machen wollen, sind wir uns parteiintern einig.
Stichwort Gratis-Politik: Erwägt die CSV, Gratis-Leistungen, die von der Dreierkoalition auf den Weg gebracht worden sind, rückgängig zu machen?
Meine Aussagen zur Gratis-Politik beziehen sich auf neue Leistungen, die eingeführt werden. Da bestehe ich auf sozialer Selektivität, auch weil es eine Frage der Gerechtigkeit ist. Diese Frage lässt sich nicht allein über die Steuerpolitik beantworten. Wir müssen im Vergleich zum Ausland steuerlich attraktiv bleiben. Wenn wir zu hoch besteuern, haben wir noch mehr Probleme, Arbeitskräfte zu finden.
Wenn wir neue Leistungen einführen, müsse diese sozial selektiv sein. Nur so ist es möglich, gesunde Staatsfinanzen zu behalten.
Ihre erste Priorität ist der Erhalt der Kaufkraft. Was haben Sie vor?
In den vergangenen Jahren sind die Steuern kontinuierlich gestiegen, unter anderem durch die Nicht-Anpassung der Steuertabelle an die Inflation und durch TVA-Erhöhungen. Die Menschen müssen wieder mehr Netto vom Brutto übrig haben, besonders weil Wohnen in Luxemburg teuer ist.
Bezahlbaren Wohnraum zu schaffen, muss eine Priorität der nächsten Regierung sein. Wie will die CSV dieses Kernproblem angehen?
Wir benötigen Investitionen in den Wohnungsbau, die man steuerlich fördern muss. Andererseits brauchen wir ein größeres Angebot. Der Staat muss massiv in Mietwohnungen investieren und viel schneller bauen. In den Städten muss höher gebaut werden und die Prozeduren müssen vereinfacht und beschleunigt werden. Das heißt konkret, dass innerhalb des Bauperimeters keine Kompensierungsmaßnahmen und nach Genehmigung eines PAG keine weiteren Umwelt- oder andere Studien mehr gefordert werden dürfen.
Die privaten Bauträger haben in all den Jahren große Gewinne erzielt. Wäre es da nicht an der Zeit, dass die Preise sinken oder zumindest nicht weiter steigen?
Ich möchte kein sozialistisches Land, in dem der Staat die Preise der Güter festlegt. Wir haben gesehen, wohin das in der Praxis führt, und zwar dass niemand mehr investiert. Die Gesetzentwürfe, die von der Regierung im Bereich Wohnungsbau kürzlich vorgelegt wurden, sind kontraproduktiv. Sollte die CSV Teil der nächsten Regierung sein,
Zur Person
Der Jurist Luc Frieden (59) wurde 1994 erstmals für die CSV ins Parlament gewählt. Er war Minister für Justiz und Budget (1998 bis 2009), Verteidigungsminister (2004 bis 2006) und Finanzminister (2009 bis 2013). Nach den vorgezogenen Wahlen im Oktober 2013 saß Luc Frieden als Oppositionsabgeordneter im Parlament. Im Juli 2014 trat er zurück und wechselte in die Privatwirtschaft.
möchte ich in den ersten drei Monaten eine Art Wohnungsbau-Tripartite organisieren, bei der der Staat, die Gemeinden, das Handwerk und die privaten Bauträger konkrete Maßnahmen beschließen, wie man schneller und mehr bauen kann. Darüber hinaus müssen wir über eine leichte Bauperimeter-Erweiterung im Umkreis einiger Städte diskutieren. Angesichts unserer Wohnungskrise sind unsere Prozeduren zu lang und zu kompliziert.
Die ökologische Wende ist die andere große Herausforderung. Wie soll sie gelingen und wie soll sie finanziert werden?
Wir müssen massiv in erneuerbare Energien investieren. Luxemburg ist eines der europäischen Länder mit dem niedrigsten Anteil erneuerbarer Energien am gesamten Energieverbrauch. Deshalb brauchen wir einen Marshall-Plan, um erneuerbare Energie jeglicher Art zu produzieren. Das kostet viel Geld und dafür kann man auch Kredite aufnehmen. Den Betrieben muss, zeitlich begrenzt, mit steuerlichen Maßnahmen geholfen werden, um die absolut notwendigen digitalen und ökologischen Investitionen zu fördern.
Wird der Klimaschutz eine Priorität einer Regierung unter Beteiligung der CSV sein?
Ja, der Kampf gegen den Klimawandel ist wesentlich. Klimaschutz ist nichts, was man beiläufig umsetzt. Es ist ein transversales Thema, bei dem man für ein Gleichgewicht zwischen den einzelnen Zielsetzungen sorgen muss. Deswegen spreche ich zum Beispiel von nachhaltigem Wachstum. Das darf aber nicht heißen, dass wir kein Wachstum und keine Industrie mehr haben können. Dieses Gleichgewicht wurde in den vergangenen Jahren nicht immer richtig gesetzt. Es muss so gesetzt werden, dass wir auch in Zukunft gut bezahlte Jobs in Industrie und Handwerk haben und die Betriebe schneller Genehmigungen bekommen.
Ein anderes wichtiges Thema ist die Gesundheit: lange Wartezeiten, Personalmangel, überfüllte Polikliniken. Wie will die CSV das Gesundheitssystem reformieren?
Es ist ein Thema, das wir direkt angehen müssen. Eine staatlich verordnete Gesundheitspolitik, die nur von den Krankenhäusern ausgeht, wird den Herausforderungen der Zeit nicht gerecht. Es braucht eine Öffnung zu mehr Privatinitiativen, die sich neben den Spitälern entwickeln können. Wir müssen landesweit eine bessere Verteilung der Gesundheitsdienstleistungen anbieten. Das verlangt substanzielle Änderungen.
Die LSAP schlägt eine Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohnausgleich vor. Wie stehen Sie dazu?
Eine allgemeine Arbeitszeitverkürzung wird es mit der CSV nicht geben. Wir haben in vielen Bereichen einen Mangel an Arbeitskräften. Da kann die Antwort nicht lauten, dass weniger gearbeitet wird. Aber wir brauchen mehr Flexibilität in der Arbeitszeitgestaltung. Die Work-Life-Balance muss den Bedürfnissen der Arbeitnehmer und Arbeitgeber entsprechend von den Betrieben im Sozialdialog organisiert werden und darf nicht vom Staat diktiert werden.
In der Familienpolitik wird derzeit intensiv über die Kinderbetreuung diskutiert. Ihre Partei möchte, dass Eltern, die ihre Kinder zu Hause erziehen wollen, stärker unterstützt werden. In welcher Form?
Kinderbetreuung gehört zum Themenkomplex Work-Life-Balance. Wir brauchen ein flächendeckendes Angebot an Kinderbetreuungsstrukturen, aber es ist nicht die Aufgabe des Staates, den Eltern vorzuschreiben, ob und wie sie das Angebot nutzen sollen. Der Staat muss jungen Familien sowohl mit Sachleistungen als auch mit steuerlichen Begünstigungen helfen. Die Kinder müssen in der Steuerpolitik berücksichtigt werden.
Der ehemalige CSV-Präsident Frank Engel hatte sich ohne Absprache mit der Partei für eine Erbschaftssteuer ausgesprochen. Wie stehen Sie zur Erbschaftssteuer?
Ich bin gegen die Einführung einer Erbschaftssteuer, und das ist auch die Position der CSV. Und ich bin auch gegen die Wiedereinführung einer Vermögenssteuer.
Warum?
Weil ich denke, dass die steuerfreie Erbschaft zum sozialen Aufstieg ganzer Generationen geführt hat. Luxemburg hat eine starke Mittelschicht, weil Eltern und Großeltern erarbeitetes Vermögen an ihre Kinder weitergegeben haben.
Eine mittelfristige Verschuldung, die über die 30-ProzentGrenze hinausgeht, ist schlecht für unser Land und inakzeptabel.
Verstärkt das nicht die Spaltung zwischen Arm und Reich?
Die Erbschaftssteuer ist die falsche Antwort auf dieses Problem.