Das Grand Théâtre und die unvorhergesehene Weltpremiere
Die erste Dezemberhälfte im Grand Théâtre steht ganz im Zeichen des Tanzes: vier Produktionen, darunter eine Weltpremiere, sind zu sehen
Tanz, Tanz und nochmal Tanz – die im Grand Théâtre sehr beliebte und vom Publikum wertgeschätzte Sparte bekommt ab dem 5. Dezember einen eigenen Schwerpunkt in der diesjährigen Saison. Und überraschend hat der eine Weltpremiere zu bieten. Bühnenchef Tom Leick-Burns gibt im Interview erste Einblicke.
Tom Leick-Burns, mit den Stücken von Sarah Baltzinger, Laura Bachman und Rhiannon Morgan stehen ab dem 5. Dezember nicht nur drei starke Frauen im Fokus, sondern das Feuerwerk rund um den Tanz wird mit Shahar Binyaminis „More Than“abgeschlossen. Wie kommt es dazu?
Wir merken, dass das Publikum sich immer mehr freut, wenn es thematische Schwerpunkte quasi in einem Minifestival gebündelt bei uns im Programm findet. Rote Fäden, die auf ganz besondere Weise miteinander verwoben werden. Der Tanz ist seit Jahren bei uns ohnehin schon als Genre beliebt. Aber gleichzeitig hat sich auch gezeigt, dass das Studio als Teilspielstätte angenommen wird, in dem man neue Arbeiten, neue Künstlerinnen und Künstler entdecken kann. Und das hat dann zu solchen Schwerpunkten geführt.
In vielen Fällen koproduziert das Haus nicht nur mit, sondern sorgt auch hinter den Kulissen für neue Netzwerke und Zusammenkünfte, oder?
Das ist den Einzelfällen recht individuell. Einerseits haben wir mit Rhiannon Morgan jemanden, der schon lange im Großherzogtum seiner Arbeit nachgeht. Sarah Baltzinger ist auch längst keine Unbekannte mehr, sondern sie hat ihre Fühler zum Beispiel Richtung Frankreich ausgestreckt. Wichtig erscheint mir, dass sie alle im Programm der hauptstädtischen Bühnen ihren Platz finden oder dass wir Residenzen wie die von Sarah im Rahmen der „Chapelle de la danse“in Annonay aufgreifen.
Laura Bachman haben wir unter anderem aus den Arbeiten bei den „Rosas“von Anne Teresa De Keersmaeker kennengelernt und wollten ihrem eigenen Werk eine Plattform geben. Eine Plattform zu sein; das ist aus den unterschiedlichsten Gründen in diesem Schwerpunkt der Fall. Und gleichzeitig können hier so auch den Austausch der Tanzschaffenden fördern. Von den Entdeckungsmöglichkeiten des Publikums abgesehen, die hier dann ganz neue Ansätze und zum Teil sehr aktuellen, zeitgesellschaftsorientierte Produktionen finden.
Was meint diese Anbindung an den Zeitgeist und gesellschaftliche Verhältnisse genau?
Laura Bachmans Arbeit ist aus der Pandemie entstanden. Da ist diese Angst vor dem Körperkontakt, dieses „Fass mich nicht an“. Das beruht nicht nur auf der Coronazeit-Erfahrung, sondern ist gleichzeitig auch eine Tendenz hauptsächlich der heutigen Frauen und Mädchen, sich aus unterschiedlichen Gründen zu isolieren, vor den Bildschirm zurückzuziehen. Und gleichzeitig greift Rhiannon diese scheinbar unendlich schwierige Suche zu einer Beziehung und damit aus dem Alleinsein auf. Einer Suche, die durch die sozialen Medien eher erschwert zu werden scheint. Und so zeigen wir zwei Perspektiven, eine Art Diptychon auf Muster der heutigen Zeit auf.
Aber da sind ja noch die Arbeiten von Sarah Baltzinger und Shahar Binyamini – was tragen diese in den Schwerpunkt bei?
Das ist vielleicht zum Teil eine Überraschung: Shahar Binyaminis „More Than“sollte eigentlich in Israel seine Uraufführung feiern. Das ist wegen des Krieges aktuell nicht möglich. Wir haben spontan beschlossen, dass die Produktion bei uns geprobt und ihre Weltpremiere feiern kann. Shahar
kommt aus der „Batsheva Dance Company“und ist ein junger Künstler, der sich sehr stark mit dem Körper auseinandersetzt. In dieser Hinwendung an den Körper und die Körperlichkeit ist er wiederum nahe an der Arbeit von Sarah. Beide suchen als Kreative auf ihre Art nach spezifischen Vokabularien heutiger Körper und der Verarbeitung in den Tanz. Und da gibt es dann wieder den Schluss zu Laura und der Frage, wie wir heute im Leben stehen. Insgesamt also ein facettenreiches, zum Teil sehr präzises Aufarbeiten des Zeitgeists.
Tanz-(Ko-)Produktion im Grand Théâtre, dazu das Trois C-L, das zum Etablissement Public wird, Kultur:LX in dem der Tanz seine Förderungen erhält, und ein Koalitionsvertrag der neuen Regierung, der eine Maison des Arts de la Danse in Aussicht stellt. Ist das ein besonderes Zeichen?
Der Luxemburger Kulturkosmos ist Bündnis verschiedener Teile, in dem es eben auch kein Stillstand gibt, sondern auch immer geschaut wird, welche Entwicklung Sinn macht. Egal, wo das nun im Einzelfall geschieht, gilt es, das Ineinandergreifen – das es zum Teil von Jahren nicht gegeben hat – als Infrastruktur so gut wie möglich aufzustellen; immer daran orientiert, wie wir für die Kulturschaffenden eine bessere Basis gestalten und auf die Bedürfnisse reagieren können. Und wir tragen unseren Teil – ob national oder international – dazu bei.