Ukrainisches Sonnenblumenimperium in Luxemburg vor Gericht
Minderheitsaktionäre klagen gegen das Agrarunternehmen Kernel, das seinen Sitz im Großherzogtum hat
Einer der größten Hersteller von Sonnenblumenöl hat seinen Sitz in Luxemburg. Das Unternehmen Kernel produziert etwa fünf Prozent und exportiert acht Prozent des weltweiten Aufkommens an dem Speiseöl. Der Großteil der Aktivitäten ist in der Ukraine, weswegen der Ausbruch des Krieges vor fast zwei Jahren den Aktienwert und die Einnahmen von Kernel in den Keller gehen ließ.
Diese Schieflage war ein entscheidender Faktor dabei, dass sich die Besitzverhältnisse im Betrieb im Laufe des vergangenen Jahres grundlegend änderten. Der ukrainische Oligarch Andriy Verevskyi verleibte sich einen Großteil der Anteile ein. Ein wichtiger Schritt war, dass er seinen Einfluss geltend machen konnte, um die Firma von der polnischen Börse zu nehmen, wo sie bislang gelistet war.
Dagegen gehen die Minderheitseigentümer nun vor einem Luxemburger Gericht vor. Sie behaupten, dass dieser Schritt darauf abzielt, das Agrarkonglomerat billig vollständig in Besitz zu bringen, nachdem der Einmarsch Russlands in die Ukraine das Geschäft geschwächt hat. „Der Modus Operandi einiger Oligarchen in der Ukraine hat sich nicht geändert“, so ein Kläger gegenüber der „Luxembourg Times“zu dem Fall, der nach Ansicht von Minderheitsaktionären ein Beispiel für schlechte Unternehmensführung und schwachen Anlegerschutz ist.
Holdinggesellschaft in Luxemburg
Bei der Klage in Luxemburg gehe es auch um den Schutz von Anlegern in Unternehmen, die an der Warschauer Börse notiert sind, sagt einer der Kläger. Der Fall sei aber auch für Luxemburg als Investitionsstandort wichtig, da Kernel vom Großherzogtum aus Geschäfte mache.
Die Klage wird deshalb vor Luxemburger Gerichten verhandelt, weil die Holdinggesellschaft des Unternehmens hier registriert ist. Die Kläger machen geltend, dass der von Verevskyi als Vorsitzender geleitete Vorstand von Kernel nicht befugt war, die Streichung der Börsennotierung des Unternehmens zu genehmigen, von der letztlich Verevskyi selbst als größter Aktionär profitierte.
Das Kernel-Imperium bewirtschaftet über 300.000 Hektar Land in der Ukraine – eine Fläche größer als die von Luxemburg. Es wurde Anfang der 1990er Jahre von Verevskyi, einem ukrainischen Staatsbürger, gegründet, dessen Privatvermögen auf zwischen 300 Millionen bis eine Milliarde Dollar geschätzt wird.
Russischer Einmarsch schwächt das Unternehmen
Im März letzten Jahres unterbreitete Verevskyi über seine in Zypern ansässige Investmentfirma Namsen ein öffentliches Übernahmeangebot, um andere Anteilseigner von Kernel auszukaufen, und schlug gleichzeitig vor, das Unternehmen von der Warschauer Börse zu nehmen, wo es seit 2007 notiert ist.
Das Angebot kam zu einem kritischen Zeitpunkt für das Unternehmen, denn es musste einen seltenen Verlust hinnehmen. Der russische Einmarsch zerstörte Vermögenswerte des Unternehmens, führte zu der Einberufung von Mitarbeitern in die Armee und versperrte Exportrouten durch das Schwarze Meer.
Namsen bot an, die Aktien zu einem Preis von 18,5 polnischen Zloty (etwa 4,25 Euro) pro Aktie zu kaufen. Das ist weniger als die 24 Zloty (5,50 Euro), zu denen das Unternehmen beim Börsengang 2007 gehandelt wurde, und weniger als ein Drittel des Wertes kurz vor dem Einmarsch Russlands in die Ukraine.
Institutionelle Anleger müssen verkaufen
Die Entscheidung über die Streichung der Börsennotierung – die im April vom Verwaltungsrat genehmigt wurde – hatte zur Folge, dass mehrere institutionelle Anleger, die überwiegend in Polen ansässig sind, gezwungen waren, ihre Anteile an Kernel an die Namsen-Firma des Oligarchen zu verkaufen, sagte Rafal Rzeszotarski, ein polnischer Anleger und einer der acht in Luxemburg gelisteten Kläger.
„Sie müssen wissen, dass polnische Pensionsfonds keine Aktien von Unternehmen halten dürfen, die nicht an der Börse gehandelt werden“, sagte Rzeszotarski. Diese Taktik sei „reine Erpressung“, da die meisten Fonds zu dem günstigeren Preis verkauften und es Verevskyi ermöglichten, seinen Anteil weit unter dem Vorkriegswert zu erhöhen.
Diese Anschuldigungen seien „unbegründet“, entgegnete Kernel auf Anfrage. „Die Tatsache, dass einige Aktionäre keine Anteile an privaten Unternehmen halten dürfen, kann nicht als Argument gegen die Aufhebung der Börsennotierung herangezogen werden, wenn die Aufhebung der Börsennotierung dem besten Interesse des Unternehmens dient und in vollem Einklang mit den geltenden Rechtsvorschriften steht“, teilt das Unternehmen in einer Erklärung mit.
Der Konflikt mit Russland wurde von Namsen Limited schlicht und einfach instrumentalisiert, um das Unternehmen billig zu kaufen. Vorladungstext
Oligarch erhöht seinen Anteil
Verevskyi besaß zu Beginn des Jahres 2023 36 Prozent von Kernel, hatte aber bis zum 30. Juni seinen Anteil an dem Unternehmen auf rund 74 Prozent erhöht, wie aus dem Jahresbericht von Kernel für das im Juni endende Geschäftsjahr 2023 hervorgeht. Ende letztes Jahr hielt Verevskyi fast 92 Prozent am Sonnenblumenimperium, da das Unternehmen im September neue Aktien ausgab, die Namsen aufkaufte. Seitdem haben sich die Finanzen von Kernel erholt und sind zu ihrer Vorkriegsrentabilität zurückgekehrt. Nach einem Verlust von rund 40 Millionen Dollar im Jahr 2022 – gegenüber einem Gewinn von über 500 Millionen Dollar im Jahr 2021 – weist der Jah
resbericht des Unternehmens für 2023 wieder einen Profit von 300 Millionen Dollar aus. In den einleitenden Worten des Dokuments spricht Verevskyi von einem „unerwartet günstigen Ergebnis in der vom Krieg zerrissenen Ukraine, das weitgehend auf einige unterstützende Faktoren zurückzuführen ist, in erster Linie auf den Grain Deal und die hohen Weltmarktpreise“.
Eine Gruppe von acht Parteien – vier ukrainische, ein israelischer und ein USamerikanischer Staatsangehöriger sowie ein estnisches Unternehmen und eine polnische Stiftung, die Rzeszotarski vertritt – beantragten im Oktober bei einem Luxemburger Gericht, die Börsennotierung von Kernel zu stoppen und das Übernahmeangebot vom März zu streichen, wie aus einer der „Luxembourg Times“vorliegenden Vorladung hervorgeht.
Darin wird behauptet, dass Verevskyi die Aufhebung der Börsennotierung inszeniert hat, um sie zu verdrängen und das Multimilliarden-Dollar-Unternehmen zu einem Bruchteil seines Vorkriegswertes zu erwerben.
Die Kläger machen geltend, dass der Verwaltungsrat nicht befugt war, die Börsennotierung des Unternehmens ohne die Zustimmung der Aktionäre aufzuheben, die er, wie im Jahresbericht von Kernel bestätigt, nicht eingeholt hat.
Kaufangebot als unzureichend angesehen
„Der Konflikt mit Russland wurde von Namsen Limited schlicht und einfach ins
trumentalisiert, um das Unternehmen billig zu kaufen“, heißt es in der Klageschrift.
Da Verevskyis Investmentfirma Namsen den Betrieb in ein privat geführtes Unternehmen überführen wollte, sei es rechtlich verpflichtet gewesen, ein Übernahmeangebot zu erstellen, um bestehende Investoren auszukaufen, so die Erklärung von Kernel.
„Es stimmt, dass der historische Marktpreis für die Berechnung des Durchschnittspreises für die Zwecke des Übernahmeangebots verwendet wurde und unter dem Vorkriegsniveau lag, aber diese reine Tatsache hat weder mit Herrn Verevskyi noch mit dem Unternehmen zu tun“, so Kernel. Der Marktpreis spiegele den geopolitischen Kontext wider und alle öffentlichen ukrainischen Unternehmen würden unter dem Vorkriegsniveau gehandelt.
Von der Aufsichtsbehörde genehmigt
Der Ukrainer Andrii Salanets, der die ukrainischen Kernel-Aktionäre vertritt, die zusammen über einen Anteil von etwa einem Prozent verfügen, erklärt, dass sie an den Aktien des Unternehmens festhalten wollen, da es sich um ein sehr rentables Geschäft handelt, das derzeit unterbewertet sei.
Die Tatsache, dass Kernel letzten September 216 Millionen neue Aktien ausgab – nachdem das Unternehmen bereits beschlossen hatte, von der Börse zu gehen -, diente Verevskyi erneut dazu, seinen Anteil zu geringen Kosten zu erhöhen, sagen sowohl Salanets als auch Rzeszotarski.
Rzeszotarski versuchte, Aktien zu kaufen, wurde aber daran gehindert, da Kernel ihm und vielen anderen Minderheitsinvestoren eine zu knappe Frist für die Einreichung der Unterlagen setzte. Dies ermöglichte es Verevskyis Namsen, die neuen Aktien zu erwerben, die zu einem Preis von nur 0,2777 Dollar pro Aktie ausgegeben wurden – etwa 16 Mal niedriger als der Preis, den Namsen sechs Monate zuvor angeboten hatte.
Zweite Klage in Luxemburg
Kernel wiederum bezeichnete die Anschuldigung als unbegründet. Die Investoren hatten mehr als eine Woche Zeit, um die erforderlichen Unterlagen für das Aktienangebot einzureichen, und andere Aktionäre hielten die Frist ein, heißt es in der Erklärung des Unternehmens, das ergänzte, dass auch die polnische Aufsichtsbehörde den Vorgang genehmigt habe. Der Preis für die neuen Aktien lag deutlich unter dem des Angebots vom März, da die externe Nachfrage nach den Aktien gering war, so Kernel.
Sowohl Salanets als auch Rzeszotarski erwägen derzeit eine zweite Klage in Luxemburg, um die Ausgabe der neuen Aktien anzufechten, sagten sie. Die Staatsanwaltschaft lehnte es zunächst ab, zu sagen, ob eine solche Klage bereits eingereicht worden ist. Für die erste Klage wurde noch keine Anhörung anberaumt, sagt ein Gerichtssprecher. Rzeszotarski will im Gegensatz zu Salents seinen Anteil an Kernel veräußern, allerdings zu einem „faireren Preis“, wie er sagte.