Warum man an der größten Wahl in Luxemburg teilnehmen soll
Am 12. März sollen 617.600 Wahlberechtigte ihr Votum bei den Sozialwahlen abgeben. OGBL und LCGB erklären, wie man die Stimme der Arbeitnehmer mit ein paar Kreuzen stärken kann
Am 11. Juni 1903 fanden die ersten Wahlen für die Schiedsgerichte im Rahmen der Unfallversicherung statt, die Vorläufer unserer heutigen Sozialwahlen. Gewählt wurden Arbeitgeber- und Arbeiterdelegierte für jede Industriekategorie und jeden Kanton, wie es im Memorial vom 18. Februar 1903 festgehalten ist. Basis waren die Gesetze über die Kranken- und Unfallversicherung von 1901 und 1902.
Die Sozialwahlen, die alle fünf Jahre stattfinden, bestehen aus zwei Komponenten. Einerseits wählen alle Arbeitnehmer und Rentner in Luxemburg ihre Vertreter in der Arbeitnehmerkammer (CSL). Andererseits geht es für die Arbeitnehmer darum, die Mitglieder der Personaldelegation in ihrem Unternehmen zu wählen.
Außer in Ausnahmefällen finden die Sozialwahlen in den Unternehmen alle am selben Tag statt – 2024 wird dies am 12. März der Fall sein.
Nur jeder Dritte ging 2019 zur Wahl
Mit Flyern und Aufklärungszetteln werden die Arbeitnehmer dieser Tage auf die Abstimmung eingestimmt – und vor allem aufgeklärt. Das sei wichtig, betont die Präsidentin der Arbeitnehmerkammer Nora Back, lag doch die Wahlbeteiligung 2019 lediglich lag bei 32,62 Prozent – und eine Wahlpflicht gibt es hier nicht.
Die Hauptaufgabe der Arbeitnehmerkammer, die aus 60 Vertretern aus neun sozio-professionellen Gruppen besteht, ist die Wahrnehmung der Interessen ihrer Mitglieder. In den Gruppen Eisen- und Stahlindustrie (fünf Sitze), sonstige Industrie (acht Sitze), Bauwesen (sechs Sitze), Finanzdienstleistungen (acht Sitze), Dienstleistungssektor (14 Sitze), Verwaltung und öffentliche Unternehmen (vier Sitze), Nationale Eisenbahngesellschaft (drei Sitze), Gesundheit und Soziales (sechs Sitze) sowie Rentner (sechs Sitze) werden diese Vertreter gewählt, diesmal von 445.600 Arbeitnehmern, 153.000 Rentnern, 4.000 Auszubildenden sowie 15.000 Arbeitssuchenden.
So erhielt der OGBL bei den letzten Wahlen 2019 zur Arbeitnehmerkammer 35 der 60 Sitze und verteidigte seine absolute Mehrheit. Der LCGB kam auf 18 Sitze, die Banken-Gewerkschaft Aleba auf vier, der Landesverband (FNCTTFEL) auf zwei und Syprolux auf einen Sitz.
Warum man an der größten Wahl in Luxemburg teilnehmen soll, erläutern die Gewerkschaftspräsidenten Nora Back (OGBL) und Patrick Dury (LCGB). „Diese Wahl ist ein wichtiger Pfeiler der Demokratie im Großherzogtum, denn sie gibt den Angehörigen der Arbeitnehmerkammer, unabhängig von Nationalität oder Wohnort, die Möglichkeit, ihre Stimme zu erheben, indem sie ihre Vertreter in den Berufsgruppen wählen“, erklärt es Nora Back. Man wähle, um das Gewicht der Arbeitnehmer in der politischen Debatte zu stärken, unterstreicht Patrick Dury, Präsident der Gewerkschaft LCGB. Schließlich gibt die CSL Stellungnahmen zu allen Gesetzesvorlagen
ab, die die Arbeitswelt betreffen, wie Dury präzisiert.
Damit gilt die Chambre des salariés als wichtige Stimme in Gesetzgebungsverfahren und in den zahlreichen sozialen und wirtschaftlichen Gremien des Landes. Die Kammer verfasst pro Jahr rund 100 Stellungnahmen zu den verschiedensten Themen wie Index, Steuern, Sozialversicherung, Arbeitsrecht, aber auch Wohnungswesen, Bildung und Berufsausbildung.
Im Rahmen dieser Stellungnahmen habe die CSL beispielsweise die Ungleichheiten im luxemburgischen Steuergesetz sowie die wachsende Steuerbelastung durch die kalte Progression kritisiert. Durch die Kammer würden aber auch soziale Errungenschaften geschützt, ergänzen die Gewerkschaftler einmütig.
So wähle ich die CSL
Was den Ablauf der Sozialwahl für die Arbeitnehmerkammer angeht, so handelt es sich hierbei um eine Briefwahl. Alle Arbeit
nehmer und Rentner erhalten ab Januar bis spätestens Ende Februar 2024 einen Brief nach Hause, wo auch immer sie wohnen. In dem Schreiben befinden sich die Stimmzettel, die in einem neutralen Umschlag (Kuvert) stecken, der unverschlossen ist und die Aufschrift „Wahlen der Berufskammern“trägt. Ferner trägt der Umschlag die Bezeichnung der Berufsgruppe, der der jeweilige Wähler angehört. Ein zweiter Umschlag ist ebenfalls unverschlossen. Auf ihm sind die Anschrift des Vorsitzenden des Wahllokals, die Eintragungsnummer in der Wählerliste sowie den Vermerk „Porto übernimmt Empfänger“(Rücksendeumschlag) zu lesen.
Dann ist der Wähler am Zuge. Entweder wählt er eine einzige Liste oder er teilt seine Stimmen auf die Kästchen hinter den Kandidatennamen einer Liste auf oder er teilt seine Stimmen auf verschiedene Listen auf, das ist das bekannte Panaschieren. Die Anzahl seiner Stimmen entspricht maximal der Anzahl der zu wählenden Kandidaten. Der Wahlzettel muss bis zum 12. März 2024 zurückgeschickt werden.
„Wenn wir uns anschauen, wie hart die Menschen früher für ein Mitspracherecht kämpfen mussten, so ist es umso beachtlicher, dass wir gerade 100 Jahre Arbeitnehmerkammer feiern können“, so Nora Back mit Blick auf das Jubiläum. „Ich bin stolz darauf, dass wir heute mit der CSL eine so starke Stimme der Arbeitnehmer haben – und durch die Teilnahme an der Wahl kann jeder diese Stimme weiter stärken.“Denn diese Stimme habe bei einer enormen Wahlbeteiligung vor allem ein entsprechendes Gewicht gegenüber der Politik.
Seit über 50 Jahren setzt sich die Arbeitnehmerkammer aber auch für die Weiterbildung der Arbeitnehmer ein. Die Schulungen der CSL sind in diesem Zusammenhang ein starkes Instrument des sozialen Aufstiegs, das sich an alle richtet – und mit über 12.000 Anmeldungen pro Jahr ist das Luxembourg Lifelong Learning Centre (LLLC) der CSL einer der größten Anbieter von Fortbildungsmaßnahmen für Erwachsene in Luxemburg.
Einmal Briefwahl, einmal betrieblicher Urnengang
Vergessen werden darf natürlich nicht die Delegiertenwahl, die Interessenvertretung des Einzelnen im Betrieb. Denn alle fünf Jahre müssen die luxemburgischen Arbeitgeber eine Betriebsratswahl abhalten, sofern sie in den zwölf Monaten vor dem ersten Tag des Monats der Wahlankündigung mindestens 15 Arbeitnehmer beschäftigen.
Und welche Bedeutung kommt nun diesen Wahlen zu? Die Personalvertretung hat
Ich bin stolz darauf, dass wir heute mit der CSL eine so starke Stimme der Arbeitnehmer haben. Nora Back, Präsidentin der Arbeitnehmerkammer (CSL)
die Aufgabe, die Interessen der Beschäftigten zu vertreten und zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen im Unternehmen beizutragen, sagt dazu der Gewerkschaftler Dury.
Wählbar ist jeder, der seit zwölf Monaten (am Stichdatum 1. Februar 2024) in einem Unternehmen beschäftigt und mindestens 18 Jahre alt ist. Dabei ist es Aufgabe des Arbeitgebers, diese internen Wahlen zu organisieren. Im Falle einer Nichtorganisation kann der Arbeitgeber von der Gewerbeinspektion (Inspection du Travail et des Mines – ITM) auch bestraft werden.
Hier steht der Sozialdialog in dem jeweiligen Unternehmen im Vordergrund, sagt Nora Back vom OGBL. Der Sozialdialog ist der wichtige Pfeiler in der nachhaltigen Entwicklung von Wirtschaft und Gesellschaft, wie es die Gewerkschaftler ausdrücken. Gemeint ist also die Zusammenarbeit zwischen den Arbeitnehmern, durch ihre gewählten Vertreter, und ihren Arbeitgebern im Rahmen der wirtschaftlichen und sozialen Tätigkeit des Unternehmens, der als „ein Grundpfeiler des Sozialmodells und Garant für den sozialen Frieden im Land“beschrieben wird.
Alles mündet am Ende im Luxemburger Tripartite-Modell, dem Modell, das auf einem Austausch zwischen Regierung, Arbeitgebern und Gewerkschaften über wichtige wirtschaftliche und soziale Fragen basiert, mit dem Ziel, Problemen durch einen Konsens zu lösen – und wo es nach Ansicht der Gewerkschaftler auf starke Interessenvertreter aus der Arbeitnehmerschaft gegenüber Regierung und Patronat ankommt. Zum Beispiel, wenn es um die Sicherung und Erhaltung der Pensionen und Renten gehen soll, ein Punkt, in dem die beiden großen Gewerkschaften OGBL und LCGB gemeinsam an einem Strang ziehen.