„Dann wird in einigen Gebieten die Landwirtschaft verschwinden“
In den Nachbarländern gehen die Landwirte auf die Straße. Bauernpräsident Christian Wester spricht über die Lage der Höfe in Luxemburg, das Problem der Überregulierung und die Verantwortung der Konsumenten
Nach den deutschen Landwirten protestieren nun auch die französischen und belgischen Bauern für bessere Arbeitsbedingungen und gegen die Kürzung von Subventionen. Der Sektor leide auch in Luxemburg unter der ständig wachsenden Zahl von Auflagen, die oft in der Praxis keinen Sinn ergeben, sagt Christian Wester, der Präsident der Centrale Paysanne Luxembourgeoise.
Christian Wester, in den Nachbarländern protestieren die Landwirte mit zum Teil rabiaten Methoden. Inwiefern unterscheidet sich die Situation von Bauern in Luxemburg von denen in Frankreich oder Deutschland? Was ist ähnlich?
Verschiedene Probleme sind schon ähnlich wie in den Nachbarländern. Indem die neue Regierung angekündigt hat, mehr mit der Landwirtschaft zu sprechen und heikle Themen direkt mit dem Sektor durchzugehen, hat sie hier aber schon mal viel Druck aus dem Kessel genommen. Die Situation in den Nachbarländern ist vor allem dadurch zustande gekommen, dass die dortigen Regierungen Entscheidungen über die Köpfe der Menschen hinweg getroffen haben. Da waren gar nicht die Kürzungen allein ausschlaggebend, sondern das war nur der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen gebracht hat. Da hat sich viel Frust angesammelt.
Was hat denn abgesehen von der Kürzung der Dieselsubventionen das Fass gefüllt, das nun übergelaufen ist?
Ein Hauptproblem sind die ständig steigenden Auflagen, die wir von der Politik bekommen, wie zum Umweltschutz oder zum Tierwohl. Das ist natürlich mit höheren Kosten verbunden. Die Entscheidungen werden von den Bürgern zwar grundsätzlich mitgetragen, wenn sie aber dann an der Supermarktkasse stehen, tendieren sie doch dazu, das billigere Produkt zu kaufen.
Damit das besser greifbar ist, können Sie ein paar Beispiele nennen für Auflagen, die für Bauern Mehrkosten oder Zusatzarbeit verursachen?
Bei den Schweinebetrieben sind es zum Beispiel die Bodenbeläge in den Ställen. Schweine werden auf Spaltenböden gehalten, damit die Exkremente durchfallen und unten gesammelt werden. Die Böden halten normalerweise 15 bis 20 Jahre. Die Normen, die festlegen, wie breit die Schlitze sein dürfen, werden aber alle zehn Jahre strenger. Manche Höfe hatten in der Vergangenheit Böden auf dem Markt gekauft, die standardmäßig eine Breite von 20 Millimetern hatten, dann wurde die Norm auf 18 Millimeter gesenkt. Wenn der Stall neu gemacht werden muss, bevor er vollständig abgeschrieben ist, stellt das die Betriebe vor finanzielle Probleme.
Dann gibt es bestimmte Auflagen, die an genaue Daten gebunden sind. Zum Beispiel darf man organischen Dünger nur bis zu einem bestimmten Tag ausbringen. In der Landwirtschaft sind wir aber vom Wetter abhängig und müssen es dann ausfahren, wenn es von den Bedingungen her Sinn macht. Aber es ist für die Behörden leichter zu kontrollieren, also wird nur nach dem Datum geschaut. Viele Luxemburger Bauern bearbeiten Land auf beiden Seiten der Grenze – mit jeweils unterschiedlichen Bestimmungen. Das macht es nicht gerade einfacher.
In allen Lieferketten steht der Bauer immer am Ende, der das erhält, was die anderen übrig lassen.
Von den deutschen Bauern hieß es, ihnen stehe das „Wasser bis zum Hals“. Sehen Sie die Situation bei den Luxemburger Landwirten ähnlich düster?
Umweltauflagen sind hier streng, aber in Deutschland nochmal deutlich strenger, insbesondere, was den Einsatz von Düngemitteln angeht. Sie werden auch in kurzen Abständen verändert, ohne mit den Betroffenen zu sprechen und teilweise auf Basis von Studien mit fehlerhaften Grundannahmen.
Aber gibt es auch in Luxemburg ein massenhaftes Höfesterben?
Wir haben auch hier im Land einen Strukturwandel. Von den Schweinebetrieben haben zum Beispiel viele zuletzt mit der Zucht aufgehört, weil das sehr arbeitsintensiv ist. Arbeit ist in Luxemburg teuer und es ist auch schwer, Leute zu finden, die die Arbeit machen.
Von den Produkten, die im Supermarkt über die Theke gehen, bleibt zu wenig bei den Bauern hängen, heißt es. Wie kommen die Preise zustande, die den Betrieben gezahlt werden?
Neunzig Prozent der Milch hier im Land wird in Genossenschaften verarbeitet, die den Bauern gehören. Die haben natürlich das Ziel, den Bauern den bestmöglichen Preis zu bezahlen. Privatmolkereien jon
glieren immer dazwischen, dem Bauern nicht zu viel, aber doch genug auszubezahlen. Bei weiterverarbeiteten Produkten findet die Preisfindung im Supermarkt statt. Da hängt es immer davon ab, was die Konsumenten zu zahlen bereit sind. Lebensmittel, die hier produziert werden, sind nunmal eher im Hochpreisbereich angesiedelt.
Bei Fleisch und Getreide ist der Markt viel liberaler, da hängt vieles nur von Angebot und Nachfrage ab. Vor allem Getreide kann leicht gelagert und transportiert werden. Da gibt es Standardqualitäten, die am Weltmarkt gehandelt werden. Da können kleine Verwerfungen schon große Auswirkungen auf die Bauern hier haben.
In Deutschland wird viel über die Marktmacht der großen Supermarktketten gesprochen, die den Bauern die Preise diktieren können. Ist das auch für die Luxemburger Bauern ein Problem?
Ja, Luxemburger Betriebe exportieren ja auch Waren nach Deutschland. Das ist dort tatsächlich ein Problem, dass die Marktmacht der Großen einfach zu stark ist. Der Lebensmitteleinzelhandel kann seine Lieferanten teilweise gegeneinander ausspielen, weil es bei verschiedenen Produkten einen Überschuss gibt. Das nutzen sie kaltblütig aus. Das wirkt sich auch innerhalb Luxemburgs aus. Wir sind ein kleines Land. Die regionalen Produkte stehen in Konkurrenz mit den Produkten aus dem Ausland. Man kann hier also nicht zu teuer werden.
In allen Lieferketten steht der Bauer immer am Ende, der das erhält, was die anderen, die vorher kommen, übrig lassen. Es hieß, dass die Brötchen teurer werden, weil der Weizen sich verteuert hat. Der Preis von Getreide ist aber inzwischen wieder auf den Stand von vor dem Ausbruch des Ukraine-Krieges zurückgefallen, ohne dass man festgestellt hat, dass die Brötchen wieder günstiger wurden. Man hat als Bauer immer das Gefühl, dass wenn unsere Produkte am Weltmarkt anziehen, das an den Konsumenten weitergegeben wird. Wenn wir aber dann wieder weniger bekommen, ändert sich auf der anderen Seite nichts. Dazwischen ist da immer jemand, der sich die Taschen vollmacht.
Um eine bessere Verhandlungsposition zu haben, könnte man das Genossenschaftsmodell nicht auch auf andere landwirtschaftliche Produktgruppen anwenden?
Dass das bei den Molkereien so gemacht wird, ist historisch gewachsen. Milch musste immer relativ schnell lokal verarbeitet werden. Bei Getreide und Fleisch gibt es ein anderes Marktmodell, weil die Produkte hier leichter haltbar zu machen und zu transportieren sind.
Subventionen werden in der EU vor allem auf Grundlage der Fläche berechnet. Bevorzugt das die größeren Betriebe?
Ja, faktisch bekomme ich bei einem 100Hektar-Betrieb hundertmal mal als bei einem Hof mit einem Hektar. Aber ob das nun auch bedeutet, dass sie pro Arbeitskraft mehr bekommen, ist dann eine andere Frage. Generell hat die Berechnung nach Fläche schon ihren Sinn, Land ist letztlich in der Landwirtschaft immer der begrenzende Faktor.
Wenn ich das jetzt zum Beispiel auf die beschäftigten Arbeitskräfte umlege oder auf die Zahl des Viehs, ergeben sich andere Probleme. Das ist ein gewachsenes System, das Schwächen und Stärken hat. Das auf den Kopf zu stellen, ist nicht einfach.
Es ist auch gar nicht leicht zu bestimmen, was ein Großbetrieb ist. Ein Großbetrieb hier oder in Rheinland-Pfalz ist etwas ganz anderes als in Ostdeutschland oder in Osteuropa, wo sie ganz andere Dimensionen vorfinden.
Eine radikale Lösung, das System umzustellen, wäre, man setzt nur noch auf den Markt. Man streicht alle Vorgaben, aber auch alle Subventionen und öffnet den Markt. Wie würde sich das auf die Luxemburger Landwirte auswirken?
Aktuell ist der Agrarmarkt relativ gut geschützt mit Zöllen und mit Auflagen. Ein Problem ist, dass viele Produkte, die aus Drittstaaten als äquivalent mit unseren Bestimmungen eingestuft werden, tatsächlich aber nicht gleichwertig mit unseren Standards sind. Das ist aber die Handelspolitik der EU. Da werden Ländern Exportkontingente für Agrarstoffe zugesagt, damit wir im Gegenzug Industriegüter oder Dienstleistungen exportieren können.
Was passiert, wenn wir die Subventionen ganz abschaffen? Dann wird in den geologisch und geografisch benachteiligten Gegenden die Landwirtschaft verschwinden, weil die Betriebe nicht konkurrenzfähig sind mit weitläufigen, flachen Gegenden, in denen es für Großbetriebe leichter ist. Dann geht es nur noch um Kostenführerschaft. Man sieht es ja im Supermarkt, die meisten orientieren sich beim Einkaufen nur nach ihrem Portemonnaie. Gerade zuletzt, als die Kaufkraft gesunken ist.
Viele geben ihr Geld lieber für drei oder vier Reisen im Jahr aus. Das kann man dann auf sozialen Medien posten. Was ich zu Hause auf dem Teller liegen habe, bekommen die wenigsten mit. An Lebensmitteln wird da eher gespart.
Niemand scheint ja mit dem aktuellen System richtig zufrieden zu sein. Wenn Sie das Agrarsystem grundlegend neu gestalten könnten. Wie würde das aussehen?
Wichtig wären schonmal faire Handelsbedingungen gegenüber Drittstaaten. Ohne einen effizienten Außenschutz wird der Druck auf die Landwirtschaft in Europa immer größer. Es gehört aber zu den Pflichten eines Staates, dafür zu sorgen, dass er seine Bevölkerung ernähren kann.
Das fängt an den Außengrenzen an und dabei, was wir hereinkommen lassen. Dabei geht es nicht nur um ökologische Kriterien, sondern auch um Sozialstandards. Bei den deutschen Nachbarn war der Mindestlohn bei den Saisonarbeitern ein großes Thema; auf der anderen Seite importieren wir landwirtschaftliche Produkte, die unter Bedingungen geerntet und verarbeitet werden, die mit unseren Standards nicht vergleichbar sind. Dem wird im Außenhandel kaum Rechnung getragen.
Was sollte sich aus Ihrer Sicht noch ändern, dass sich die Situation für Landwirtschaft verbessert?
Was der Einzelne machen kann, um die Landwirtschaft zu unterstützen, ist, regionale Produkte zu kaufen, unabhängig davon, ob das jetzt Bio ist oder nicht. Früher haben sich viel mehr Leute von regionalen Produkten ernährt, weil es eben den weltweiten Handel nicht gegeben hat. Wenn man Produkte von hier kauft, kommt das nicht nur den Bauern zugute, sondern auch den regionalen Verarbeitern.
Die Erwartungshaltung von vielen Konsumenten ist im Moment, dass zu jedem Zeitpunkt alles erhältlich sein muss. Da muss man sich fragen, ob ich wirklich im Januar die Erdbeeren aus Südafrika essen muss oder ob nicht auch ein Apfel oder eine Birne reichen.