Der Streit zwischen Selenskyj und seinem Armeechef eskaliert
Die Gerüchte um eine Ablösung des ukrainischen Kommandeurs Walerij Saluschnyj wollen nicht abreißen
Fix ist gar nichts – nur das ist fix. Und dennoch: Die Gerüchte um eine Ablösung von Walerij Saluschnyj, dem charismatischen Oberbefehlshaber der ukrainischen Streitkräfte, wollen nicht abreißen. Ein Gespräch zu dem Thema zwischen Präsident Wolodymyr Selenskyj und Saluschnyj dürfte es gegeben haben. Das berichteten mehrere Medien übereinstimmend. Was aber genau der Inhalt war, das ist nicht klar.
Unterschiedlichen Aussagen zufolge habe der Präsident Walerij Saluschnyj den Rücktritt nahegelegt, was Saluschnyj aber verweigert habe. Weiteren Meldungen zufolge hat Selenskyj den Armeechef im Anschluss an des Treffen gefeuert. All das spielt sich allerdings in der Dimension der Gerüchte ab. In offiziellen Kommunikationskanälen: Kein Wort dazu. Nur so viel: Stimmt alles nicht.
Diese Stille um die Affäre lässt aber die Ahnung anwachsen, dass hier etwas im Busch ist. Saluschnyj und Selenskyj sind die zwei wohl präsentesten Persönlichkeiten in der ukrainischen Öffentlichkeit. Saluschnyj, der so gar nicht post-sowjetische Militär; Selenskyj, der Kriegspräsident mit einem Hang zur Selbstdarstellung. Von einem Konflikt zwischen den beiden war bereits seit geraumer Zeit die Rede. Aus dem Nichts kommen die aktuellen Gerüchte also nicht. Einer der Gründe für die Verstimmungen ist ganz sicher in den Umfragen zu finden. Selenskyj holt gerade ein, was andere ukrainische Präsidenten vor ihm üblicherweise schon Tage nach der Wahl ereilt hat: ein signifikanter Absturz in den Vertrauenswerten. Laut einer Umfrage aus dem Dezember 2023 liegt Selenskyj bei um die 62 Prozent – was für ukrainische Verhältnisse für einen Amtsinhaber nach wie vor extrem hoch ist. Saluschnyj aber: Dem vertrauen laut dieser Umfrage satte 88 Prozent und der Armee gar 96 Prozent.
Dass die Umfragen so liegen, hat seine Gründe. Ein Blatt hat Saluschnyj nie vor den Mund genommen. Die Lage im Krieg mit Russland verglich er in einem Interview mit dem „Economist“mit dem Grabenschlachten des Ersten Weltkrieges. Seine Schlussfolgerung: Ohne technologische Überlegenheit gehe hier nichts weiter. Hochrangige Militärs aus seinem Umfeld kritisierten zudem immer wieder die so breitmundig von Selenskyj für den vergangenen Sommer angekündigte Gegenoffensive als riskanten PRStunt ohne Fundament. So etwas wie Pläne für eine großangelegte Gegenoffensive habe es nie gegeben. Es sei ganz einfach Krieg. Man plane von Tag zu Tag, von Schlacht zu Schlacht, teste aus, wo man die Russen zurückdrängen könne. Selenskyjs Büro wiederum kritisierte Saluschnyj offen nach dessen Äußerungen gegenüber dem „Economist“. Schon damals gab es Gerüchte über eine mögliche Ablöse von Saluschnyj.
Ein äußerst riskanter Schritt
Sollte das jetzt passieren, so wäre das ein äußerst riskanter Schritt – nicht nur militärisch im Krieg gegen Russland, sondern vor allem auch was die öffentliche Meinung angeht. Saluschnyj ist zu so etwas wie einer lebenden Legende geworden. Ein Militär, nüchtern, wortkarg, aber mit Humor und nahbar, der sich zumindest soweit bekannt, keine groben strategischen Fehler geleistet hat. Er ließ die Russen vorrücken, ihre Versorgungslinien überstrapazieren, und gab den ukrainischen Verbänden im Feld genug Autonomie, um punktgenau zuschlagen zu können. Saluschnyj steht für eine komplette Abkehr von den starren Strukturen der sowjetischen Militärtradition mit ihren langen und damit trägen Befehlsketten. Zudem holte Saluschnyj aus dem Mangel, mit dem die ukrainischen
Streitkräfte seit Anbeginn des offenen Krieges zu kämpfen hatten, bisher das Maximum heraus.
Vor allem aber war die Armee bereit auf einen russischen Angriff, während von politischer Seite bis zuletzt eher Beschwichtigungen zu hören waren. Und all das sind Dinge, die Saluschnyj nach wie vor hoch angerechnet werden.
Ein Armeeangehöriger charakterisiert den Konflikt letztlich so: Selenskyj verstehe das Militär nicht und der Leiter der Präsidentschaftskanzlei Andrij Jermak betrachte Saluschnyj als persönlichen Feind seines Chefs. Und Saluschnyj? Der sei ganz einfach kein Freund des politischen Showbusiness.