„In einer Diktatur muss man sich mit allem arrangieren“
Jean-Paul Maes inszeniert im Kaleidoskop Theater Kafkas „Prozess“. Ein Stück, das vor totalitären Methoden warnt und erschreckend aktuell ist
„Das Stichwort für die Musik, bitte!“, ruft Jean-Paul Maes mit kräftiger Stimme in den Saal. Alle Schauspielenden befinden sich auf ihren jeweiligen Plätzen, warten gespannt darauf, dass Konstantin Rommelfangen seinen Text spricht. Und dann geht es auch schon los. Verzerrte Orgelmusik ertönt im Hintergrund; Claude Faber und Tim Olrik Stöneberg begleiten Timo Wagner auf die Bühne des KulTourhaus in Hüncheringen, wo er einen kurzen Moment der Bestürzung mit Friederike Majerczyk erlebt.
Der Luxemburger Schauspieler, den man unter anderem aus „Läif a Séil“kennt, übernimmt in der aktuellen Theaterproduktion des Kaleidoskop Theaters die Hauptrolle. Und zwar schlüpft er hierfür in die Rolle des Josef K. – der Protagonist aus Franz Kafkas Roman „Der Prozess“(1925).
Im Rahmen des Kafka-Jahres – am 3. Juni 2024 jährt sich sein Todestag zum 100. Mal – inszeniert Jean-Paul Maes Kafkas postum erschienenes Werk. Ein Text, den der Prager Schriftsteller zwischen 1914 und 1915 verfasste, aber nie vollendete. Doch das Kafka-Jahr ist für den Luxemburger Regisseur längst nicht der einzige Anlass, eine Bühnenadaptation von „Der Prozess“in Luxemburg aufzuführen.
Warnung vor totalitären Praktiken
Vielmehr sei auch Kafkas Darstellung totalitärer Praktiken, wie man sie aus Diktaturen kennt, ein Grund, den Roman gerade jetzt auf die Bühne zu bringen. Sozusagen auch als eine Art Warnung. „Die Situation aus dem Roman ist absolut auf die Aktualität übertragbar. Wir hier in Luxemburg leben immer noch in einer Demokratie. Aber es gibt Länder, auch europäische, bei denen man nicht gedacht hätte, dass man mittlerweile aufpassen muss, dass es auch bei einer Demokratie bleibt“, erklärt Jean-Paul Maes, während im Festsaal des KulTourhauses noch fleißig weiter geprobt wird. Immerhin steht die Premiere am 8. Februar bald an.
„Und sowohl in dem Text als auch in unserem Stück muss jede Figur aufpassen, was sie sagt. Wenn jemand etwas Falsches von sich gibt, kann das verfänglich werden. Man weiß ja nie, wessen Ohren wo zuhören.“Denn auch Josef K., der tragische Held, glaubt denunziert worden zu sein. Von wem, ist nicht klar – schließlich möchte auch Jean-Paul Maes dem Publikum das Gefühl vermitteln, dass jeder der Denunziant gewesen sein könnte.
Der 30-jährige Prokurist einer Bank, Josef K., wird nichts ahnend verhaftet. Wieso, wird dem jungen Mann nicht erklärt. Zunächst hält er das Ganze für einen Scherz, doch allmählich stellt sich heraus, dass er sich tatsächlich vor Gericht rechtfertigen
Es gibt europäische Länder, bei denen man nicht gedacht hätte, dass man aufpassen muss, dass es auch bei einer Demokratie bleibt. Jean-Paul Maes, Regisseur
werden durch den gesamten Saal spielen. Wir haben unsere Hauptbühne, dann gibt es eine Bühne auf der anderen Ende des Saals und dazwischen steht dann ein Steg, der die beiden Spielflächen miteinander verbindet. Die Zuschauer werden an den Seiten sitzen und sich somit ständig inmitten des Stücks befinden.“Das Publikum wird stellenweise sogar Teil des Stücks.
Ist während den Proben im KulTourhaus bisher nicht das gesamte Bühnenbild zu sehen, so kann man dennoch Jean-Paul Maes bei seiner Arbeit als Regisseur beobachten: Konzentriert schaut er dem Schauspiel zu. „Da musst du lauter sprechen“, meint er zu Timo Wagner. Bevor die Szene wiederholt werden kann, werden im gesamten Team noch einmal letzte Details diskutiert.
Gesellschaftsstatus und Stigmatisation
„Der Prozess“ist ein Stück über Gerechtigkeit und Ungerechtigkeit. Eine Inszenierung, die sich ebenfalls um Stigmata der Gesellschaft und Reputation dreht. Denn ab dem Moment, in dem Josef K. verhaftet wird, liegt auf ihm der Stempel des Straftäters – da kann ihm auch seine gute Stelle als Prokurist nicht weiterhelfen.
„Josef K. steht auch für unsere heutige Gesellschaft. Gerne prahlen Leute damit, wenn sie selbst oder ihre Kinder höhere Posten in der Berufswelt innehaben. Sie meinen, deswegen seien sie besser als andere und diskriminieren dadurch davon abweichende Berufsklassen. Und diese Überheblichkeit, die Josef K. aus seinem gesellschaftlichen Stand herausnimmt, lässt ihn danach auch tiefer fallen“, so Jean-Paul Maes.
So macht der Theatermacher darauf aufmerksam, dass solche Situationen, auch wenn sie wie bei Kafka nicht real wirken, jeden treffen können. Kafkaeske Vorkommnisse lauern nur so um die Ecke.