So unterhaltsam können Radrennen sein
Beim Saison-Auftakt in Belgien präsentiert sich Alex Kirsch in guter Form. Die Visma-Mannschaft dominiert nach Strich und Faden
Der belgische Auftakt in die RadsportSaison hat die riesigen Erwartungen erfüllt. Die 79. Ausgabe des Omloop Het Nieuwsblad war spannend, abwechslungsreich und rasend schnell. Zumindest einer der drei Luxemburger spielte eine sehr interessante Rolle.
Aber der Reihe nach: Bereits vor dem „Opening Weekend“war klar, dass der Sieg an beiden Tagen nur über das Team Visma-Lease a Bike führen würde. Die gelben Trikots spielten ihre Favoritenrolle dann auch aus: Jan Tratnik (SLO) setzte sich am Samstag nach 202,2 Kilometern in Ninove durch. Der bis dahin unauffällige Slowene hatte sich auf den letzten sieben Kilometern zusammen mit Nils Politt (D/Emirates) aus einer Spitzengruppe davongestohlen. Im Sprint hatte er keine Probleme, seinen deutschen Rivalen in Schach zu halten.
Wout van Aert (B/Visma), der 24 Stunden später in Kuurne jubeln sollte und somit den Visma-Doppelschlag perfekt machte, regelte den Sprint der ersten großen Gruppe mit acht Sekunden Rückstand vor Oliver Naesen (B/Decathlon) und Christophe Laporte (F/Visma). 30 Fahrer waren dort vertreten.
Sofort nach dem Start hatte sich eine neunköpfige Spitzengruppe gebildet. Wer aber nun dachte, diese weitgehend unbekannten Fahrer würden einen Großteil des Tages an der Spitze absolvieren, der sah sich getäuscht.
Denn schon 130 Kilometer vor dem Ziel zerfiel das Peloton im Wind in mehrere Gruppen! 23 Fahrer lösten sich und fingen die Ausreißer rasch wieder ein. Die Visma-Truppe hatte den Coup exakt so geplant. „Bei Seitenwind gibt es eine goldene Regel: Es ist besser, es selbst zu probieren, als zu versuchen, zu kontern“, brachte van Aert die Situation auf den Punkt.
Die Visma-Brigade war mit fünf Fahrern vorne vertreten. Van Aert, Laporte,
Matteo Jorgenson (USA), Edoardo Affini (I) und Tiesj Benoot (B) waren in der Überzahl. Das Rennen blieb schnell und unübersichtlich. Es folgten Attacken im Minutentakt. Die Kombination aus Wolvenberg und Kerkgate schien schließlich vorentscheidend zu sein. Affini hatte einen Reifenschaden, Benoot litt an Rückenschmerzen und so konnten nur Jorgenson, Laporte, Arnaud De Lie (B/Lotto), Thomas Pidcock (GB/Ineos) und der bärenstarke Toms Skujins (LAT/Lidl) der Tempoverschärfung von van Aert folgen.
Bei Seitenwind gibt es eine goldene Regel: Es ist besser, es selbst zu probieren, als zu versuchen, zu kontern. Wout van Aert
Das kleine Peloton dahinter gab sich nicht geschlagen. Der Rückstand betrug nie mehr als eine Minute. Jorgenson löste sich 20 Kilometer vor dem Ziel als Solist. Der US-Amerikaner wurde jedoch elf Kilometer vor dem Ziel wieder eingefangen. Von hinten kamen einige Fahrer noch einmal zurück – bis Tratnik und Politt das richtige Näschen hatten – und die Visma-Kollegen dahinter die Situation kontrollierten.
Benoot analysierte gegenüber den belgischen Medienvertertern: „Wir hatten den Luxus, dass Jan pokern konnte, weil wir noch mit fünf Fahrern in der Verfolgergruppe waren und auch mit Wout sprinten konnten.“Und Laporte ergänzte: „So konnte er Politt die meiste Arbeit machen lassen und ihn schlagen“. Van Aert war glücklich. „Es war schön, dass wir immer einen Schritt voraus waren. Wir konnten stets neue Situation kreieren, in denen wir die Kontrolle über den Wettkampf hatten. Ich hatte während des ganzen Tages ein gutes Gefühl“, fasste der Belgier zusammen: „Als Team haben wir den Auftakt nicht in den Sand gesetzt.“
Da wusste er noch nicht, dass er einen Tag später in Kuurne triumphieren sollte. Van Aert war gestern der Mann des Tages. Er initiierte alle entscheidenden Bewegungen und setzte sich 90 Kilometer vor dem Ziel (!) mit vier Begleitern ab. Das Quartett sollte nicht mehr eingefangen werden. Tim Wellens (B/Emirates) und Oier Lazkano (E/Movistar) mussten sich mit den Ehrenplätzen begnügen.
Und die Luxemburger? Deren Bilanz fällt unterschiedlich aus. Arthur Kluckers (Tudor) fuhr am Samstag mit einem Rückstand von 8‘20‘‘ auf Rang 78. Er war bis 50 Kilometer vor dem Ziel im ersten
Peloton zu sehen und eskortierte seinen Kapitän Matteo Trentin (I) am Hinterrad. Tudor verpasste zwar den Sprung in die große 32 Fahrer starke Gruppe, doch Trentin kam in der Schlussphase noch einmal im ersten Peloton zurück und sprintete schließlich auf Rang neun.
Bob Jungels (Bora/125.) erreichte das Ziel seinerseits in einer abgeschlagenen Gruppe mit einem Rückstand von 13‘07‘‘. Mit Abstand bester Luxemburger war Alex Kirsch (Lidl), der in der Gruppe mit van Aert als 20. ins Ziel fuhr. Der 31-Jährige war stark und vor allem sehr aufmerksam. Luxemburgs Landesmeister war omnipräsent.
Als sich früh die Favoriten absetzten, war Kirsch einer von vier Fahrern seines Teams an der Spitze. Er agierte, zeigte sich und kam auf den letzten Kilometern zusammen mit der ersten größeren Gruppe noch einmal ganz nach vorne. Kirsch untermauerte, dass die Form zum aktuellen Zeitpunkt passt. „Es war die schnellste Omloop-Ausgabe aller Zeiten (44,7 km/h, Anm. d. Red.). Das konnte ich definitiv spüren. Es war dennoch ein schönes Rennen. Es fühlt sich gut an, dass die Klassiker nun begonnen haben.“
Es war die schnellste Omloop-Ausgabe aller Zeiten. Das konnte ich definitiv spüren. Alex Kirsch
Gestern präsentierte er sich ähnlich stark. Kirsch fuhr in einer 25 Fahrer starken Gruppe, aus der van Aert die entscheidende Attacke setzte. Im Ziel sprintete Luxemburgs Landesmeister auf den guten 15. Platz. Für Jungels reichte es zu Rang 98 (auf 2‘28‘‘). Nach ein paar Tagen Pause steht für die beiden Luxemburger Paris-Nice im Programm. Van Aert wird dort fehlen. Das schwächt das Visma-Team aber nur bedingt.