Atmosphärisches Historiendrama trifft den Nerv der Zeit
„Jakobs Ross“überzeugt durch monumentale Naturaufnahmen und absolute Authentizität. Ein Film um Emanzipation und Selbstbestimmung, der bewegt
Eine erhabene, grüne Berglandschaft erscheint in Panoramaansicht. Es ist ein prachtvoller Anblick, der sich den Zuschauenden hier offenbart. Plötzlich ertönt eine kraftvolle, wohlklingende Stimme. Ganz nah zoomt die Kamera an Elsie heran, als sie diese einprägende Melodie singt, die sich wie ein roter Faden durch Katalin Gödrös’ Film zieht. Und jedes Mal, wenn die junge Frau sich ihrer Leidenschaft – der Musik – vollkommen hingibt, gestaltet sich dieser Augenblick als Gänsehautmoment.
Elsie, wunderbar verkörpert von Luna Wedler, lebt für die Musik. Als Magd im Haus der Familie Burgener wird ihr das Singen, während sie die Holzböden des Herrenhauses mühselig schrubbt, jedoch von der Gouvernante Furrer (Marie Jung) ausdrücklich verboten. Nur die Tochter des Hausherren, Sophie (Eugénie Anselin), erkennt das Talent Elsies. Sie ermutigt die Magd weiterzumachen und redet mit ihr sogar von einem Stipendium an der Musikakademie in Florenz. Doch wie das Oberhaupt der Familie, der Direktor
Burgener (Luc Feit), widerwärtig zu sagen pflegt: „Von nichts kommt nichts.“Geködert mit dem Stipendium beutet er die junge Magd sexuell aus, nötigt sie zum Beischlaf – mehrmals. Bis sie von ihm schwanger wird und deswegen mit dem Knecht namens Jakob (Valentin Postlmayr) zwangsverheiratet wird.
Gemeinsam müssen die beiden den Hof verlassen und sich auf einem herabgekommenen Gehöft in der Nähe eines Dorfes ein neues Leben aufbauen. Während Elsie sich nichts sehnlicher wünscht als ein Akkordeon, um Musik zu machen, träumt Jakob von einem prächtigen Ross. Denn damit würde er endlich
Anerkennung in der Gesellschaft erhalten. Doch dann trifft Elsie im Dorf auf einen jenischen Musiker (Max Hubacher) und die Ereignisse spitzen sich in alle Richtungen zu.
Viel Liebe zum Detail
„Jakobs Ross“überzeugt nicht nur durch die starke schauspielerische Besetzung. Vielmehr sind es die unzähligen, kleinen Details, die dieses Historiendrama, das in der Schweiz Ende des 19. Jahrhunderts angesiedelt ist, zu einem faszinierendem Erlebnis machen. Die Kostüme, die Kulissen und Requisiten – man habe, so die Regisseurin, sogar Steine aus der Schweiz nach Luxemburg ins Filmland in Kehlen importiert – sind historisch akkurat und schaffen eine authentische Atmosphäre. Insbesondere das Make-up von Luna Wedler sticht hervor.
Überhaupt gestaltet sich der eher wortkarge Film, in dem größtenteils in Schweizerdeutsch gesprochen wird, sehr atmosphärisch. Hier sprechen Blicke, Taten sowie Umgebungsaufnahmen für sich. Dabei gibt Elsies Gesang den Ton an. Die Suche nach Selbstbestimmung und Freiheit, aber auch der Wunsch nach gesellschaftlicher Anerkennung werden durch Jakob und die emanzipierte Elsie inkarniert. Alles Dinge, nach denen auch der Mensch des 21. Jahrhunderts strebt. Damit trifft das Drama, das mit reichlich Spannungsmomenten daherkommt, trotz historischer Verankerung den Nerv der Zeit.