Gilles Grethens grandiose Gitarrensounds
Live, pur, ungekünstelt, aber künstlerisch gestaltet: Jazzer Gilles Grethen will im Kammermusiksaal der Philharmonie in die Vollen gehen
„State of Mind“heißt eben nicht nur das Album. Nein, einen guten Geisteszustand braucht und hat auch Gilles Grethen. Der Luxemburger Jazzgitarrist kann endlich ungebremst loslegen. Und er scheint sogar besonders hungrig nach einem öffentlichen Beweis seiner Fähigkeiten. Alles hat er daran gesetzt: einen Bachelor-Abschluss in Saarbrücken nach der Ausbildung am hauptstädtischen Konservatorium. Dann gleich zwei Master-Abschlüsse an der Hochschule für Musik und Darstellende Kunst Mannheim. Der Jazzgitarrist und - Komponist kann sich so jedenfalls nicht vorwerfen lassen, sich nicht bei den Meistern ihres Fachs bewiesen zu haben.
Und doch fehlte da bisher die Resonanz über die Fachwelt hinaus. Die Corona-Pandemie fiel ausgerechnet in die Zeit seines Debütalbums „Time Suite“. Insider wussten zwar längst Bescheid, doch Livemomente mussten warten. Dabei hat er doch
so viel zu zeigen. „Aus seinem starken Interesse an der klassischen Sinfonik mit ihrem enormen Farbenreichtum zieht er die Fähigkeit, sein Gitarrenspiel orchestral und mehrdimensional zu gestalten“, schreibt sein Management.
Und genau das spiegelt gerade sein zweites Album „State of Mind“aus dem Jahr 2022 wider, das noch einmal breiter nach vorne kommen soll. Ganz aktuell ist eine zusätzliche Live-Version des Albums neu veröffentlicht worden. Gleichzeitig steht am heutigen Mittwoch um 19.30 Uhr das passende, zum zweiten Release ausgestaltete Konzert im Kammermusiksaal der Philharmonie in Kirchberg an.
Aber Moment! Das waren doch Aufnahmen mit Streichern, die da auf dem Album vorgestellt wurden – und nun sind in der Philharmonie nur vier Jungs angekündigt; eben Grethens Quartett. Genau darin steckt selbst für die Jazzkenner im Großherzogtum gerade in diesem Auftritt der Reiz. Denn Grethen hat sich seine bereits für kammermusikalische Besetzung verfassten Stücke auf sein Quartett abgeändert. Sowohl auf dem Album, als auch für das Konzert in der Philharmonie. Aber geht das auf?
Grethen ist sich sicher, durchaus Elemente der orchestraleren Besetzung in das Konzert transportieren zu können: „Nehmen wir zum Beispiel schon an erste Stück. Wir beginnen mit einer Klangfläche, die stark an den breiteren Streicherklang erinnert. Zumal ja dann auch der Kontrabass nicht nur gezupft, sondern auch gestrichen werden kann. Und solche Erinnerungen finden sich dann auch weiter in der Klangsprache des Abends.“
Grundsätzlich will sich Grethen selbst treu bleiben und ebendiese Sprache entwickeln. Natürlich spiegeln sich seine Stationen darin, Einflüsse aus der Hochschule in Mannheim weist er nicht von sich. Von einem Mannheim-Sound lässt sich vielleicht nicht sprechen, aber es gibt eben Bezüge, die nicht von der Hand zu weisen seien. Oder wie es das Abendprogramm der Philharmonie zum Klangbild betont: „Das Gilles Grethen Quartett überzeugt mit einer reichen Klangvielfalt und Kompositionen, die zwischen traditionellem und modernem Jazz oszillieren. Warme Harmonien und lyrische Melodien, kombiniert mit einem fesselnden Rhythmus und unterstrichen durch Grethens warmen und doch lebendigen Gitarrensound, sind die Zutaten ihrer Musik.
Und weiter: „Sowohl unisono entwickelte Motive als auch kühne Improvisationen offenbaren die Komplizenschaft der vier Musiker. [....] Grethen erforscht in seinen Kompositionen nicht nur neue Klänge, sondern auch verschiedene Geisteszustände –
von Kontemplation über Delirium und Wahn bis hin zu transzendentalen Erfahrungen.“
Die Stichworte „seidig“, „warm“, „lyrisch“fallen immer wieder im Bezug auf Grethens Musik. Mit Vincent Pinn (Trompete und Flügelhorn), Gabriele Basilico (Kontrabass) und Michel Meis (Schlagzeug) setzt er seine musikalischen Entwürfe um. Und im Gegensatz zu vielen anderen Gitarristen lässt er sich nicht auf die Rolle reduzieren, die dem Instrument allzu oft zugebilligt wird. „Es stimmt, in den USA gibt es da im Jazz eine ganz andere Sicht auf die Gitarre und ihren Möglichkeiten. John Scofield wäre da zu nennen. Aber zum Beispiel Greg Lamy zeigt ja im Großherzogtum unter anderem, was da noch geht und wie man solistisch hervortreten kann. ,Gedeckt’ oder ,zurückhaltend’ würde ich das aber dennoch für die Luxemburger Szene beschreiben. Die Gitarre wird unterschätzt, weil sie eben Harmonie- und Melodieinstrument in einem ist“, betont er.
Offenheit fordern, Offenheit leben
Dass in der Kombination aus begleitender Rolle, aber auch solistischer Performance gerade die Stärke erwächst, sollte dann den Zuhörerinnen und Zuhörern klar sein. Offenheit für die Vorstellungen anderer – das ist das, was Grethen rund um das Projekt „State of Mind“betont. „Was ich eigentlich mit ,State of Mind’ als Albumtitel meine, ist, dass es eine Offenheit braucht. Vielleicht gerade in der aktuellen Zeit. Eine Offenheit dafür, dass es sehr viele verschiedene ,States of Mind’ gibt. Und es am besten ist, mit einer Offenheit und ohne Vorurteile Menschen erst einmal anzuhören, Meinungen und Umstände zu akzeptieren, die einem selbst anfänglich fremd sind und sich dann auszutauschen.“Sein Auftritt selbst ist ein solches Angebot auf musikalischer Ebene.
Grethen selbst denkt aber auch längst über das Konzert in der Philharmonie hinaus. „Natürlich steht der aktuelle Release im Fokus und es kommen eben einige Konzerte zusammen. Aber neue Alben sich schon in Arbeit mindestens zwei werden noch in diesem Jahr erscheinen. Deswegen habe ich selbst gerade einen positiven ,State of Mind’. Es ist gefühlt eine lange Arbeitsphase zu Ende gegangen, in der viel Neues entstand. Und allmählich kommt das live zum Vorschein oder ans Licht der Öffentlichkeit“, sagt er selbstbewusst und ganz im Vertrauen auf die Qualität seiner Arbeiten, die im Hintergrund vorbereitet sind. Dann fehlt eigentlich nur noch das Publikum. Tickets gibt es noch.