Ein bewegender und zugleich leichtfüßiger Film
„Il pleut dans la maison“von Paloma Sermon-Daïs ist ein belgisches Sozialporträt eines auf sich allein gestellten Geschwisterpaares
Es sind Sommerferien: Die 17-jährige Purdey (Purdey Lombet) und ihr 15-jähriger Bruder Makenzy (Makenzy Lombet) versuchen, ihre Zeit an den belgischen Seen totzuschlagen. Die beiden können tun und lassen, was sie wollen, denn ihre Mutter (Louise Manteau) kommt nur sporadisch nach Hause. Einen Vater gibt es nicht. Sie leben in einem heruntergekommenen Haus, das einst der Großmutter gehörte. Die Geschwister sind sich völlig selbst überlassen. Während Purdey als Putzhilfe in einem Hotelkomplex arbeitet, verdient sich Makenzy ein wenig Geld, indem er reiche Touristen bestiehlt.
Der Film begleitet die beiden durch den letzten Sommer ihrer Jugend. Ihr Alltag bewegt sich zwischen der Unbeschwertheit der Adoleszenz und der Härte des Erwachsenenlebens. Purdey will ihrem Bruder und sich selbst ein besseres Leben ermöglichen, muss dafür aber Zugeständnisse machen. Makenzy wiederum will seine suchtkranke Mutter nicht im Stich lassen. Die Jugendlichen stehen vor einem Dilemma.
Der zweite Spielfilm von Paloma Sermon-Daï ist autobiografisch geprägt. Sie selbst ist in der Region der Seen von Eau d’Heure in schwierigen Verhältnissen aufgewachsen. Aus dieser Umgebung stammen auch das Schauspielduo Purdey Lombet und Makenzy Lombet, die nicht nur vor der Kamera, sondern auch im wahren Leben Geschwister sind. Das Aufwachsen in einer Region, die von einer Arbeitslosenquote von über 30 % betroffen ist, verarbeitet das Trio in diesem leichtfüßigen und zugleich sehr bewegenden Film. Zwei Drittel der Handlung basieren auf einem Drehbuch, der Rest wurde vor Ort improvisiert.
„Il pleut dans la maison“steht in der von den Brüdern Jean-Pierre und Luc Dardenne begründeten Tradition des sozialkritischen frankophonen belgischen Films. Immer wieder wird die Kluft zwischen Arm und Reich thematisiert, wobei der Film oh
ne Pathos auskommt. Die Handlung spielt rund um den See, der den reichen Touristen und ihren Jetskis vorbehalten scheint. Die Hauptfiguren halten sich dagegen meist beobachtend am Rande des Wassers auf. Trotz des florierenden Tourismus ändert sich für die Unterschicht wenig.
Doch statt sich auf die Tristesse ihrer Umstände zu konzentrieren, legt SermonDaïs den Fokus auf die Beziehung des Geschwisterpaares, die von subtilen, liebevollen Momenten geprägt ist. Das verleiht der Handlung eine gewisse Leichtigkeit. Vor allem die Neckereien und humorvollen Dialoge zwischen den Geschwistern regen immer wieder zum Schmunzeln an.
Die hautnahe Kameraführung rückt die Gesichter der beiden in den Mittelpunkt. Die Kamera kommt ihnen so nahe, dass man teils Schweißperlen aufblitzen sieht. Durch die vielen Nahaufnahmen wird auch das subtile Mienenspiel der Geschwister sichtbar. Der Film verzichtet auf jegliche musi
kalische Untermalung. Überhaupt ist die Inszenierung dieses stillen Dramas schnörkellos. Obwohl „Il pleut dans la maison“keine dramaturgisch abgerundete Geschichte aufweist, funktioniert dieses Sozialporträt dank der dokumentarischen Qualität, die dem Film zugrunde liegt: Die Handlung beruht auf persönlichen Erlebnissen, es wurde an Originalschauplätzen gedreht und die beiden Hauptfiguren sind Laiendarstellende, die im Grunde sich selbst spielen.
Paloma Sermon-Daïs authentisches Drama steht zwar in der Tradition des sozialkritischen belgischen Kinos, wirft aber einen neuartigen Blick auf die soziale Ungleichheit, indem es nicht bei der Misere der Verhältnisse stehen bleibt.
: Dieser Film steht in der von den Brüdern JeanPierre und Luc Dardenne begründeten Tradition des sozialkritischen frankophonen belgischen Films.