Woran Naturforscher erkennen, dass sie im Ösling sind
Der Norden des Landes ist landschaftlich gut vom Rest des Landes unterscheidbar. Das hat verschiedene Gründe, erläutern Experten
Noch sind viele Laubbäume kahl, da sind längs der Via Botanica bei Lellingen die ersten Frühblüher wie Narzissen zu bewundern. Aber nicht nur in der Gemeinde Kiischpelt lohnt der Blick nach unten. Das Ösling hat eine interessante geologische Vergangenheit, die aufmerksame Beobachter vielerorts noch immer nachvollziehen können. Dabei kann die geologische Karte des Service géologique de l‘Etat hilfreiche Orientierung bieten. Auch die Region um Esch/Sauer ist nun auf einer aktuellen Karte dargestellt.
„Bis auf wenige Ausnahmen besteht das Gestein in Luxemburg aus Meeressedimenten“, sagt Robert Colbach, Direktor des Service géologique, der auch online verfügbare Karten vor sich ausgebreitet. „Wer das nicht glauben möchte, braucht sich nur diesen Stein anzusehen.“Die Steinplatte, die er zeigt, erinnert an einen sandigen Boden im Flachwasser – und genau das war sie einmal, ehe sie versteinerte.
„Die versteinerten Ablagerungen lassen sich unterschiedlichen Zeitabschnitten zuordnen“, fährt der Geologe fort. „Dabei ist die unterste Schicht die älteste.“Die Schiefer des Öslings waren einst Tone und Sande, die sich am Meeresboden ablagerten. „Als sich weitere Schichten darüber ablagerten, wurden sie unter deren Gewicht zusammengedrückt. Das Wasser wurde herausgepresst und sie wurden fest.“
Durch die Bewegung von Kontinentalplatten wurden die Schichten anschließend horizontal zusammengepresst und gefaltet. „Dabei kam es auch zu einer sogenannten Schieferung“, erklärt Colbach. Das Gestein erhielt eine neue Struktur: die typische, meist vertikale Schieferstruktur. „Im kontinentalen Zusammenhang gesehen war das Ganze eine Gebirgsbildung. Von diesem Gebirge findet man noch heute Spuren von Schottland bis nach Spanien.“
Der Blick auf Schiefer ist ein weiter Blick zurück
Im Norden treten heute sehr alte, harte Schichten zutage. Sie wurden vor etwa 410 bis 400 Millionen Jahren abgelagert. „Fast sämtliches Gestein im Ösling stammt aus dem unteren Devon“, benennt Colbach die Zeitperiode. Alle diese Gesteine liegen heute topografisch deutlich höher als die im Gutland anstehenden Gesteine. Die stammen aber meist aus dem viel späteren Zeitraum von der Trias zum mittleren Jura. Mit etwa 250 bis 165 Millionen Jahren sind sie durchschnittlich nur halb so alt.
Der Grund dafür sei eine Heraushebung der Erdkruste in den Ardennen um etwa 500 Meter in den vergangenen 10 bis 20 Millionen Jahren. Diese kann heute gemessen werden und beträgt etwa einen halben Meter pro Jahr. Die geologischen Mechanismen hinter dieser Bewegung sind nicht genau bekannt.
Es gibt im tiefen Untergrund des Gutlands also die gleichen Gesteinsschichten wie im Ösling. Nur sind sie hier von jüngeren Gesteinsschichten überlagert, welche im wortwörtlich „hohen Norden“weg erodiert und abgetragen wurden. Dort blieb nur das härtere Gestein der alten Gebirgskette zurück. „Das kann das Wasser nicht so leicht ausspülen, daher graben Flüsse im Norden nur schmale Täler“, ergänzt Colbach ein weiteres Unterscheidungsmerkmal der Topografie von Gutland und Ösling.
Warum das Klima im Norden anders ist
Auch im Hinblick auf Durchschnittstemperatur und Niederschlagsmenge lassen sich Ösling und Gutland voneinander unterscheiden, wie Meteorologe Luca Mathias von MeteoLux erklärt. Insbesondere beim Niederschlag gebe es eine klare Tendenz: „Schaut man sich das 30-jährige Mittel der Niederschlagsmenge an, fällt auf, dass im Nordwesten und teils auch an der Nordspitze des Landes der meiste Regen fällt. Die Moselregion ist hingegen im Mittel die trockenste in ganz Luxemburg.“
Die hohe Niederschlagsmenge verdankt das Ösling seiner Topografie. „Im Herbst und vor allem im Winter ziehen Wettersysteme von Westen oder Südwesten mit dem häufigen Südwestwind herein“, führt der Meteorologe aus. „An den Ardennenausläufern staut die Luft durch den Wind und wird angehoben.“Beim Aufsteigen kühlt die Luft ab und kondensiert, sodass es dort bei solchen Wettersituationen meist etwas kräftiger regnet.
Angeblich hat eine junge Dame aus Lellingen einmal eine Narzisse aus Paris mitgebracht und ihrer Mutter in den Garten gepflanzt, von wo aus sie sich dann verbreitete. Michèle Siebenaller, Försterin
Auch die Temperatur wird von der vergleichsweise hohen Lage des Öslings beeinflusst. „Der Höhenunterschied spielt sogar die Hauptrolle“, so der Meteorologe. Pro 100 Meter Höhe nehme die Temperatur etwa um ein Grad Celsius ab. An einem sonnigen Sommertag ohne viele Wolken betrage der Temperaturunterschied zwischen niedrig gelegenen Orten wie der Moselregion oder dem Alzette-Tal und der Region nördlich von Ulflingen deshalb etwa vier Grad Celsius. „An einem bedeckten Wintertag sind es eher ein oder zwei Grad Unterschied.“
Die besondere Topografie im Landesnorden bringt zudem ein Phänomen mit sich, das man im Gutland nicht beobachten kann: Kaltlufttäler. „Beispielsweise bei Schimpach und bei Böwen gibt es sehr enge Täler“, erläutert der Meteorologe. „In klaren Winternächten bei wenig Wind sammelt sich in diesen Tälern so viel kalte Luft, dass die Temperatur deutlich tiefer sinkt als an den höher gelegenen Orten in der Nähe.“In diesen isolierten Muldenlagen oder Kaltluftsenken halten die niedrigen Temperaturen teils bis in den Tag hinein an, insbesondere, wenn sich dort zusätzlich Nebel sammelt, der das Tal von Sonneneinstrahlung abschirmt.
Nicht nur die unbelebte Natur bietet Indikatoren dafür, ob man sich im Landesnorden befindet oder nicht, wie der Leiter des Arrondissement Nord der Naturverwaltung (ANF), Charles Gengler, erklärt. „Im Ösling gibt es weniger Laubhochwald als im Süden des Landes oder der Moselgegend. Stattdessen wachsen hier hauptsächlich Nadelhölzer und Eichenschälwälder.“
Dieser Unterschied zwischen den Landesteilen ist menschlichen Ursprungs, so
Gengler: „Es war historisch eine sehr arme Region. Die Leute suchten nach Möglichkeiten, dem nährstoffarmen Boden etwas abzugewinnen, und pflanzten großflächig Eichenschälwälder an“, führt Gengler aus. „Das war vor etwa 300 Jahren“, ergänzt seine Stellvertreterin Michèle Federspiel. Damals befand sich die Ledergerbindustrie im Aufschwung. Eichenschale wurde zum Gerben genutzt und war daher gefragt.
Waldarbeit ist gut für ein Huhn
Die Wälder wurden dabei in einer speziellen Art und Weise bewirtschaftet. Alle 15 bis 20 Jahre wurden sie wieder auf den Stock gesetzt, also weitestgehend kahl geschlagen, woraufhin sie neu austrieben. „Im Frühjahr wurde die Rinde von den jungen Bäumen getrennt und zum Gerben verwendet. Das war für die Region von wirtschaftlicher Bedeutung“, betont der Leiter des Arrondissements. „Die kargen Böden gaben für die Landwirtschaft nicht viel her.“
Einer Tierart kam diese Bewirtschaftung sehr entgegen: dem Haselhuhn, einer geschützten Vogelart. „Die letzte Suche nach dem Haselhuhn im Ösling ist etwa acht Jahre her“, sagt Försterin Michèle Siebenaller. „Damals ist jedoch kein Huhn mehr gesichtet worden. Wenn man aber davon ausgeht, dass Mitte der 90er-Jahre noch um die 100 Paare hier gelebt haben, denke ich schon, dass es die Tiere bei uns noch gibt.“Die Tiere seien allerdings sehr scheu, fügt Michèle Federspiel hinzu. „Und sie sind Bodenbrüter, müssen sich also vor Hunden, Füchsen, Wildschweinen und Waschbären in Acht nehmen.“
Solange die Eichenschälwälder bewirtschaftet wurden, fanden die nur bedingt flugfähigen Hühner auf wenig Raum alles, was sie benötigten, erklärt Charles Gengler. „Dort, wo die Eichen bereits 15 bis 20 Jahre lang wachsen konnten, fanden die Tiere Deckung, auf kahl geschlagenen Flächen ihre Nahrung wie Brombeeren und Himbeeren.“Ohne die wirtschaftliche Nutzung sind derartige Lebensräume seltener zu finden.
Auch die zur Holzwirtschaft angepflanzten Fichtenwälder verändern sich, denn Trockenstress und Borkenkäfer befallen die Bestände. „Man hat auch an Standorten Fichten angepflanzt, die dafür nicht geschaffen sind“, sagt er. An diesen Stellen sollen künftig keine Monokulturen mehr stehen, sondern Mischwälder, die für die entsprechenden Standorte geeignet sind.
Die unbekannte Herkunft der Lorblume
Grundsätzlich wachsen im Norden aber die gleichen Bäume wie im Rest des Landes auch – wenn auch unterschiedlich gut. Und auch viele Wildtiere gibt es sowohl im Ösling als auch im Gutland. „Ich denke nicht, dass es in dieser Hinsicht große Unterschiede gibt“, meint die stellvertretende Bezirksleiterin. Einige lokale Besonderheiten gibt es aber doch. „Bei Kiischpelt wachsen auf über 200 Hektar Narzissen, die man sich in den nächsten zwei Wochen anschauen sollte“, sagt Gengler mit einem Schmunzeln.
Denn momentan blühen die Pflanzen, die im Land sonst nirgends in dieser Form wachsen und daher ihrem Standort „Im Lor“nach lokal auch Lorblumen genannt werden. „Wieso die Narzissen ausgerechnet auf diesem Gebiet so verbreitet und wie sie dort hingekommen sind, können wir nicht sagen“, erzählt Michèle Siebenaller. „Angeblich hat eine junge Dame aus Lellingen einmal eine Narzisse aus Paris mitgebracht und ihrer Mutter in den Garten gepflanzt, von wo aus sie sich dann verbreitete“, fährt sie fort. „Die Narzissen hier haben sich jedenfalls so angepasst und differenziert, dass sie einzigartig sind.“
Viele besondere Standorte
Neben den „Lorblumen“gebe es bei Kiischpelt auch zahlreiche weitere Frühblüher, so die Försterin. „Die Vielfalt finden wir in dieser Form nur dort.“Dort herrsche, erklärt sie weiter, ein besonderes Mikroklima. Es sei dort etwa ein Grad Celsius wärmer als in den umliegenden Orten und liege wesentlich tiefer. „Die schmalen Täler, die Bäche, die Feuchtigkeit in die Täler bringen, und die steilen Hänge, die nach Südosten hin exponiert sind und daher viel Sonneneinstrahlung bekommen, schaffen ein ganz spezielles Klima.“
Solche besonderen Bedingungen gibt es an vielen Orten – beispielsweise im Naturschutzgebiet „op Baerel“. Dort gebe es 38 Schmetterlingsarten. „Davon kommen drei Arten eigentlich aus dem Mittelmeerraum“, so Siebenaller. „Das zeigt schon das spezielle Klima dort, ohne das sie dort nicht überleben könnten.“
Wer die Natur aufmerksam beobachtet, kann also vielerorts Unterschiede zwischen Ösling und Gutland feststellen. Gerade die hohe Lage vieler Teile des Nordens mit schmalen, von Bächen gegrabenen Tälern dürfte vielen als typisch für die Region gelten. Einen guten Teil der Tiere und Pflanzen gibt es in allen Landesteilen. Aber einige Standorte bieten besondere, schützenswerte Lebensräume.