Wenn die Kirchenglocken nach Rom „fliegen“
Ab Gründonnerstag werden die Klibberkinder wieder unterwegs sein. Tanja Konsbrück erklärt diesen Jahrhunderte alten Brauch
Sobald der Chor in der Abendmesse am Gründonnerstag verstummt, werden auch die Glocken schweigen. „Von dem Moment an übernimmt die Jugend des Ortes die Aufgabe, die Christen zur Kirche zu rufen. Von einem Chorknaben angeführt, durchziehen die Kinder die Straßen mit hölzernen Klappern, Klibberklaber und Jarr genannt, und verkünden mit Rufen und Schreien die Zeit des Gottesdienstes“, so beschreibt Edmond de la Fontaine das Klibbern im Jahr 1883 in seinem Buch „Luxemburger Sitten und Bräuche“.
In seinem Werk geht er auch auf den Ursprung dieses uralten Brauches ein. Im alten Ägypten habe man während der religiösen Trauerzeit nach dem Tod des Osiris versucht, den bösen Geist Typhon mit einem Sistrum, dem Klapperinstrument der Isis, zu vertreiben. „Aus dem Nillande stammt auch dieser kirchliche Brauch an den letzten drei Tagen der Karwoche“, schreibt de la Fontaine.
Für Tanja Konsbrück, Leiterin der Vereinigung Lëtzebuerger Massendénger, ist es wichtig, die Bedeutung der Karwoche hervorzuheben. „Schon die Kinder sollen verstehen, worum es geht“, sagt sie. Das Wort „Kar“bedeutet Trauer. In der Karwoche werde an das Leiden und Sterben Jesu gedacht. Sie fügt hinzu, „dass die Glocken nach Rom gehen, um dort zu beichten“.
Während dieser Zeit ist es die Aufgabe der Ministranten, die Rolle der Glocken zu übernehmen. Und das mindestens dreimal am Tag. „Das Klibbern ist schon eine anstrengende Aufgabe“, betont Konsbrück. So komme es vor, dass die Klibberkanner während der Osternachtfeier, zu der sie selbst gerufen haben, einfach einschlafen.
Die Suche nach neuen Klibber-Produzenten
Trotz der Anstrengung ist das „Klibberegoen“vielen Kindern in Erinnerung geblieben. In der Obermoselzeitung aus dem Jahr 1923 meint der Autor, dass das „Klibbern oder Garren“für die Buben gleichbedeutend mit unumschränkter Freiheit gewesen sei. „Das Klibbern trug gewaltig zur Befriedigung der besonders der Jugend innewohnenden Radaulust bei, welche auf diese Weise in erlaubte Bahnen gelenkt und sogar belohnt wird.“
Auch für Tanja Konsbrück war das Klibbern immer „der Höhepunkt des Messdienerjahres“. Als Kind habe sie am Klibbern teilgenommen, und „als Erwachsene habe ich es weitergeführt, um die Kinder für das Klibbern zu begeistern“. Wie ernst diese das nehmen, zeigt ein Beispiel: „In unserem Dorf gab es einen Jungen, der am Vorabend so aufgeregt war, dass er komplett angezogen ins Bett ging, um am nächsten Morgen sofort bereit zu sein“.
Wie es zumindest früher weiterging, schildert die Obermoselzeitung: „In aller Herrgottsfrühe, um 4 Uhr, zogen unsere Klibberjungens ihrerseits durchs Dorf, pfiffen ein lustiges Lied, rüttelten hier an einer Tür, weckten dort einen Kameraden aus dem Schlaf und brachten die Hundemeute außer Rand und Band“. Manche seien sogar überzeugt gewesen, dass ohne ihren Einsatz „die Sonne nicht aufgegangen wäre“.
Der Lärm in aller Herrgottsfrühe habe auch zu „vielen Verwünschungen der Schlafhungrigen“geführt. Das gilt zum Teil noch heute. So soll es laut Konsbrück „Einwohner geben, die schimpfen, wenn die Kinder morgens vor 7 Uhr zu viel Lärm machen“. Auch wenn die Kinder am Karsamstag ihren Lohn abholen, stünden sie manchmal vor verschlossenen Türen.
„Das kirchliche Leben ist zurückgegangen“, erklärt Konsbrück. Damals hätten auch mehr Kinder den Religionsunterricht besucht und seien so zum Klibbern animiert worden. „Früher gab es auch weniger andere Aktivitäten in den Dörfern“, erklärt sie. Heute seien die Kinder oft gar nicht zu Hause, wenn sie klibbern sollen. „Sie sind dann in der Schule, in der Maison relais oder haben Musik- oder Sportunterricht.“Manche Kinder seien sogar in den Ferien.
Das Brauchtum dürfe aber nicht verloren gehen, betont sie. „Deswegen wurde das Klibbern am 20. Dezember 2022 in die Liste des luxemburgischen Kulturerbes eingetragen“, freut sich Konsbrück. Die Lëtzebuerger Massendénger sind die Trägergesellschaft. „Das Klibberegoen fördert den sozialen Zusammenhalt und markiert das menschliche Zusammenleben“, so lautete die Begründung für die Aufnahme in die Liste.
Das Klibbern ist schon eine anstrengende Aufgabe Tanja Konsbrück
Klibbern-Gehen als immaterielles Kulturerbe anerkannt
Einst wurden die lauten Holzkisten vom Dorfschreiner gezimmert und „von Vater an den Sohn weitergereicht“. Neue Klibberen seien heute selten geworden. „Zur Journée du Patrimoine im vergangenen Jahr hatten wir die Leute dazu aufgerufen, ihre alte Klibber mitzubringen“, so Konsbrück. Mehrere Modelle kamen so zu den Lëtzebuerger Massendénger. Das älteste Modell stamme aus dem Jahr 1866.
Aber das eigentliche Ziel war es, neue Modelle zu produzieren. Auf der Suche nach einem neuen Hersteller sprach Tanja Konsbrück mit dem Schreinermeister aus dem Gefängnis Schrassig. Dieser habe sich dann ein Modell angeschaut und einen Prototyp gebaut. „Die Klibber ist geschlossen, man kann keinen Finger hineinstecken“, sagt Konsbrück. Der Tischler hat auch ein Modell für Linkshänder entwickelt, damit die Kinder „keine komischen Bewegungen“mehr machen müssen.
Die Produktion innerhalb der Gefängnismauern ist bereits abgeschlossen. 35 Euro kostet eine Klibber. „26 Stück sind noch zu haben“, sagt Konsbrück. Interes
senten können sich unter massendenger@cathol.lu melden oder mittwochs zwischen 15 und 17.45 Uhr im Centre Convict vorbeischauen. Denn wer beim Klibbern mitmachen will, braucht ein solches Gerät.
Ob und wann in der eigenen Gemeinde geklibbert wird, können die Eltern aus dem Pfarrbrief oder den sozialen Medien entnehmen. Je nach Ortschaft lautet die Moiesklack am Karfreitag bereits zwischen 6 und 8 Uhr, gegen Mittag heißt es dann „D’Mëttesklack laut!“und am Abend läutet die „Owesklack“.
Interessant wird es am Karsamstag. Denn an diesem Tag dürfen die Kinder das bekannte Lied zum Besten geben: „Dik Dik Dak – Dik Dik Dag, muer ass Ouschterdag.“„Sie erhalten dann Geld, Schokolade oder Ostereier“, sagt Tanja Konsbrück.