Luxemburg muss den Nachbarn entgegenkommen
Die atemberaubende wirtschaftliche Entwicklung Luxemburgs beruht nicht zuletzt auf dem stetig sprudelnden Reservoir an Arbeitskräften in den grenznahen Gebieten. Nur ist dieses Reservoir erstens nicht unerschöpflich und zweitens nicht dauerhaft abgesichert. Wenn diese wichtige Säule der Luxemburger Wertschöpfung Risse bekommt, könnte das gesamte Gesellschaftsmodell ins Wanken geraten.
Die 226.000 Grenzgänger besetzen in Luxemburg 47 Prozent der Arbeitsplätze. In Luxemburg sind sie wegen ihrer beruflichen Qualifikationen, als Steuerzahler und vor allem als Beitragszahler für die Pensionskasse unverzichtbar. Die Wahrheit ist allerdings: Der rasante Anstieg der Grenzgänger – ihre Zahl hat sich seit 1995 vervierfacht – wird sich in Zukunft nicht fortsetzen. Dies hat kürzlich das Mouvement écologique erkannt, das die Langzeit-Berechnungen des Pensionssystems anzweifelt – diese beruhen nämlich auf ungebremst steigenden Pendlerzahlen.
Zudem stößt das Grenzgängertum jenseits der Grenzen immer mehr auf Widerstand. So hat sich vor wenigen Tagen die rheinland-pfälzische Ministerpräsidentin Malu Dreyer zu Wort gemeldet und klargestellt, dass die Grenze von 34 Tagen Homeoffice für deutsche Grenzgänger das höchste der Gefühle sei und eine Ausweitung nicht infrage komme. Noch grundsätzlicher äußert sich das Bundesfinanzministerium in Berlin. Es möchte auf europäischer Ebene erreichen, dass Arbeitseinkommen grundsätzlich im Wohnsitzland des Grenzgängers besteuert wird. Luxemburg bekäme laut diesem Vorschlag nur einen Teil dieser Steuereinnahmen überwiesen.
Zwar wird die von Deutschland vorgeschlagene Verlagerung der Besteuerung nicht heute oder morgen kommen, doch die Zielsetzung ist klar. Frankreich würde Deutschland wohl bereitwillig als Mitstreiter beispringen. In Paris sieht man die jetzige Form des Grenzgängertums schon lange als unfair an. Gemeinden in Nordlothringen beschweren sich über weggebrochene Lohnsteuereinnahmen und über Ungerechtigkeit auf dem Immobilienmarkt, wo gut verdienende Grenzgänger den Einheimischen die Wohnungen wegschnappen.
Wenn beide Länder diese Diskussion in Brüssel offen austragen, könnte Luxemburg schnell in die Defensive geraten. Auch aus praktischen Gründen spricht vieles dafür, dass der Höhepunkt des für Staat und Grenzpendler gleichermaßen lukrativen Geschäfts schon überschritten ist. Jenseits der Grenzen kommen weniger Schul- und Studienabgänger neu auf den Arbeitsmarkt. Es liegt im Interesse Luxemburgs, die Herkunftsländer der Grenzgänger bei Laune zu halten – selbst wenn dies weniger Steuereinnahmen bedeutet. Nur so kann das Modell auf Dauer überleben.
Die Nachbarländer wollen nicht mehr tatenlos zusehen, wenn Luxemburg teuer ausgebildete Arbeitskräfte abwirbt.