In der Psyche der leidgeprüften Komponisten Rachmaninow und Berlioz
Chefdirigent Gustavo Gimeno und Klaviersolistin Beatrice Rana räumten gehörig auf mit dem Bild der „verrückten Künstler“
Rachmaninow und Berlioz teilten sich das Programm am Freitagabend, an dem sich die Philharmonie unter dem biografisch durchschimmernden Leitgedanken „Vies d‘artistes“vornahm, tief in die Psyche dieser leidgeprüften Komponisten einzutauchen, ein Vorhaben, das unter dem friedlichen Zeichen des Roten Kreuzes stand und das auch der Großherzog sich nicht entgehen lassen wollte.
In silbrig schillerndem Kleid trat die über jegliche Allüren erhabene italienische Pianistin Beatrice Rana ans Klavier und ließ die einleitenden Glockenakkorde des Klavierkonzertes Nr. 2 von Rachmaninow derart gewaltig anschwellen, dass die Zuhörer des nächsten Umfeldes der Solistin auf Anhieb ihren erwartungsvollen Hörsinn etwas zurückschrauben mussten. Dies umso mehr als dass sich das ausladende (auf acht Kontrabässe fußende!) sinfonische Orchester an den ungemein dramatischen Steigerungen vehement beteiligte und das üblicherweise dem Konzertanten innewohnende Dialoghafte weit von sich wies.
Instrumentale Zwiegespräche bot indes das „Adagio sostenuto“in Form eines melancholisch-schwermütigen Austauschs zwischen Klarinette und Klavier. Beatrice Rana verweigerte dieser verzagten Kantilene nicht ihr glutvolles Herzblut, jedoch artikulierte sie stets mit gläserner Klarheit und mit jenem ausgeprägtem Instinkt gegen das berüchtigte Verwechseln von gefühlter Leichtigkeit und seichter Sentimentalität! Aber ihr größtes Verdienst war jedoch ihre unfassbare Fähigkeit, die nur den wirklich Großen vorenthalten bleibt, das Launischste unter den kapriziösen Spieltechniken dem überwältigenden musikalischen Fluss sinnstiftend hinten anzustellen.
Wer von Rachmaninow nichts anderes gehört hätte als das seelenvolle Musizieren dieses Abends, der verstünde nicht im Geringsten die immer wieder vorgetragenen boshaften Vorwürfe von übertriebenen Gefühlsausbrüchen oder auf rein äußerliche Gefälligkeit angelegte Schreibweise. Aber welche feinnervige Alchemie erlaubte Gustavo Gimeno ein so vollständiges Einfühlungsvermögen in Rachmaninows Sprache, ein derart blitzartig intensives Spiel, das den Zuhörer unweigerlich charismatisch in seinen Bann zog!?
Auch die exaltierte fünfsätzige „fantastische“Programmsinfonie von Berlioz geriet nicht unbedingt zur Beichte eines überempfindlichen künstlerischen Seelenzustandes, über den die einführenden Notizen sich so gerne ergießen, die aber nicht unbedingt zum „Verständnis“der Musik beitragen. Die „Symphonie fantastique“liegt dem heutigen Musikliebhaber so tief im Ohr, dass er auch ohne Verliebtheit-Pathos noch opiumsüchtige Besessenheit diese Musik wahrnimmt als das, was sie ist: Ein schrill fesselndes, zeitloses, wenn auch nicht von seiner Entstehungszeit loszulösendes Kunstwerk.
Ein Selbstläufer ist das Werk deshalb noch lange nicht, wie die spannungsgeladenen „Rêveries – Passions“des unaufhaltsam vorwärtsdrängenden Kopfsatzes bezeugen. Gustavo Gimeno ließ seinem Orchester keine Ruhe, gepeitscht, irrte es umher, unerbittlich auf der Suche nach irgendetwas Unauffindbarem, Musik als pure Strömung, als endloser Sog, den eine versöhnliche Kadenz endlich erlöste.
Vier Harfen und eine solistisch hervorgetretene Trompete mochten Schwung in die Ball-Szene bringen, doch kaum Opulenz oder gar volkstümliche Ausgelassenheit. Dieser Ball wirkte erstaunlich gefasst und aristokratisch angesichts der musizierenden Menge und nach der gestisch-gespenstigen vorangegangenen Verfolgungsjagd.
Die „Szene auf dem Lande“versprühte mehr Weltverlorenheit als Naturmystik, eher düstere Unendlichkeit als tiefgründige Naturpoesie und brachte also weder Trost noch Abwechslung vor den grauenhaften Schlusssätzen. Der Erzähler stöhnte unter dem Gewicht einer dunkel gezeichneten reizlosen Landschaft, die Erzählung stockte und begnügte sich zusehends mit Lupeneffekten...
Ab nun übernahm eine übermächtige Schlagzeug-Division das verhängnisvolle Schicksal und stürzte das gesamte „Luxembourg Phiharmonic“in eine atemberaubende „Exekution“, die alles enthielt und enthüllte, was die Musik an unheimlichen, an fratzenhaften Effekten und orchestralen Aufwallungen auszudrücken vermochte: aufrüttelnd, zupackend, ungebremst!
Gustavo Gimeno ließ seinem Orchester keine Ruhe, gepeitscht, irrte es umher, unerbittlich auf der Suche nach irgendetwas Unauffindbarem, Musik als pure Strömung.