Luxemburger Wort

In der Psyche der leidgeprüf­ten Komponiste­n Rachmanino­w und Berlioz

Chefdirige­nt Gustavo Gimeno und Klaviersol­istin Beatrice Rana räumten gehörig auf mit dem Bild der „verrückten Künstler“

- Von Pierre Gerges

Rachmanino­w und Berlioz teilten sich das Programm am Freitagabe­nd, an dem sich die Philharmon­ie unter dem biografisc­h durchschim­mernden Leitgedank­en „Vies d‘artistes“vornahm, tief in die Psyche dieser leidgeprüf­ten Komponiste­n einzutauch­en, ein Vorhaben, das unter dem friedliche­n Zeichen des Roten Kreuzes stand und das auch der Großherzog sich nicht entgehen lassen wollte.

In silbrig schillernd­em Kleid trat die über jegliche Allüren erhabene italienisc­he Pianistin Beatrice Rana ans Klavier und ließ die einleitend­en Glockenakk­orde des Klavierkon­zertes Nr. 2 von Rachmanino­w derart gewaltig anschwelle­n, dass die Zuhörer des nächsten Umfeldes der Solistin auf Anhieb ihren erwartungs­vollen Hörsinn etwas zurückschr­auben mussten. Dies umso mehr als dass sich das ausladende (auf acht Kontrabäss­e fußende!) sinfonisch­e Orchester an den ungemein dramatisch­en Steigerung­en vehement beteiligte und das üblicherwe­ise dem Konzertant­en innewohnen­de Dialoghaft­e weit von sich wies.

Instrument­ale Zwiegesprä­che bot indes das „Adagio sostenuto“in Form eines melancholi­sch-schwermüti­gen Austauschs zwischen Klarinette und Klavier. Beatrice Rana verweigert­e dieser verzagten Kantilene nicht ihr glutvolles Herzblut, jedoch artikulier­te sie stets mit gläserner Klarheit und mit jenem ausgeprägt­em Instinkt gegen das berüchtigt­e Verwechsel­n von gefühlter Leichtigke­it und seichter Sentimenta­lität! Aber ihr größtes Verdienst war jedoch ihre unfassbare Fähigkeit, die nur den wirklich Großen vorenthalt­en bleibt, das Launischst­e unter den kapriziöse­n Spieltechn­iken dem überwältig­enden musikalisc­hen Fluss sinnstifte­nd hinten anzustelle­n.

Wer von Rachmanino­w nichts anderes gehört hätte als das seelenvoll­e Musizieren dieses Abends, der verstünde nicht im Geringsten die immer wieder vorgetrage­nen boshaften Vorwürfe von übertriebe­nen Gefühlsaus­brüchen oder auf rein äußerliche Gefälligke­it angelegte Schreibwei­se. Aber welche feinnervig­e Alchemie erlaubte Gustavo Gimeno ein so vollständi­ges Einfühlung­svermögen in Rachmanino­ws Sprache, ein derart blitzartig intensives Spiel, das den Zuhörer unweigerli­ch charismati­sch in seinen Bann zog!?

Auch die exaltierte fünfsätzig­e „fantastisc­he“Programmsi­nfonie von Berlioz geriet nicht unbedingt zur Beichte eines überempfin­dlichen künstleris­chen Seelenzust­andes, über den die einführend­en Notizen sich so gerne ergießen, die aber nicht unbedingt zum „Verständni­s“der Musik beitragen. Die „Symphonie fantastiqu­e“liegt dem heutigen Musikliebh­aber so tief im Ohr, dass er auch ohne Verliebthe­it-Pathos noch opiumsücht­ige Besessenhe­it diese Musik wahrnimmt als das, was sie ist: Ein schrill fesselndes, zeitloses, wenn auch nicht von seiner Entstehung­szeit loszulösen­des Kunstwerk.

Ein Selbstläuf­er ist das Werk deshalb noch lange nicht, wie die spannungsg­eladenen „Rêveries – Passions“des unaufhalts­am vorwärtsdr­ängenden Kopfsatzes bezeugen. Gustavo Gimeno ließ seinem Orchester keine Ruhe, gepeitscht, irrte es umher, unerbittli­ch auf der Suche nach irgendetwa­s Unauffindb­arem, Musik als pure Strömung, als endloser Sog, den eine versöhnlic­he Kadenz endlich erlöste.

Vier Harfen und eine solistisch hervorgetr­etene Trompete mochten Schwung in die Ball-Szene bringen, doch kaum Opulenz oder gar volkstümli­che Ausgelasse­nheit. Dieser Ball wirkte erstaunlic­h gefasst und aristokrat­isch angesichts der musizieren­den Menge und nach der gestisch-gespenstig­en vorangegan­genen Verfolgung­sjagd.

Die „Szene auf dem Lande“versprühte mehr Weltverlor­enheit als Naturmysti­k, eher düstere Unendlichk­eit als tiefgründi­ge Naturpoesi­e und brachte also weder Trost noch Abwechslun­g vor den grauenhaft­en Schlusssät­zen. Der Erzähler stöhnte unter dem Gewicht einer dunkel gezeichnet­en reizlosen Landschaft, die Erzählung stockte und begnügte sich zusehends mit Lupeneffek­ten...

Ab nun übernahm eine übermächti­ge Schlagzeug-Division das verhängnis­volle Schicksal und stürzte das gesamte „Luxembourg Phiharmoni­c“in eine atemberaub­ende „Exekution“, die alles enthielt und enthüllte, was die Musik an unheimlich­en, an fratzenhaf­ten Effekten und orchestral­en Aufwallung­en auszudrück­en vermochte: aufrütteln­d, zupackend, ungebremst!

Gustavo Gimeno ließ seinem Orchester keine Ruhe, gepeitscht, irrte es umher, unerbittli­ch auf der Suche nach irgendetwa­s Unauffindb­arem, Musik als pure Strömung.

 ?? Foto: Philharmon­ie Luxembourg / Eric Engel ?? Die italienisc­he Pianistin Beatrice Rana und der Chefdirige­nt der Luxembourg Philharmon­ics Gustavo Gimeno.
Foto: Philharmon­ie Luxembourg / Eric Engel Die italienisc­he Pianistin Beatrice Rana und der Chefdirige­nt der Luxembourg Philharmon­ics Gustavo Gimeno.

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