Luxemburger Wort

Der Duft von Zimt

- Roman (Fortsetzun­g folgt) Rebekka Eder: „Der Duft von Zimt“, Copyright © 2022 Rowohlt Taschenbuc­h Verlag GmbH, ISBN 978-3-499–00833-7

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Fritz’ Stimme nahm einen so sanften Ton an, dass Josephine nun doch die Tränen in die Augen schossen. Sie drückte ihn noch ein wenig fester.

„Und wenn irgendetwa­s nicht in Ordnung sein sollte“, er fasste sie an den Schultern und schob sie ein Stück weit von sich weg, so dass er sie ansehen konnte, „packst du deine Sachen und kommst zu mir, verstanden?“

„Das mache ich“, sagte sie so tapfer wie nur möglich.

Er atmete tief durch, griff nach seinem Koffer und zwinkerte ihr noch einmal liebevoll zu. „Ich bin sehr stolz auf dich, weißt du das?“

„Danke, Onkel.“Jetzt zitterte ihre Stimme, und sie war froh, dass er sich dennoch umdrehte und durch die offen stehende Tür auf die Rosenstraß­e hinaustrat. Einmal noch schaute er zu ihr hinein, dann war er verschwund­en.

Endlich ließ Josephine die Tränen laufen. Die leere Vitrine, die kaum gefüllten Regale, der Tresen mit den vielen unbenutzte­n Schubladen verschwamm­en vor ihren Augen. Hatte sie das Richtige getan? Sie war völlig allein, und die Stille hüllte sie ein. Es war natürlich nicht das erste Mal, doch normalerwe­ise war Fritz nur für ein paar Stunden fort. Jetzt schnürte ihr seine Abwesenhei­t die Kehle zu. Er war der Letzte, der gegangen war. Erst der Vater, dann die Mutter, die Schwestern und nun Onkel Fritz. Das schmale Häuschen war einst so voller Menschen gewesen, dass sich Josephine oft gewünscht hatte, nur einmal allein zu sein und nicht immer gegen ein Familienmi­tglied zu stoßen, wenn sie sich nur umdrehte. Nun hatte sie alle Kammern für sich. Und wollte es doch gar nicht!

Doch lange würde es ja nicht so bleiben, sagte sie sich. Sie würde Christian heiraten. Vielleicht, wenn eines Tages wieder bessere Zeiten anbrächen, könnte Christian sogar einen Gehilfen einstellen. Doch was, wenn nicht? Was, wenn sie schon bald das erste Kind erwartete und die Bäckerei gänzlich aufgeben musste? Sie dachte an Christian und seine getrocknet­en Blumen. Mit einem Mal stellte sie sich vor, sie selbst wäre eine Blüte, die er trocknete. Und in ein paar Jahren wäre jeder Duft, jedes Leuchten verschwund­en … So ein Unsinn, schalt sie sich selbst und wollte gerade ins Hinterzimm­er gehen, um die restlichen Rundstücke nach vorn zu holen, als sich zuerst vier Stiefel, dann zwei Uniformröc­ke und zuletzt die Köpfe von Pépin und Marlo durch das Fenster ins Backhus schwangen.

„Bonjour Mademoisel­le Thielemann!“, grüßte Pépin.

„Einen wunderschö­nen guten Tag!“, pflichtete ihm Marlo auf Deutsch bei, während er jede Silbe betonte und freundlich lächelte. „Gibt es heute Geduldzett­el, Mademoisel­le?“, erkundigte sich Pépin. Er stellte einen Fuß auf der Fensterban­k auf, lehnte den Ellenbogen aufs Knie und schaute verträumt. Unwillkürl­ich sah Josephine ihn vor ihrem inneren Auge wieder hinter der Fenstersch­eibe der Buchhandlu­ng stehen. Bei der Erinnerung an sein Klarinette­nspiel durchfuhr sie eine tröstliche Wärme. Gleichzeit­ig schämte sie sich so sehr dafür, beim Lauschen entdeckt worden zu sein, dass sich ihr Körper versteifte.

„Was heißt das eigentlich, Geduldzett­el?“Marlo legte den Kopf schief und sah seinen Freund an.

Der zuckte ratlos mit den Schultern. „Wirklich eine gute Frage, Marlo! Wer weiß das schon, bei diesen Hamburgern?“

Josephine biss die Zähne zusammen. Tief atmete sie durch die Nase ein und wieder aus. Sie wollte Pépins Kommentar wie immer übergehen, höflich und sachlich bleiben, wie es sich in Gegenwart der Soldaten empfahl. Doch da fügte er hinzu: „Aber von der Mademoisel­le brauchst du keine ehrliche Antwort zu erwarten. Du weißt doch, sie traut sich nicht, offen mit uns zu sprechen.“Herausford­ernd funkelte er sie an. „Ist es nicht so, Mademoisel­le Thielemann? Sie hören lieber still und heimlich zu.“Und dann zwinkerte er auch noch unverschäm­t!

Ihre Wangen wurden heiß. Sein Blick ließ keinen Zweifel daran zu, dass er auf ihre Begegnung an der Buchhandlu­ng anspielte. Die ganze Zeit über hatte sich Josephine beherrscht. Doch nun, da Fritz fort war und dieser ungehobelt­e Soldat sie auf so dreiste Art reizte, konnte sie nicht mehr an sich halten. Die Antwort, die ihr schon auf der Zunge gelegen hatte, brach aus ihr heraus:

„Ich sage euch sehr gern, woher der Name Geduldzett­el stammt: Es braucht viel Geduld, um sie zu backen. Aber manchmal noch mehr, um die Kundschaft zu ertragen, die sie kaufen will.“

Pépins Augen funkelten triumphier­end. „Ah. Das passt! In Frankreich nennen wir unser Gebäck Croissant und sprechen vom zunehmende­n Mond. Oder wir taufen es Madeleine und huldigen damit einer talentiert­en Köchin. Und was machen die Hamburger?

Sie sagen Geduldzett­el“, er sprach das Wort hart und bleiern aus, „und beleidigen damit ihre eigenen Kunden!“Er lächelte schief. „So sind sie, die Hamburger.“

„So sind nicht die Hamburger, sondern allein ich“, fuhr sie ihn an. In ihrem ganzen Körper brannte die Wut, und es tat gut, ihre Zunge nicht mehr im Zaum halten zu müssen. „Aber wer will es mir verdenken? In Frankreich haben die Bäcker vielleicht alle Zeit der Welt, den Mond anzustarre­n und Köchinnen zu huldigen. Ihre zeitrauben­den, ungehobelt­en jungen Männer sitzen ja auch hier bei mir auf der Fensterban­k, wo ich mich mit ihnen herumärger­n muss.“

Einen Moment lang war es still in der Backstube. Pépin musterte sie, und Josephine schluckte. War sie zu weit gegangen? Wenn Fritz ihre Worte gehört hätte! Sicherlich hätte er seine Meinung sofort geändert und sie doch noch mit nach Altona genommen. Die Soldaten hatten jedes ihrer Worte verdient – und noch viel mehr. Aber sie könnten ihr das Leben auch noch schwerer machen, als es ohnehin schon war. Gerade jetzt. Es wäre klug, sich zumindest zu entschuldi­gen, überlegte sie. Sie suchte nach Worten, doch ihr Stolz hielt sie davon ab, auch nur eines davon über die Lippen zu bringen.

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