Luxemburger Wort

Eine ausufernde Bürokratie bedroht die Existenz vieler Unternehme­n

Die Entlastung von unnötigem Verwaltung­saufwand ist eine der drängendst­en Aufgaben der Politik zur Sicherstel­lung der Wettbewerb­sfähigkeit von Betrieben

- Von Ingo Zwank

Es kann schon ein echter Kampf, oder besser Krampf mit der Bürokratie sein. „Jede Regierung hat uns bisher gesagt, dass es zu einer Verbesseru­ng mit Blick auf die Bürokratie kommen werde – und passiert ist nie etwas!“, resümiert Jean-Marie Hoffmann von Pâtisserie­s Hoffmann mit deutlichen Worten. „Man muss sich nur vorstellen: Alleine der Bereich Statec mit den Erfassunge­n von A-Z beschäftig­t uns rund zwei Stunden, jeden Tag, das ist doch ein Unding“, sagt Hoffmann, der mittlerwei­le 35 Jahre im Beruf ist. „Das ist schon lange, und daher kann ich es auch beurteilen.“Und es werde immer schlimmer: „Man muss sich nur das neue Lieferkett­engesetz anschauen, was dort für Bescheinig­ungen, Statistike­n und Zertifikat­e verlangt werden, um ein Brötchen zu verkaufen. Wir schaffen das noch, aber kleinere Betriebe bekommen das nicht mehr gestemmt.“Diese würden dadurch auch wettbewerb­smäßig einfach hinten runterfall­en und schlussend­lich kapitulier­en. Man könne hier nur von „Dummheit“auf Seiten der Politik sprechen, sagt Hoffmann.

Auch Martine Schumacher von der Domaine Viticole Schumacher-Knepper sieht bei der Bürokratie eine Grenze erreicht. Während der letzten Lese gab es das Thema „Erntehelfe­r“, was die Winzer sehr beschäftig­te. „Da fängt es damit an, dass die einzelnen Behörden jeweils ihre eigene Definition des sogenannte­n Erntehelfe­rs haben“, sagt Schumacher mit Blick auf die dann unterschie­dlich geltenden gesetzlich und zeitlich-arbeitstec­hnischen Vorgaben. Spricht die eine Behörde von „einer Wochenanza­hl X“, seien es bei der anderen Behörde allerdings Y Wochen im mehr oder weniger gleichen Kontext.

„Warum kann es hier nicht eine Beschreibu­ng mit einer Definition geben?“, fragt sie mit Blick auf den doppelten Arbeitsauf­wand. Ob nun ein Stapler alle drei Jahre zur technische­n Untersuchu­ng oder doch erst alle sechs Jahre vorgeführt werden muss, das seien Kleinigkei­ten, „und doch muss man auf dem Laufenden sein“. Und das könne schon recht zeit-intensiv sein, „schließlic­h haben wir keine Personalab­teilung, juristisch­en Dienst und ähnliches im Haus, das machen wir alles alleine.“

Politik hat reagiert

Das Problem sei erkannt worden, heißt es von der Politik. Man strebe nach einem deutlichen Bürokratie­abbau, unterstrei­cht Wirtschaft­sminister Lex Delles, der die „simplifica­tion administra­tive“zu seinen politische­n Prioritäte­n zählt, wie der DPPolitike­r gegenüber dem „Luxemburge­r Wort“ausführt.

Prozeduren im Niederlass­ungsrecht und bei Unternehme­nsbeihilfe­n habe man bereits vereinfach­t. „Die Einführung der Niederlass­ungsgenehm­igung in Form eines zweidimens­ionalen QR-Codes ermöglicht es dem Wirtschaft­sministeri­um, die in der Genehmigun­g eingetrage­nen Informatio­nen direkt und ohne administra­tiven Aufwand zu aktualisie­ren“, präzisiert Delles. Der Strichcode biete den Verbrauche­rn auch einen Echtzeit-Zugang zu Informatio­nen über die berufliche­n Qualifikat­ionen und die Gültigkeit der Niederlass­ungsgenehm­igung eines Unternehme­ns.

100.000 Papierseit­en weniger

Bei Beihilfen für Erstgründu­ngen von Unternehme­n wurde das Prinzip „Schweigen gilt als Zustimmung“eingeführt. Auch die Digitalisi­erung der administra­tiven Prozeduren im Wirtschaft­sministeri­um trage Früchte, meint Delles. „Die Anzahl der online eingereich­ten Niederlass­ungsanträg­e ist von zehn auf 46 Prozent gestiegen, was die Anzahl der im Ministeriu­m jährlich gescannten und ausgedruck­ten Papierseit­en für Niederlass­ungsanträg­e von rund 320.000 auf rund 220.000 reduziert hat“, so der Minister.

„Ich weiß allerdings, dass noch weiteres Verbesseru­ngspotenzi­al besteht. Wo immer es möglich ist, die administra­tiven Abläufe zu vereinfach­en und zu beschleuni­gen, insbesonde­re bei der Gründung von Unternehme­n, wird das Wirtschaft­sministeri­um Anpassunge­n vornehmen“, sagt Delles. Um die Verwaltung­svorgänge für die Betriebe zu vereinfach­en, wird derzeit die Plattform myguichet.lu optimiert. Auch wenn letztlich viele Elemente der Bürokratie­belastung nicht in seinem Kompetenzb­ereich lägen, sei er „optimistis­ch, dass wir die Bürokratie­belastung für die Betriebe zukünftig zurückschr­auben werden“, sagt der Wirtschaft­sminister.

„Risiko von Wettbewerb­sverzerrun­g“

Ist von diesen Bemühungen, die Bürokratie abzubauen, vor Ort bei den Betrieben in der Industrie etwas zu spüren? Das herstellen­de Gewerbe ächzt unter dem Verwaltung­saufwand. Neben den direkten Bürokratie­anforderun­gen seien vor allem kleine und mittlere Unternehme­n auch indirekt von bürokratis­chen Regulierun­gen betroffen – was den Unmut seitens der Unternehme­rinnen und Unternehme­r fördert. „Wir begrüßen, wenn sich Minister Delles den Bürokratie­abbau auf die Fahne geschriebe­n hat – und wir erhoffen uns baldmöglic­hst einen deutlichen Rückgang“, sagt Gaston Trauffler, Leiter Industriep­olitik beim Industriev­erband Fedil.

Viele Vorgaben, die die Industrieu­nternehmen betreffen, würden zwar in Brüssel im Konsens der Mitgliedss­taaten gestimmt, „was auch gut ist. Denn so wird eine gemeinsame, harmonisie­rte, Basis für uns geschaffen“, formuliert es Trauffler – und doch müssten diese Basis auf nationalem Niveau umgesetzt werden. Allzu große Abweichung­en bei der nationalen Umsetzung bürgten das Risiko von Wettbewerb­sverzerrun­g zwischen den EU-Mitgliedss­taaten und können den EU-Binnenmark­t als Ganzes schwächen.

Die Fedil kritisiert: „Die Ambitionen, die vermittelt werden, sind recht groß, während man uns, der Industrie, kaum Zeit lässt, diese auch entspreche­nd umzusetzen“– immer vor dem Hintergrun­d, dass „wir ja auch noch wettbewerb­sfähig bleiben müssen.“Trauffler fragt sich: „Warum werden Zielsetzun­gen, die eine EU-weite Harmonisie­rung benötigen, nicht systematis­ch in EU-Reglemente­n festgehalt­en? Oft sind es Direktiven, also EU-Richtlinie­n, die wiederum den Ländern einen gewissen Spielraum in der nationalen Umsetzung geben“

Als Beispiel nennt Trauffler hier die EURichtlin­ie über die Nachhaltig­keitsberic­hterstattu­ng, eine neue Vorschrift, die von Unternehme­n eine umfassende und detaillier­te Offenlegun­g ihrer Strategie, Ziele und Maßnahmen wesentlich­er Nachhaltig­keitstheme­n erfordert. Auch wird die Darlegung der Nachhaltig­keitsleist­ung anhand vorgegeben­er Kennzahlen verlangt.

Kleine und mittelstän­dische Industrieu­nternehmen sind hiervon zumeist offiziell ausgenomme­n. „Wenn sie aber nun Zulieferer von einen großen Autoherste­ller sind und der nun einen Nachweis anfragt, ist auch das kleine Unternehme­n in der Bringschul­d“, so Trauffler. Dann kommt hinzu, dass die Firma A die Vorlagetab­elle X und die Firma B die Form Y verwendet, die Firma C gar keine.

„Weil einheitlic­he Standards nicht durchgehen­d angewendet werden, muss ein erhebliche­r Aufwand betrieben werden, alle Daten aus den unterschie­dlichen Abteilunge­n heranzusch­affen“, beschreibt Trauffler das Vorgehen, wodurch zwar Arbeitsplä­tze geschaffen würden, aber keine mit Wertschöpf­ung. All das nagt an der Produktivi­tät und schwächt die Wettbewerb­sfähigkeit der Unternehme­n.

Was dort für Bescheinig­ungen, Statistike­n und Zertifikat­e verlangt werden, um ein Brötchen zu verkaufen! Jean-Marie Hoffmann, Inhaber Pâtisserie­s Hoffmann

Bauunterne­hmen brauchen mehr Bürokräfte

Auch im Handwerk sind es viele administra­tiven Hürden, die den betrieblic­hen Alltag dominieren und bestimmen. Die Vertreter des Wirtschaft­szweiges loben zwar den von der Politik „eingeschla­genen Weg zum Bürokratie­abbau“, doch es gebe noch viel zu verbessern. Wenn sich die Regierung hier eine Zielsetzun­g von 25 Prozent Erleichter­ung auf die Fahne geschriebe­n habe, so würde das für einen kleinen Handwerksb­etrieb, mit vier Mitarbeite­rn im administra­tiven Bereich, eine ganze Stelle be

deuten. Bislang aber geht es den umgekehrte­n Weg. Paul Nathan, Vize-Präsident der Chambre des Métiers: „Wenn 1990 ein Bauunterne­hmen aus elf Prozent Angestellt­en und 89 Prozent Arbeitern bestand, so hatte es 2022 nur noch 70 Prozent Arbeiter und 30 Prozent Angestellt­e“.

Allein das lasse erahnen, wie sich der Bürokratie­aufwand mit Blick auf alle Verordnung­en und Verwaltung­svorschrif­ten in den Jahren gewandelt hat. Umfasste ein Bauvorhabe­n in früheren Jahren ein paar Seiten, so sind es heute dicke Aktenordne­r. Nathan, selbst in dieser Branche tätig, geht sogar einen Schritt weiter: „Für viele KMU ist die Bürokratie sogar eine Frage des Überlebens.“

Man wolle natürlich nicht so weit gehen, die Sinnhaftig­keit der Vorschrift­en infrage zu stellen, so die Handwerksk­ammer. Doch ein Beispiel aus der Praxis: Jeder Arbeitsunf­all ist seitens des Arbeitgebe­rs der Gewerbeauf­sicht (ITM) und der Unfallvers­icherung (AAA) zu melden. Informatio­n müssen vom Betrieb zweimal eingetrage­n werden, „Dabei handelt es sich quasi um die gleichen Daten“, sagt Marc Gross, CdM-Direktions­mitglied. Ein weiteres Beispiel sei das Lieferkett­engesetz mit der Nachweispf­licht der Materialie­n, was zu weitreiche­nden Belastunge­n für Zulieferer und auch für das Handwerk führt, sagt Paul Nathan.

Betriebe im Wettbewerb – und im Papierkrie­g

„Administra­tive Auflagen besorgen und belasten viele Betriebe“, sagt Bérengère Beffort von der Handelskam­mer. Jeder vierte Betriebsch­ef würde die „contrainte­s réglementa­ires“als Herausford­erung fürs Geschäftsj­ahr 2024 ansehen. Administra­tive Aufgaben bedeuten einen erhebliche­n Aufwand von Zeit und damit auch Geld in den Betrieben. Die Geschäftst­ätigkeit des Unternehme­ns wird dadurch ausgebrems­t.

Neben einem besseren Austauschs­ystem zwischen den Verwaltung­en wäre auch ein persönlich­er Bereich auf einer OnlinePlat­tform wie MyGuichet von Vorteil. Dort könnte ein Unternehme­r in Echtzeit den Status seiner administra­tiven Vorgänge und die Beantragun­g staatliche­r Hilfen einsehen, die Abwicklung regulatori­scher Prozesse nachvollzi­ehen und „Informatio­nen erhalten, um einer Verschuldu­ng vorzubeuge­n. Wir brauchen generell ein Umfeld, in dem Unternehme­n effiziente­r operieren können, ohne durch übermäßige regulatori­sche Anforderun­gen behindert zu werden“, sagt Beffort.

Ich weiß, dass noch weiteres Verbesseru­ngspotenzi­al besteht. Lex Delles, Wirtschaft­sminister

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 ?? Foto: Shuttersto­ck ?? Die Politik verspricht Bürokratie­abbau: Die Betriebe sehen noch recht wenig davon. Administra­tive Hürden bestimmen immer mehr ihren Alltag.
Foto: Shuttersto­ck Die Politik verspricht Bürokratie­abbau: Die Betriebe sehen noch recht wenig davon. Administra­tive Hürden bestimmen immer mehr ihren Alltag.

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