Freiheit statt ewiges Dämmern als Angestellter
Die Luxemburger Koproduktion „Los delincuentes“überzeugt in weiten Teilen. Etwas weniger Lethargie wäre jedoch wünschenswert gewesen
Leben wir Menschen im Grunde nicht doch alle ein ähnliches Leben? Die meisten von uns arbeiten den ganzen Tag, um ihre Wohnung beziehungsweise ihr Haus abzubezahlen, oder sich die Miete leisten zu können. Von den 365 Tagen im Jahr bleibt oft nur eine zweistellige Zahl an arbeitsfreien Tagen. Arbeiten wir, um zu leben oder leben wir, um zu arbeiten? Und wo bleibt da die Freiheit?
Diesen tiefgründigen Fragen geht die Luxemburger Koproduktion „Los delincuentes“(Les Films Fauves) in etwas mehr als drei Stunden nach. Auch wenn die Länge des auf Details setzenden Films den Protagonisten genügend Raum gibt, sich zu entfalten, wirken manche der Szenen doch etwas langatmig. Etwas kürzer hätte die Produktion, die an das Genre des sogenannten Heist-Films anknüpft, also die Planung und Durchführung eines Raubüberfalls thematisiert, sicherlich sein können.
Dennoch ist dem argentinischen Regisseur und Drehbuchautor Rodrigo Moreno ein ansehnliches und gehaltvolles Werk gelungen, das 2023 bei den Filmfestspielen von Cannes in der Sektion „Un Certain regard“gezeigt wurde und ebenfalls auf dem Programm des diesjährigen LuxFilmFests stand. Nun läuft der Film, der unter anderem mit seinem nüchternen Humor punktet, in den Luxemburger Kinos.
Authentisches Schauspiel
Noch weitere 25 Jahre in der Bank arbeiten oder lieber einen Diebstahl begehen, dann dreieinhalb Jahre dafür ins Gefängnis wandern und danach mit dem versteckten Geld das Leben genießen? Für Morán (Daniel Elías) ist die Antwort klar. An einem Tag, an dem der unscheinbare Bankangestellte die Möglichkeit hat, alleine den Banktresor zu betreten, entwendet er dort 650.000 Dollar. Sein Plan: Sich selbst bei der Polizei anzeigen und währenddessen seinen Arbeitskollegen Román (Esteban Bigliardi) auf das Geld aufpassen lassen.
Mehr oder weniger ungewollt und ohne jegliche Vorahnung wird Román so Moráns Komplize. Doch die dreieinhalb Jahre bergen mehr Schwierigkeiten als erwartet. Während das Leben im Gefängnis für Morán zum harten Kampf wird, wird Román von Schuldgefühlen heimgesucht.
Schauspielerisch überzeugt „Los delincuentes“auf ganzer Linie – insbesondere die beiden Protagonisten, aber auch Margarita Molfino in der Rolle als Norma wirken authentisch. Dabei sind Román und Morán jeweils als Spiegelbild des anderen zu verstehen – dies deuten bereits ihre Namen, die ein Anagramm sind, an. Dieser Eindruck verstärkt sich, wenn der Film die beiden Männer in unterschiedlichen Szenen unmittelbar nebeneinander zeigt, sie auch noch dieselben Bewegungen ausführen. Dabei stellt sich die Frage: Steckt in uns allen nicht irgendwie ein Román oder Morán?
Lethargische Momentaufnahmen
Ebenso interessant sind die weichen Schnitte des Thrillers, der allerdings nur wenig „thrill“mit sich bringt. Immer wieder wird hier mit Überblendungen gearbeitet – eine Szene fließt in die andere über. Gleichzeitig gibt es auch mehrere harte Schnitte.
Realistisch stellt Rodrigo Moreno das graue und monotone Leben des Büroalltags in der Großstadt Buenos Aires dar. Dem diametral gegenüber stehen die monumentalen Naturaufnahmen weit außerhalb des Stadtkerns – da, wo das Leben entschleunigt wird. Auch Román und Morán finden hier ihre Ruhe und zu sich selbst. Diese Ruhe und Stille drückt sich besonders in den lethargischen Momentaufnahmen aus, die sich gegen Ende sogar teils aneinanderreihen.
So kann man etwa Román länger dabei beobachten, wie er einen Fels erklimmt oder Morán, wie er in der Schlussszene in das Weite hineinreitet. Visuell hat „Los delincuentes“richtig etwas zu bieten. Gelegentlich kommen die Bilder
Stellenweise scheint die Handlung nicht wirklich vom Fleck zu kommen, das Geschehen dümpelt so vor sich hin.
sogar beinahe zum Stillstand. Allerdings ist eben dieser Kunstgriff, dieser bewusste Einsatz der Entschleunigung und Ruhe, diese Langsamkeit des Films auch das, was ihm zum Verhängnis wird. Zuschauende sollte also etwas Geduld mitbringen.
Stellenweise scheint die Handlung nicht wirklich vom Fleck zu kommen, das Geschehen dümpelt so vor sich hin. Dennoch regt die Luxemburger Koproduktion zum Nachdenken an und kann als subtile Kritik an unserer materialistischen, hektischen und schnelllebigen Gesellschaft verstanden werden. Und stets im Raum bleibt die ewige Suche nach Freiheit.