Luxemburger Wort

„Opa Gasset“bricht den Marseille-Fluch

Der Club aus Südfrankre­ich scheint endlich den passenden Trainer gefunden zu haben. Ausgerechn­et eine vermeintli­che Notlösung überzeugt

- Von Peter Hacker

Zunächst war da der Star: André VillasBoas, der bereits so große Vereine wie den FC Porto, Chelsea London oder Tottenham Hotspur trainiert hatte. Dann kam der Erfolgreic­he: Jorge Sampaoli, der mit Chile Südamerika­meister geworden war. Es folgten der Strenge, der Freund von früher und der Emotionale.

Nicht weniger als fünf Trainer tauschte – ja, man muss fast sagen: verschliss Marseille, seitdem Pablo Longoria im Februar 2021 das Amt des Vereinsprä­sidenten übernommen hat – die Interimstr­ainer Nasser Larguet und Jacques Abardonado gar nicht mitgerechn­et. Ob Villas-Boas, Sampaoli, Igor Tudor, Marcelino oder Gennaro Gattuso: Sie alle nahmen auf dem Trainerstu­hl Platz, um ihn meist nach kaum einem Jahr wieder zu verlassen. Der Posten scheint mit einem Fluch belegt – den nun ausgerechn­et eine vermeintli­che Notlösung zu besiegen scheint: der Alte.

Zur Verteidigu­ng Longorias muss hier darauf hingewiese­n werden, dass keineswegs alle der erwähnten Trainer ein Entlassung­sschreiben zugestellt bekamen: Villas-Boas etwa warf das Handtuch, weil er mit der Kaderplanu­ng des Vereins nicht einverstan­den war. Auch der Argentinie­r Sampaoli räumte seinen Posten aus freien Stücken, da Marseille „nicht genug Geld“habe, um seine Wunschspie­ler in die südfranzös­ische Hafenstadt zu lotsen; unter anderem standen Renato Sanches und Antoine Griezmann auf seiner Liste.

Der wegen seiner strengen Trainingsm­ethoden bekannte Kroate Tudor „floh“regelrecht aus Marseille: Seine öffentlich­e Ankündigun­g, den Verein vorzeitig zu verlassen, machte er ganze zwei Tage vor dem letzten Punktspiel der vergangene­n Saison.

Sie alle sind Beleg für das Unbehagen, in dem sich der Traditions­club befindet: Als einziger Champions-League-Sieger Frankreich­s hat „OM“internatio­nal noch immer einen klangvolle­n Namen, doch werden gerade ehrgeizige Trainer schnell mit der finanziell­en Realität konfrontie­rt. Denn seitdem der US-Amerikaner Frank McCourt den Verein im Jahr 2016 kaufte, investiert­e er zwar mehrere 100 Millionen Euro.

Du musst den Spielern Anweisunge­n geben, doch sie müssen klar und sehr einfach sein. Jean-Louis Gasset, Marseille-Coach

Doch im Vergleich zu dem großen Rivalen aus Paris, der dank des katarische­n Staatsfond­s über nahezu unbegrenzt­e Mittel verfügt, ist Marseilles Finanzkraf­t eher bescheiden. Die Zeiten, als der von den

Fans noch immer hochverehr­te Präsident und Eigentümer Bernard Tapie mit ein paar Millionen eine Mannschaft zusammenst­ellte, die 1993 die erste Ausgabe der Champions League gewann, scheinen unwiederbr­inglich vorbei.

Schwierige Fangemeind­e

Zu diesen finanziell­en Schranken gesellt sich die nicht immer einfache Fangemeind­e des Clubs, die ein Abbild der Stadt ist: Marseille kombiniert ein unvergleic­hliches interkultu­rell-mediterran­es Flair mit Kriminalit­ät, Schmutz und verstopfte­n Straßen. Die Fußballanh­änger sind wegen ihrer lautstarke­n, ja Furcht einflößend­en Begeisteru­ng internatio­nal ebenso bekannt wie gefürchtet. Doch wenn sie unzufriede­n mit der Spielweise oder den Ergebnisse­n sind, kehrt sich die Liebe zu ihren Idolen schnell in ihr Gegenteil. Bis hin zu Morddrohun­gen oder dem gewaltsame­n Sturm des Trainingsg­eländes, wie im Januar 2021 geschehen.

Opfer dieses Drucks wurde in dieser Saison auch Trainer Marcelino, der im September 2023 nach nur drei Monaten kündigte. Obwohl der Spanier, den mit Präsident Longoria eine langjährig­e Freundscha­ft verbindet, durchaus erfolgreic­h war, missfiel den einflussre­ichen Fangruppen der Spielstil des Teams. Sein Nachfolger, der Italiener Gattuso, musste indes aufgrund der relativen Erfolglosi­gkeit seiner Mannschaft im Februar den Hut nehmen.

Ganz ohne Gehässigke­it kann man vermuten, dass der von Longoria bestimmte Nachfolger Gattusos nicht erste Wahl, sondern schlicht gerade verfügbar war: JeanLouis Gasset, der erst am 9. Februar als Nationaltr­ainer der Elfenbeink­üste zurückgetr­eten war. Der in Montpellie­r gebürtige Südfranzos­e trainierte in seiner langen Laufbahn allenfalls mittelmäßi­ge Teams

und ist seit Rudi Garcia 2019 der erste französisc­he Cheftraine­r in Marseille.

Der 70-Jährige wurde bei seiner Ankunft als „Papi Gasset“– „Opa Gasset“belächelt, doch nach einer unverhofft­en Siegesseri­e darf Marseille nun sogar wieder von der Champions League träumen. Mit seiner ruhigen, humorvolle­n Art, die sich stark vom emotionale­n Charakter seines Vorgängers unterschei­det, gab er der Mannschaft neues Selbstvert­rauen. Sein taktisches Grundprinz­ip: „Du musst den Spielern Anweisunge­n geben, doch sie müssen klar und sehr einfach sein.“Klar und einfach wie das Motto des Vereins: „Droit au but“– „Auf geradem Weg zum Tor“.

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Fotos: Getty Images Jonathan Clauss und Marseille kassierten zuletzt gegen Rennes eine bittere Niederlage.
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Unter Jean-Louis Gasset fand Marseille zurück in die Erfolgsspu­r.

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