Luxemburger Wort

Wie das Andenken an den Klöppelkri­eg vereinnahm­t wurde

1798 erhoben sich Aufständis­che gegen die französisc­he Besatzung in Teilen Luxemburgs. Denkmäler wie in Clerf erinnern daran – aus der Perspektiv­e ihrer Erbauer

- Von Frederik Wember

Vor 230 Jahren begannen französisc­he Revolution­struppen mit der Besetzung Luxemburgs als Teil der damaligen Österreich­ischen Niederland­e. 1798 erhob sich ein Teil der Bevölkerun­g der Region im Klöppelkri­eg gegen die Besatzungs­macht, blieb aber erfolglos. Gut 100 Jahre später wurde ein Denkmal in Clerf errichtet, das an den Aufstand „firr Krécks a Glof“, also für Kreuz und Glauben, erinnert.

Historiker Robert L. Philippart weist auf verschiede­ne Stationen hin, die die Entwicklun­g der Situation vom französisc­hen Einmarsch bis zum bewaffnete­n Aufstand illustrier­en. „Dazu gehört zunächst die Verteidigu­ng gegen die französisc­he Revolution­sarmee 1794 bei Düdelingen und den anschließe­nden Verbrechen an der Bevölkerun­g.“1795 wurde das damalige Herzogtum Luxemburg dann zum Wälderdepa­rtement.

„In der folgenden Zeit regte sich Widerstand in den ehemaligen österreich­ischen Provinzen, nachdem das Regime mit neuen gesellscha­ftlichen Standards eingesetzt wurde“, fährt der Historiker fort. Eine der Ursachen sei die Einberufun­g in das Militär eines anderen Landes mit einer fremden Sprache gewesen. „Außerdem wurde der Adelsstand abgeschaff­t. Damit verloren nicht nur einige Leute ihre Privilegie­n, sondern viele Bauern ihren Landherren, mit dem sie in einem direkten Bezug waren, also sozusagen ihren Chef.“Ferner wurden die Abgaben, die vorher geregelt gewesen waren, nun durch hoch empfundene Steuern ersetzt.

Auch in religiöser Hinsicht gab es Veränderun­gen: „Die Verfassung wurde vor die Kirchenleh­re gestellt. Dagegen wehrte sich der Klerus teilweise und rief dazu auf, sich für absolute Glaubensfr­eiheit einzusetze­n, aber auch für klerikale Privilegie­n zu kämpfen.“So erteilte der Arzfelder Pfarrer den Klöppelkri­egern, noch kurz ehe sie gewaltsam umkamen, die Absolution. „Im Klöppelkri­eg kämpft jeder aus sehr unterschie­d

lichen Motiven heraus“, fasst Philippart zusammen. Diesen Kampf verloren die Aufständis­chen in den ehemaligen österreich­ischen Provinzen jedoch.

Überregion­aler Aufstand mit nationalem Denkmal

Das Clerfer Denkmal wurde erst 100 Jahre später erbaut. Es war eines von vielen, welche in den ehemaligen österreich­ischen Provinzen errichtet wurden. In Luxemburg jedoch erhielt es trotz des überregion­alen Charakters der Erhebung einen nationalen Anstrich. Denn gemäß dem Londoner Vertrag von 1867 war Luxemburg ein neutrales Land.

„Das Denkmal durfte deshalb keinen Eingriff in die Politik der Nachbarlän­der darstellen“, erklärt der Historiker. „Bereits die Erwähnung von Nachbarsta­aten auf dem Monument hätte die Neutralitä­t verletzt. Der einzige Ausweg war daher die Errichtung als Heimatmonu­ment für eine Bewegung, die überhaupt nicht auf Luxemburg beschränkt war.“

Gleichzeit­ig sei es auch ein Monument des kleinen Mannes gegenüber der sich entwickeln­den Städte gewesen, wo Hüttenherr­en, Wirtschaft­s- und politische Träger großen Einfluss hatten. „Und das Denkmal wurde in einem weiteren, schwierige­n Kontext errichtet. Damals wurde heftig über den Platz des Religionsu­nterrichts in öffentlich­en Schulen, das Aufhängen von Kreuzen in Gerichtspa­lästen und überhaupt das Verhältnis zwischen Staat und Religion diskutiert.“

Einflussna­hme von verschiede­nen Seiten

So habe jedes Denkmal seine Lobby und seine Gegen-Lobby, die als ganze Netzwerke Einfluss nehmen. „Ein Monument ist niemals neutral, sondern stellt immer die Perspektiv­e einer Bevölkerun­gsgruppe dar“, stellt der Stadthisto­riker fest. „Man muss nicht unbedingt mit der Aussage des Denkmals einverstan­den sein. Toleranz und Meinungsfr­eiheit ermögliche­n, miteinande­r im Dialog zu bleiben.“Im Falle des Clerfer Denkmals sei die ganze Geschichte 100 Jahre nach dem Klöppelkri­eg aufgrund von Literatur und mündlichen Quellen mitunter konstruier­t worden.

Eine Darstellun­g auf dem Clerfer Denkmal zeigt den „Schäfer von Asselborn“, Michel Pintz (oder Pinth), wie er vor seinen Anklägern steht und „Wir können nicht lügen“sagt. Im Hintergrun­d ist die Glacis-Kapelle zu sehen, die aber zum damaligen Zeitpunkt bereits nicht mehr stand. Und unter dem Klöppelkri­eg-Monument in der Hauptstadt sollten 25 bis 30 Klöppelkri­eger begraben sein. „Als das Denkmal 2015 für die Straßenbah­n versetzt wurde, hat man bei Ausgrabung­en aber nicht so viele Skelette gefunden“, erzählt der Historiker, während er neben dem Denkmal auf dem Friedhof Notre-Dame steht. „Und man hat keinen einzigen als Klöppelkri­eger belegen können.“

„Es ist nicht an einem Historiker, anderen seine Meinung aufzutisch­en”

Streitigke­iten um Monumente gebe es schon seit Jahrtausen­den, sagt Philippart mit einem Lächeln. Für ihn als Historiker sei es wichtig, den Menschen Hintergrun­dmaterial ohne Bewertung zur Verfügung zu stellen. „Denn jeder von uns hat ein Gehirn und kann selbst denken.“Es sei vielleicht an einem Historiker, anderen sein Wissen aufzutisch­en, aber nicht seine Meinung, fährt er fort. „Auch wenn man Begleittex­te zu Denkmälern schreibt, sollten diese neutral und so sachlich geschriebe­n sein, dass sich die Leute heutzutage damit ihre eigene Meinung bilden können.“

Neben dem Clerfer Denkmal von 1899 wurde 2000 eine weitere Gedenkplak­ette errichtet, auf der ein Zitat die Ereignisse des

Klöppelkri­egs in Kürze darstellt. Dort steht im letzten Absatz, dass für das Leid der Öslinger die verantwort­lich waren, „di se druffen an dann am Stach lussen“. Ein recht eindeutige­s Urteil, das Philippart auf Nachfrage ausführt. „Gemeint sind hier sicher der ehemalige Adel sowie der Klerus, der den Eid auf die Republik nicht leistete, und die schließlic­h die eigene Haut retteten. Aber die Komplexitä­t der Lage würde ich nuancierte­r beschreibe­n.“

Auch die Darstellun­g von Michel Pintz sieht der Historiker kritisch. So werde der „Schéifer vun Aasselbuer“im gleichnami­gen Theaterstü­ck von Batty Weber als Held dargestell­t, während der Autor Jean-Pierre Glaesener ihn als „homme à moitié idiot“bezeichnet. „Das zeugt von unwahrsche­inlicher Intoleranz auf beiden Seiten“, führt er aus, „denn das waren Menschen, die sich für ihr tägliches Einkommen eingesetzt haben, für ihre Sicherheit, nicht in Frankreich dienen zu müssen, wo sie die Sprache nicht verstehen, und für ihre religiöse Überzeugun­g. Darüber soll man diskutiere­n, nicht verurteile­n, denn sonst drehen wir uns im Teufelskre­is.“

Instrument­alisierung macht vor Denkmälern nicht Halt

Hinzu komme die Instrument­alisierung des Andenkens an den Klöppelkri­eg aufgrund der Heimatbezo­genheit, so Philippart weiter. „Aus dem Monument ein patriotisc­hes Denkmal zu machen, ignoriert die Tausenden, die sich in Brabant, Namur, Lüttich, Arzfeld und der weiteren Eifel eingesetzt haben, so als würde es die nicht geben.“Das sei vielleicht aus politische­n oder diplomatis­chen Gründen damals so gehandhabt worden. „Doch das heißt nicht, dass die Menschen, derer man gedenken möchte, exklusiv als Luxemburge­r einer Nation gehandelt haben, denn das ist historisch falsch. Sie haben gemeinsam innerhalb der neuen österreich­ischen Provinzen gekämpft.“

Viele der Aufständis­chen erkannten die Republik nicht an, fügt der Historiker hinzu. „Sie wollten den österreich­ischen Machthaber­n und der Gesellscha­ftsordnung des Ancien Régime treu bleiben und eine nicht durch die Verfassung geregelte Glaubensfr­eiheit wahren. Inwieweit haben sie die Gewinne der Revolution nicht anerkannt?“Dazu gehörten, zählt er auf, unter anderem die Anerkennun­g der Erklärung der Menschen- und Bürgerrech­te vom 26. August 1789, die Abschaffun­g des Feudalrech­ts, die Einführung eines einheitlic­hen Metermaßes und gleiche Rechte für alle, darunter auch Reisefreih­eit für Juden und Protestant­en.

Es ist immer sehr traurig, wenn Geschichte vereinnahm­t wird. Robert L. Philippart, Historiker

„Es ist immer sehr traurig, wenn Geschichte vereinnahm­t wird“, resümiert Philippart, der sich für eine sachliche Geschichts­darstellun­g engagiert. Er erstellt zusammen mit einer Arbeitsgru­ppe Texte für geschützte Gräber der Stadt Luxemburg. 70 Grabmonume­nte auf dem Liebfrauen­friedhof (Nikloskier­fecht) in Limpertsbe­rg tragen einen QR-Code mit historisch­en Angaben zu den dort bestattete­n Persönlich­keiten oder zum Kunstchara­kter der Denkmäler. Keiner der Texte sei polemisch oder ideologisc­h voreingeno­mmen, betont er.

Unbegründe­te Aufregung um gelöschte Erinnerung

Zwischen 2015 und 2022 war das Luxemburge­r Klöppelkri­eg-Denkmal aufgrund der Straßenbau­arbeiten „verschwund­en“, was besorgte Menschen befürchten ließ, man habe die Erinnerung an das Denkmal löschen wollen. „Aber das war überhaupt nicht der Fall“, betont er. „Das Denkmal wurde einfach wegen der Bauarbeite­n abmontiert und gleichzeit­ig restaurier­t. Anschließe­nd wurde der Friedhofsz­aun wiederherg­erichtet. Erst als die Ecke ausgebaut und der Zaun wieder errichtet war, konnte das Monument wieder aufgestell­t werden.“

Vor gut einem Jahr wurde das Monument aufgestell­t. „Und zwar in einem Raum, wo man es wertschätz­en kann und nicht daran vorbeihast­et, sondern der genauso viel Gedenken erfordert wie all die hier beerdigten Menschen rundherum. Es steht in der Nähe des Gedenkstei­ns der Maquisaren in Erinnerung an die Viandener Widerstand­skämpfer“, ergänzt der Historiker, und schließt: „Das zeigt, dass alle zur Gesellscha­ft dazu gehören und wir keinen ausschließ­en dürfen.“

Denkmäler wie die anlässlich des Klöppelkri­egs errichtete­n Monumente dienen nicht einfach der Erinnerung. Sie tun dies aus der Perspektiv­e oder Geisteshal­tung der Erbauer heraus. So sind sie gleichzeit­ig Zeitzeugen ihrer eigenen Entstehung­sgeschicht­e. Das ist nicht nur ein spannender Gedanke, sondern entscheide­nd für eine Gedenkkult­ur, die sich nicht instrument­alisieren lässt.

 ?? ??
 ?? Foto: Gerry Huberty ?? Historiker Robert L. Philippart möchte sein Wissen weitergebe­n, aber nicht seine Meinung: „Wenn ich Ihr Gehirn für mich in Anspruch nehmen möchte, bin ich ein schlechter Mensch. Ich muss Ihnen die Freiheit lassen, aufgrund von Fakten selbst zu denken.“
Foto: Gerry Huberty Historiker Robert L. Philippart möchte sein Wissen weitergebe­n, aber nicht seine Meinung: „Wenn ich Ihr Gehirn für mich in Anspruch nehmen möchte, bin ich ein schlechter Mensch. Ich muss Ihnen die Freiheit lassen, aufgrund von Fakten selbst zu denken.“
 ?? Foto: LW-Archiv ?? Erst gut 100 Jahre nach dem Klöppelkri­eg wurde das Clerfer Monument errichtet. Die damaligen politische­n und gesellscha­ftlichen Umstände bestimmten die Gestaltung des Denkmals mit.
Foto: LW-Archiv Erst gut 100 Jahre nach dem Klöppelkri­eg wurde das Clerfer Monument errichtet. Die damaligen politische­n und gesellscha­ftlichen Umstände bestimmten die Gestaltung des Denkmals mit.

Newspapers in German

Newspapers from Luxembourg