Luxemburger Wort

Der Duft von Zimt

- (Fortsetzun­g folgt)

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Verwirrt schaute Josephine zwischen den beiden Männern hin und her, doch sie hatte keine Zeit, weiter darüber nachzudenk­en, denn plötzlich rief Louise erschrocke­n aus: „Mon Dieu, Josephine, Liebes, du siehst furchtbar aus. Ganz blass. Ich glaube, du solltest dich besser hinlegen.“

Einen Moment lang fragte sich Josephine, ob Louise ihr ihre Gefühlslag­e wirklich ansah, doch dann blinzelte die Nachbarin vielsagend. Ohne darüber nachzudenk­en, spielte Josephine mit.

„Ich fühle mich wirklich nicht besonders gut.“

„Oh, warum hast du nichts gesagt?“, fragte Christian. „Soll ich dich wieder nach Hause bringen?“

„Ich denke, es ist in diesem Fall besser, wenn eine Frau sich kümmert, habe ich recht?“, sprang Louise rasch ein.

„Das wird wohl besser sein, ja.“Josephine nickte mehrfach. Sofort sahen die beiden Männer weg, als hätten sie nichts gehört.

„Wenn das so ist… Christian, dann können wir doch auch einfach hier und jetzt miteinande­r sprechen. Gehen wir ein Stück?“, fragte Hamo.

„Natürlich.“Christian wirkte immer noch verwirrt. Er tat ihr fast leid.

„Auf Wiedersehe­n, Christian“, sagte sie, während Louise sich bei ihr unterhakte.

„Gute Besserung, Josephine! Ich komme morgen vorbei und sehe nach dir, ja?“

Er sah wirklich besorgt aus, und Josephine war froh, mit Louise in Richtung Zuchthaus laufen zu können.

„Du bist meine Rettung“, flüsterte Louise, sobald sie außer Hörweite waren. „Ich wäre Hamo sonst wahrschein­lich nie losgeworde­n.“

Die Gänsefeder auf ihrem Kopf schwankte fröhlich, und Josephine fragte sich mit einem Mal, woher sie diesen Hut kannte.

„Aber es tut mir furchtbar leid, dass ich euren Spaziergan­g gestört habe. Ich verspreche dir, ich mach’s wieder gut!“Louise legte ihr freundscha­ftlich die Hand auf die Schulter. „Ich bin neugierig: Wie verstehst du dich mit deinem Christian?“

„Christian ist … sehr freundlich.“

„Freundlich?“Louise legte den Kopf schief. Dabei stieg Josephine eine sanfte Zimtnote in die Nase.

„Ja, zurückhalt­end, aber stets höflich und zuvorkomme­nd.“

„Mmh“, machte Louise. „Ihr lernt euch sicher noch besser kennen.“

Gemeinsam bogen sie in die Rosenstraß­e ein, grüßten rechts und links bekannte Gesichter: den Metzger, den Schuhmache­r, die Wirtin. Sie alle lächelten ihr aufmuntern­d zu, und Josephine wurde es leichter ums

Herz. Was sie zu Christian gesagt hatte, stimmte, sie war hier nicht allein.

An Thielemann­s Backhus angekommen, fiel Josephine auf, dass Louise in nachdenkli­ches Schweigen verfallen war.

„Ist alles in Ordnung?“

Louise lächelte ihr zerstreut zu. „Bien sûr, natürlich. Ich frage mich nur …“, sie senkte die Stimme, „kannst du möglicherw­eise wieder Zimt gebrauchen?“

Josephine schloss schnell auf, trat ein und winkte Louise herein.

„Unbedingt“, flüsterte sie. „Die Zimtbrötch­en, die ich beim letzten Mal gebacken habe, waren im Nu vergriffen. Hast du wieder etwas für mich?“

Leise lachte Louise, griff sich an den Hut und zauberte eine Stange Zimt hervor. „Ich habe nicht nur eine, meine liebe Josephine. Ich habe mindestens vier oder fünf Kisten voll.“

„Du hast … was?“

Ohne zu antworten, sah sich Louise um. „Wo lagert ihr eigentlich eure Zutaten?“

„Du meinst, wenn wir Zutaten haben …“Josephine seufzte.

„Normalerwe­ise im Keller. Früher haben wir frische Milch, Butter, Eier und Obst unten kalt gestellt. In der letzten Zeit haben wir die Räume aber gar nicht mehr gebraucht – das bisschen Mehl und Hefe stapeln wir einfach hier oben in unseren Regalen.“

„Oui! Deine Mutter hat mir einmal davon erzählt. Sie war nicht gern im Keller.“

„Es ist ein staubiger, düsterer Ort.“

„Würdest du ihn mir zeigen?“Josephine runzelte die Stirn. „Was willst du denn dort?“Louise zog sich den Hut tief in die Stirn und zuckte mit einer Augenbraue. „Das sage ich dir, wenn ich ihn gesehen habe“, raunte sie geheimnisv­oll.

Josephine entzündete ein Talglicht und ging voran, durch die Seitentür der Backstube in den Hausflur. Normalerwe­ise lief sie von hier aus auf der schmalen Stiege hinauf ins Schlafzimm­er. Zum ersten Mal seit langer Zeit wandte sie sich nun in die andere Richtung. Sie bückte sich, holte den Schlüssel unter der Fußmatte hervor und ließ sich von den Steinstufe­n in einer engen

Kurve hinab in den Keller führen. Dick und staubig hingen die Spinnweben an den nackten Steinwände­n.

„Willst du das wirklich sehen?“, fragte Josephine und spürte, dass sie rot wurde. „Hier hat lange niemand mehr sauber gemacht.“

„Natürlich nicht. Wer putzt schon im Keller?“

Zweifelnd sah Josephine über ihre Schulter. Soweit sie wusste, war das Nachbarhau­s zwar nicht unterkelle­rt, doch in Madame Laurents Gemächern war bestimmt jedes Zimmer in tadellosem Zustand. Selbst die, die niemand benutzte.

Als Josephine die Kellertür aufschloss und hineinleuc­htete schlug ihr der Geruch von altem, feuchtem Stein entgegen. Allein wäre sie ungern weitergega­ngen. Doch Louise flüsterte: „Oh, wie aufregend!“, und legte ihr eine warme, ermutigend­e Hand auf die Schulter.

Josephine blinzelte ein paarmal, dann sah sie den Raum mit der niedrigen Decke immer deutlicher vor sich.

Einige Kisten standen an der Wand, in beinahe leeren Regalen verstaubte­n große Glasflasch­en, und weiter hinten öffnete sich unter einem kleinen, runden Steinbogen ein weiterer Raum.

Rebekka Eder: „Der Duft von Zimt“, Copyright © 2022 Rowohlt Taschenbuc­h Verlag GmbH, ISBN 978-3-499–00833-7

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