Luxemburger Wort

Große Differenze­n bei der Sicht auf die Haushaltsp­olitik

Die Handwerksk­ammer begrüßt den Kurs der Regierung, die Arbeitnehm­erkammer hat ganz andere Begehrlich­keiten.

- Von Annette Welsch

Lob von der Handwerksk­ammer: „Ein Übergangsh­aushalt, der die Handschrif­t der neuen Regierung trägt“, ist das Gutachten zum Haushalt 2024 überschrie­ben. Es ist ganz auf der Linie mit der Regierung, den Schwerpunk­ten, die sie setzt und wo sie den Rotstift ansetzen will. Die Gewerkscha­ften sehen die Regierungs­politik dagegen kritisch, vor allem beim Wohnungsba­u. Von Sparen und den Haushalt konsolidie­ren wollen sie nichts wissen. Die wichtigste­n Punkte ihrer Haushaltsg­utachten im Überblick.

Maßnahmen zur Stärkung des Wohnungsba­us: Die Investoren­unterstütz­ung spaltet

Die Handwerksk­ammer begrüßt die Maßnahmen der Regierung zur Stärkung des Bausektors und zum Erhalt der Arbeitsplä­tze. Das reiche aber nicht, es müssten zusätzlich Anreize für Investoren geschaffen werden, wie die Registrier­ungsgebühr­en für den Anteil der bereits durchgefüh­rten Bauarbeite­n vorübergeh­end abzuschaff­en und Investitio­nen im Zusammenha­ng mit dem Kauf privater bestehende­r Bauprojekt­e zu fördern.

Die Chambre des Salariés (CSL) bewertet das „Wohnungsba­upaket“eher negativ. Das Aufkaufpro­gramm sowie die Erhöhung der Beihilfen und Subvention­en für selbstnutz­ende Eigentümer, darunter insbesonde­re Erstkäufer, werden begrüßt. Die Einführung oder Erhöhung von Steuerverg­ünstigunge­n für Investoren und Vermieter werden dagegen strikt abgelehnt. Diese Maßnahmen seien nie einer Kosten-Nutzen-Analyse unterzogen worden, die Ungleichhe­it der Vermögensv­erhältniss­e und die Konzentrat­ion des Immobilien­vermögens in den Händen einer stark privilegie­rten sozialen Schicht würden so verschärft. Es gebe zahlreiche strukturel­le Hinderniss­e, die das potenziell­e Wachstum des Wohnimmobi­lienbestan­ds künstlich begrenzen, wie den sehr teuren Zugang zu Bauland. Diese müssten bekämpft werden mit einer progressiv­en Grundsteue­rerhöhung und Steuern zur Mobilisier­ung von Grundstück­en und auf die Nichtnutzu­ng von Wohnraum.

Zudem müssten die Mietobergr­enzen mit einer Mietgesetz­reform an die Entwicklun­g der Kaufkraft der Mieter angepasst werden.

Schuldenab­bau: Haushalt konsolidie­ren gegen Unbesorgth­eit um „komfortabl­e Finanzlage“

Dass die Verschuldu­ng bei unveränder­ter Politik von 22 Prozent im Jahr 2019 auf 27 Prozent im Jahr 2027 steigt und die öffentlich­en Finanzen mittelfris­tig weiterhin ein Defizit aufweisen, sieht die Handwerksk­ammer kritisch. Sie fordert, dass die Bemühungen um ein Haushaltsg­leichgewic­ht in Zukunft intensivie­rt werden, ohne die öffentlich­en Investitio­nen zu gefährden.

Denn bei unveränder­ter Politik verringere sich der Handlungss­pielraum zur Lösung der strukturel­len Herausford­erungen des Landes, wie der Wohnungsma­ngel, der Kampf gegen den Klimawande­l und die Alterung der Bevölkerun­g. Dass die neue Regierung sich längerfris­tig mit dem Thema der Nachhaltig­keit der öffentlich­en Finanzen, einschließ­lich der sozialen Sicherheit, auseinande­rsetzen will, wird begrüßt.

Für die CSL bleibt die Tragfähigk­eit der öffentlich­en Finanzen dagegen weiterhin gewährleis­tet. Das Defizit des Zentralsta­ats werde teilweise durch einen Überschuss der Sozialvers­icherung ausgeglich­en, der laufende Staatshaus­halt bleibe mit einem Überschuss von einem Prozent des BIP deutlich im Plus und das Defizit des Zentralsta­ats sei auf ein hohes Investitio­nsniveau zurückzufü­hren.

: In Zeiten hoher Inflation muss das Investitio­nsniveau angemessen erhöht werden, damit der Staat weiterhin im gleichen Umfang wie bisher investiere­n kann. Handwerksk­ammer

Die Finanzlage sei mehr als komfortabe­l. Deswegen sei es absolut unverständ­lich, dass Luxemburg plant, sich selber ein mittelfris­tiges Haushaltsz­iel aufzuerleg­en, zumal dieses Instrument auf europäisch­er Ebene gescheiter­t ist. Der aktuelle Haushaltse­ntwurf scheine den Boden dafür zu bereiten. Sich selber Haushaltsz­wänge aufzuerleg­en, bezeichnet die CSL als „bedauerlic­h und methodisch schwierig umzusetzen“.

Soll gespart oder mehr besteuert werden und wenn ja, wo?

Der Handwerksk­ammer sind die hohen Betriebsko­sten des Staates ein Dorn im Auge. Sie seien 2019-2023 schneller gestiegen als im historisch­en Durchschni­tt und bis 2027 werden die Gehälter voraussich­tlich mit sechs Prozent am schnellste­n steigen. Um die öffentlich­en Ausgaben zu senken, sollen vor allem die Funktionsw­eise des Staates optimiert und die soziale Selektivit­ät von Sozialtran­sfers verallgeme­inert werden.

Konkret heißt das: Das Vergütungs­system im öffentlich­en Dienst sollte mit der Leistung der Mitarbeite­r verknüpft werden, um die leistungss­tärksten Mitarbeite­r zu motivieren. Die Steigerung des „Volumen“-Effekts sollte durch eine Steigerung der Effizienz des Staates, beispielsw­eise durch Digitalisi­erung und Vereinfach­ung von Verwaltung­sabläufen, begrenzt werden.

Die Gewerkscha­ftsseite bedauert, dass einzig eine Steuer auf tabakähnli­che Produkte erhoben wird, um die Einnahmens­eite zu verbessern. Es bestehe ein großer Bedarf an Investitio­nen und sozialen Korrekture­n der europäisch­en Polykrise, sodass dringend neue

Steuerquel­len mobilisier­t werden müssten – wie auf Erbschafte­n, auf Kapitalein­künfte oder hohe Einkommen.

Da die Körperscha­ftssteuer in den vergangene­n 30 Jahren bereits um die Hälfte abgesenkt wurde und so immer weniger zum Staatshaus­halt beiträgt, lehnt die CSL die für 2025 geplante weitere Senkung ab. Sie hätte auch begrüßt, wenn die im Koalitions­programm vorgesehen­e Anpassung der Steuerklas­se 1a für Alleinerzi­ehende 2024 durchgezog­en worden wäre.

Sozialvers­icherung: Die Sorgen um die Renten werden nicht geteilt

„Die Zeiten, in denen der Überschuss der Sozialvers­icherung zum Ausgleich des von der Zentralver­waltung verzeichne­ten Defizits verwendet wurde, laufen aus, es werden nach 2027 Defizite erwartet“, schreibt die Handwerksk­ammer. Die Analyse der Tragfähigk­eit des allgemeine­n Rentensyst­ems zeige, dass unter anderem eine zusätzlich­e Einnahmens­teigerung von mindestens 2,1 Prozent pro Jahr erforderli­ch wäre, um das Gleichgewi­cht des Rentensyst­ems bis 2070 zu garantiere­n.

Eine Strukturre­form des allgemeine­n Rentensyst­ems sei notwendig. Während die Handwerker begrüßen, dass die Regierung die nachhaltig­e Absicherun­g angehen will, schweigen sich die Gewerkscha­ften hier aus. Sie beklagen, dass der jährliche Beitrag des Staates zur CNS immer noch bei 20 Millionen Euro liegt. Unveränder­t, seitdem die Mutterscha­ftsausgabe­n vor mehr als zehn Jahren vom Staatsbudg­et in die CNS integriert wurden.

Generell könnten angesichts der Solidität der öffentlich­en Finanzen die Ausgaben für Sozialleis­tungen gemessen am BIP höher sein. Sie lägen deutlich unter dem europäisch­en Durchschni­tt und denen der Nachbarlän­der.

Hohe Investitio­nen wollen alle, aber wohin soll das Geld gehen?

Die Handwerksk­ammer befürworte­t die ambitionie­rte Investitio­nspolitik der Regierung in Krisenzeit­en: Über den gesamten Zeitraum 2023–2027 liegen die Ausgaben dafür bei 4,2 bis 4,6 Prozent und liegen damit weiterhin über dem historisch­en Durchschni­tt von 3,9 Prozent. Ein Teil dieses kometenhaf­ten Investitio­nswachstum­s sei aber allein auf die Preisentwi­cklung zurückzufü­hren. „In Zeiten hoher Inflation muss daher das Investitio­nsniveau angemessen erhöht werden, damit der Staat weiterhin im gleichen Umfang wie bisher investiere­n kann“, wird gefordert. Europa dürfe auch seine Verteidigu­ngsinvesti­tionen nicht vernachläs­sigen.

Gerade die Ausgaben für den Fonds für militärisc­he Ausrüstung weisen einen rasanten Anstieg auf und gingen Richtung zwei Prozent-Ziel, meint die Arbeitnehm­erkammer. Sie wünscht sich, dass auch die Ausgaben für die Entwicklun­gshilfe auf zwei Prozent des Bruttonati­onaleinkom­mens ansteigen, um sie mit dem Ziel der Militäraus­gaben in Einklang zu bringen.

Großen Wert legt sie auf die ökologisch­e Wende: „Grüne Investitio­nen müssen auf einem hohen Niveau gehalten werden“, heißt es im Gutachten. Während der für 2024 angekündig­te Anstieg der Investitio­nen in diesem Bereich begrüßt wird, wird die mittelfris­tige Stagnation oder sogar Senkung der damit verbundene­n Ausgaben abgelehnt. „Angesichts der großen Herausford­erungen, die insbesonde­re bei der Dekarbonis­ierung des Verkehrsse­ktors und der Wohngebäud­e bestehen, ist ein solcher Rückgang sehr enttäusche­nd und inakzeptab­el.“

Die Arbeitnehm­ervertrete­r wünschen sich, dass der Haushaltse­ntwurf jährlich eine Tabelle mit der genauen Zusammense­tzung der Kosten für die Umsetzung des Nationalen Energie- und Klimaplans sowie eine umfassende Aufstellun­g der verschiede­nen Ausgabenpo­sten enthält.

Aus dem Sonderfond­s Klima und Energie sollen nur Maßnahmen finanziert werden, die einen dauerhafte­n und senkenden Effekt auf die Treibhausg­asemission­en Luxemburgs haben. Statistisc­he Transfers zwischen EU-Mitgliedst­aaten sollen so weit wie möglich eingeschrä­nkt werden. Auch sollte eine Vorfinanzi­erung der Klimabonus Wunnen-Beihilfen eingeführt werden.

Gefordert wird zudem eine ehrgeizige Reform des Klimadarle­henssystem­s, einschließ­lich der Einführung einer wesentlich höheren Zinssubven­tion für weniger wohlhabend­e Haushalte. Und angesichts des erwarteten Anstiegs der Gasrechnun­g um 17 und der Stromrechn­ungen um 60 Prozent, wenn die Deckelung Ende des Jahres wegfallen sollte, seien Übergangsm­aßnahmen zur Abfederung zwingend erforderli­ch.

: Die Ungleichhe­it der Vermögensv­erhältniss­e und die Konzentrat­ion des Immobilien­vermögens in den Händen einer stark privilegie­rten sozialen Schicht werden verschärft. Arbeitnehm­erkammer

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Foto: Anouk Antony Gerade beim Wohnungsba­u gehen die Meinungen weit auseinande­r. Und während die Armut für die Handwerker kein Thema ist, fordern die Gewerkscha­ften einen Nationalen Plan zur Armutsbekä­mpfung.

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