Magyar bewirkt Aufbruchstimmung in Budapest
Hoffnungsträger Péter Magyar will mit der Korruption aufräumen. Erstmals kommen Vorwürfe gegen das System Orbán direkt aus dessen Machtzirkel
Turbulente Zeiten in Ungarn: Aus dem Justizskandal rund um einen Pädophiliefall ist eine ausgewachsene Regierungskrise geworden. Seit Wochen gehen Tausende Menschen in Budapest auf die Straße. Gestern fand die bisher größte Demo statt, mit Zehntausenden Teilnehmern. Zum ersten Mal seit langem ist in Ungarn, wo Viktor Orbán seit 2010 durchregiert, wieder so etwas wie Aufbruchstimmung zu spüren.
Der Grund ist vor allem ein Mann: Péter Magyar. Er ruft zu den Demos auf und spricht dort zu seinen Anhängern. Der frühere Anwalt hat selbst jahrelang für Orbáns FideszPartei gearbeitet und gilt als absoluter Insider. Nun hat er mit seinen früheren Vertrauten öffentlich gebrochen und kündigte die Gründung einer neuen Oppositionspartei an. Der Zeitpunkt ist brisant: In zwei Monaten findet die Wahl zum Europäischen Parlament statt, in Ungarn werden zeitgleich auch Kommunalwahlen abgehalten.
Zugang zu brisanten Informationen
Bei der EU-Wahl will Magyar bereits antreten. Experten schreiben ihm großes Potenzial zu. „Ein Insider, der aus dem Schatten springt und als neuer Oppositionsführer auftritt – das ist absolut präzedenzlos in den letzten Jahren“, sagt Róbert László, Politikexperte beim Thinktank „Political Capital“. Magyar sage nicht viel Neues, aber er sei glaubwürdiger als die bestehende Opposition, die viele Menschen enttäuscht habe.
Wer ist der Mann? Magyar, 1981 in Budapest geboren, studierte Jura und arbeitete zunächst als Rechtsanwalt. Ab 2010 lebte er mit seiner Frau Judit Varga, später Justizministerin unter Orbán, in Brüssel. Ab 2015 war er direkt in Orbáns Ministerbüro als Chefdiplomat tätig, bevor er ab 2018 die Ungarische Entwicklungsbank leitete.
Zudem war er bis vor einem Jahr mit Varga, von 2019 bis 2023 Fidesz-Justizministerin, verheiratet. Auch von ihr erhielt Magyar politische Insiderinfos: Auf einem von ihm veröffentlichten Mitschnitt spricht seine Ex-Frau offen davon, wie Orbáns Kabinettsminister bei der Staatsanwaltschaft unliebsame Ergebnisse aus einer Ermittlungsakte streichen ließ. Selten war Korruption im System Orbán so unmittelbar dokumentiert und nachvollziehbar.
Dazu kommt der Unmut über den im Februar bekannt gewordenen Amnestiefall: Die ungarische Präsidentin Katalin Novák hatte 2023 den Mitwisser eines schweren Kindesmissbrauchsfalls in einem Waisenhaus nahe Budapest begnadigt. Laut Gerichtsurteil hatte der Vizedirektor des Hauses jahrelang die pädophilen Straftaten seines Chefs gedeckt und Missbrauchsopfer zu Falschaussagen genötigt. Die Amnestie erfolgte in unmittelbarer zeitlicher Nähe zu einem Besuch des Papsts in eben jenem Waisenhaus.
Eigene Partei der Mitte gegründet
Der Fall war besonders pikant, da sich die regierende Fidesz-Partei seit Jahren den Kinderschutz auf die Fahnen schreibt. Die weitgehend Orbán-loyale Novák entschuldigte sich mittlerweile und trat vom Präsidentenamt zurück – genauso wie Varga, die als Justizministerium die Begnadigung gegengezeichnet hatte.
Die Regierung sei „korrupt wie die Mafia“, sagte Magyar seitdem immer wieder. Schon im Februar sah er den Bedarf für eine neue politische Kraft. Mit seiner nun angekündigten neuen Partei will er sich nun „in der Mitte“positionieren, auch nannte er Reformen des überlasteten Schul- sowie des Gesundheitssystems als wichtige Ziele.
Magyar verstehe die sozialen Medien geschickt zu bespielen und dadurch im Spiel zu bleiben, sagt Politikexperte László. Dadurch werde er kein Problem haben, rechtzeitig die nötigen 20.000 Unterschriften für eine Kandidatur bei der EU-Wahl zu sammeln. Größeres Mobilisierungspotential sieht auch Andrea Peto Politologin an der Central European University in Wien. „So lange Magyar allein auf der Bühne steht, ist er anfällig für Angriffe auf seine Integrität. Entscheidend wird sein, wer sich ihm von der Fidesz anschließt.“
In den nächsten Tagen will Magyar weitere Details zu seiner neuen Partei verkünden. Es bleibt damit spannend, zumal Magyar wohl noch die eine oder andere politische Bombe im Köcher hat.