„Olaf Scholz ist schlecht darin, seine Politik zu erklären“
Der deutsche Bundeskanzler ist ein wortkarger Politiker. Dennoch steckt etwas hinter seiner Politik, findet der Journalist Daniel Brössler
In seinem neuen Buch „Ein deutscher Kanzler: Olaf Scholz, der Krieg und die Angst“, tastet sich der Journalist Daniel Brössler an den wortkargen deutschen Bundeskanzler heran. In einem Interview mit dem „Luxemburg Wort“erklärt Brössler, was hinter der oft frustrierenden Fassade des SPD-Politikers steckt.
Daniel Brössler, für viele Leute ist Olaf Scholz wohl der Archetyp des langweiligen, unentschlossenen und vorsichtigen Politikers. Wie kommt man auf die Idee, dass er Stoff für ein interessantes Buch liefern könnte?
Gerade deshalb! Anders als bei Emmanuel Macron, der sich ständig selbst erklärt, muss man bei Olaf Scholz etwas mehr graben, um die Person zu verstehen. Und das ist spannend. Olaf Scholz ist nämlich keiner, dem die Herzen wegen seines Charismas oder seiner Eloquenz sofort zufliegen, aber er ist nun einmal in einer dramatischen Situation Kanzler geworden. In Deutschland muss sich unheimlich viel ändern und auf dem europäischen Kontinent herrscht Krieg. Deshalb fand ich es interessant zu erklären, wer diese Person eigentlich ist und was sie antreibt.
Im Zusammenhang mit dem Ukraine-Krieg ist Olaf Scholz zum Gesicht einer schwachen und zögerlichen deutschen Bundesregierung geworden. So wird es zumindest vielerorts in Europa empfunden. Sie aber beschreiben einen Politiker, der den Mut hatte, mit der russophilen Außenpolitik der SPD zu brechen. Wie passt das zusammen?
Olaf Scholz ist der Kanzler der Zeitenwende. Das ist ein Fakt: Er ist der Kanzler, der entschieden hat, Waffen in die Ukraine zu liefern und mit vielen Lehrsätzen der sozialdemokratischen Politik gebrochen hat. Denn über Jahre hinweg hat sich die SPD geweigert, das Zwei-Prozent-Ziel der NATO zu akzeptieren. Er hat dies über Bord geworfen und sich zu Fehlern in der bisherigen Russlandpolitik der SPD bekannt. Diesen Bruch gibt es.
Trotzdem ist er einem Irrtum aufgesessen. Er hat geglaubt, mit dieser dramatischen Wende der Politik sei eigentlich alles erklärt. Er dachte, er müsse sich nicht mehr rechtfertigen, denn er habe ja auf die neue Situation, die der russische Angriffskrieg auf die Ukraine geschaffen hat, reagiert. Deswegen vernachlässigte er die Kommunikation. Was das Zögern betrifft: Das stimmt, Olaf Scholz schaut immer erst einmal, was Joe Biden tut.
Scholz‘ Zögern ist doch sehr eigenartig: Er sagt immer zuerst „Nein“zu Sachen, bei denen viele wissen, dass er sie später notgedrungen akzeptieren wird. Und damit steigt der politische Preis für die ohnehin notwendige Entscheidung. Stichwort Panzerlieferungen.
Da würde er jetzt widersprechen und sagen, bei den Panzern habe er nie nein gesagt, sondern „jetzt noch nicht“– oder er hat eben nichts dazu gesagt. Am liebsten ist ihm, nichts zu sagen, wenn er sich noch nicht entschieden hat. Aber genau das ist das Problem: Er versteht nicht, dass es nicht so funktioniert. Die Fragen werden nämlich immer wiederkehren.
Ihr Buch beschäftigt sich ausgiebig mit der politischen Sozialisierung von Olaf Scholz in der SPD der 1980er Jahre. Warum ist das so wichtig?
Man muss verstehen, dass Olaf Scholz ein sehr linker Jungsozialist war. Er war Marxist und auch Teil der westdeutschen Friedensbewegung. Als stellvertretender Jusovorsitzender war er Mitorganisator der großen Demo 1983 im Bonner Hofgarten, die sich im Wesentlichen gegen den NATO-Doppelbeschluss und der damit einhergehenden Aufrüstung richtete. Damals war insbesondere die Angst vor einem Atomkrieg ein großes Thema.
Und ich glaube, das hat ihn stark geprägt. Dieses Bewusstsein, dass die Angst vor einem Atomkrieg in Deutschland tief verwurzelt ist. Genauso wie die Angst vor der Atommacht Russland. Das hat bei all seinen Entscheidungen der vergangenen zwei Jahre mitgespielt: Er hatte stets die Ängste in der deutschen Bevölkerung im Hinterkopf.
Ist es wirklich das – oder doch nicht die NATO-Skepsis und den Antiamerikanismus, die die SPD damals prägten?
Der Antiamerikanismus ist nicht nur in Deutschland, sondern in ganz Europa sehr verbreitet – links und rechts. Was die SPD aber im Besonderen auszeichnet, ist der Stolz auf die Ostpolitik von Willy Brandt, die zu Entspannung zwischen dem Westen und der Sowjetunion beitrug. Das würde ich allerdings nicht gleichsetzen mit Antiamerikanismus. Was es aber auch gibt – und darauf muss man nicht ganz so stolz sein – ist die zweite Phase der Ostpolitik.
Worin besteht diese?
Während dieser war die SPD skeptisch gegenüber den Oppositionsbewegungen in Osteuropa, weil sie der Meinung war, dass diese die Stabilität in Europa gefährden würden. Darunter leidet das Image der SPD in Osteuropa heute noch und auch das dortige Misstrauen Olaf Scholz gegenüber hat viel damit zu tun. Und im Grunde musste Olaf Scholz am 24. Februar 2022 mit dieser zweiten Phase der Ostpolitik brechen, ohne das so offen zu sagen, weil das in der SPD nicht gut angekommen wäre.
Diese zweite Phase der Ostpolitik hat sich nämlich bis in die Putin-Zeit fortgesetzt. Also dieses Gefühl, Russland nicht zu scharf kritisieren zu dürfen, weil das wieder die Stabilität auf dem Kontinent gefährden könnte. Scholz war in den 1980er zwar ein linientreuer Jungsozialist, doch ein Russlandromantiker war er schon damals nicht. Dafür war er zu oft in der Sowjetunion und hat gesehen, wie es dort aussieht. Das hat ihm vielleicht dabei geholfen, diesen Bruch zu vollziehen.
Sie schrieben, Olaf Scholz wäre ein Parteilinker gewesen. Wer, wie viele Europäer, Olaf Scholz als deutscher Finanzminister kennengelernt hat, kann sich das nur schwer vorstellen.
Weil er einfach kein Parteilinker mehr ist. Und ich glaube, diese Wende kam sehr früh. Schon in den 1990er war er kein Linker mehr, sondern ein Pragmatiker. Da war er schon geprägt von seiner Arbeit als Arbeitsrechtsanwalt. Das heißt, sein Zugang zur Politik war praktischer und nicht ideologischer Natur. Und als er auf die große bundespolitische Bühne kam, als Mitarbeiter von Gerhard Schröder, als Generalsekretär der SPD, als parlamentarischer Geschäftsführer und später als Arbeitsminister war das eindeutig. Er gehörte dann schon eher zum rechten Flügel der SPD.
Ihr Buch handelt wenig vom innenpolitischen Olaf Scholz. Warum?
Weil die Rolle des Kanzlers im Krieg das Hauptthema des Buches ist. Was im Buch schon vorkommt, ist, dass die Ampel-Koalition nicht funktioniert. Sie hätte vielleicht in ruhigeren Zeiten funktionieren können. Die großen weltanschaulichen Unterschiede zwischen den Partnern hätte man dann entspannter angehen können – aber der Krieg brachte riesige wirtschaftliche und finanzielle Probleme mit sich, die die enormen Unterschiede zwischen SPD, Grüne und FDP offenbarten. Paradoxerweise wird die Koalition zumindest bisher auch durch den Krieg zusammengehalten, weil es in so dramatischen Zeiten verantwortungslos wäre, eine Koalition platzen zu lassen.
Zurück dann zum weltpolitischen Scholz. Was ist der grundlegende Unterschied zwischen Olaf Scholz und seiner Vorgängerin Angela Merkel?
Der politische Stil zwischen beiden ist nicht fundamental anders, sondern die Lage, in der sie regieren müssen, ist eine ganz andere. Olaf Scholz kann anders als seine Vorgängerin die Probleme nicht einfach ignorieren oder mit Geld lösen. Den Herausforderungen des Ukraine-Krieges und der Klimakrise muss man sich schon stellen.
Anders als bei Emmanuel Macron, der sich ständig selbst erklärt, muss man bei Olaf Scholz etwas mehr graben, um die Person zu verstehen.
Wie ist dann das Verhältnis zwischen Olaf Scholz und anderen Weltpolitikern?
Scholz ist keiner, der kumpelhaft die Nähe von anderen Politikern sucht. Damit hat er Schwierigkeiten. Dadurch unterscheidet er sich stark von Helmut Kohl, Gerhard Schröder und auf gewisser Weise auch von Angela Merkel, die zwar auf keinen Fall ein Kumpeltyp war, aber die es verstanden hatte, enge Beziehungen zu vielen europäischen Politikern aufzubauen.
Bei Olaf Scholz ist es so, dass er eher skeptisch ist, was allzu große Nähe angeht und eigentlich nur zu wenigen Politikern eine engere Bindung aufbaut.
Er ist nicht der Meinung, dass sich politische Unterschiede einfach so freundschaftlich wegdiskutieren lassen. Das zeigt sich insbesondere im Verhältnis zu Emmanuel Macron. Da ist man sich bei vielem nicht einig und politische Freund
Scholz ist keiner, der kumpelhaft die Nähe von anderen Politikern sucht. Damit hat er Schwierigkeiten.
schaftsinszenierungen, so glaubt es Scholz, werden nicht darüber hinwegtäuschen können.
Anders als Macron ist Scholz auch kein besonders guter und üppiger Redner. Hat Deutschland keinen besseren Rhetoriker verdient?
Olaf Scholz ist kein großer Kommunikator. Er ist niemand, der sehr geschickt darin ist, sich auszudrücken. Er ist aber überzeugt davon, dass das kein so großes Problem ist, wie es oft behauptet wird. Er selbst hat das Gefühl, dass er die Dinge schon so erklärt, wie die Menschen sie hören wollen. Darüber kann man zwar streiten, eins ist aber Fakt: In Deutschland kann jemand, der kein eloquenter Redner ist, Bundeskanzler werden. Die Erwartung der Deutschen ist es offenbar nicht, dass ihr Bundeskanzler ein rhetorisch begnadeter Politiker sein muss.
Es gibt auch eine gewisse historische Skepsis gegenüber charismatischen Politikern. Aber in der derzeitigen dramatischen Kriegssituation gibt es schon ein Bedürfnis danach, dass die Dinge auch erklärt werden. Trotzdem ist Scholz überzeugt, dass er es richtig macht und dass die Leute auch nicht mit eloquenten Reden beeindruckt werden wollen, sondern dass sie das Gefühl haben wollen, derjenige, der Bundeskanzler ist, weiß, was er tut und besonnen handelt. Ich bleibe aber dabei: Es ist eines seiner großen Defizite, dass er so schlecht darin ist, seine Politik zu erklären.