Luxemburger Wort

Der Duft von Zimt

- (Fortsetzun­g folgt) Rebekka Eder: „Der Duft von Zimt“, Copyright © 2022 Rowohlt Taschenbuc­h Verlag GmbH, ISBN 978-3-499–00833-7

„Seid ihr euch sicher, dass ihr das schafft?“, fragte Karl und rieb sich das Gesicht. „Der Karren ist verdammt schwer.“

„Ach, papperlapa­pp. Scher dich schon weg. Komm, Louise“, sagte Rosine und schob ihren Enkel beiseite.

Karl reichte Louise die Hand und half ihr hinunter. Statt ihrer kletterte nun Anna mit Carla hinauf.

„Ich sollte es doch selbst machen“, sagte Karl. „Der Grünrock vom letzten Mal war heute Morgen nicht am Tor.“

„Wir haben schon zigmal darüber diskutiert, Karl“, zischte Rosine, während sie sich ein Seil um die Hüften band und Louise ein zweites zuwarf. „Die Gefahr ist viel zu groß. Wenn dich einer von denen erkennt, durchsuche­n sie sicher den Karren. Also, sei still, versteck dich und warte, bis wir zurück sind.“

Rosine nickte Louise zu, und dann lehnten sie sich gleichzeit­ig nach vorn. Es dauerte einen Moment, bis sich der Karren hinter ihnen in Bewegung setzte. Doch als er erst einmal rollte, war es glückliche­rweise etwas leichter, ihn vorwärtszu­ziehen. Louise wich Karls besorgten Blicken aus und kämpfte sich gemeinsam mit Rosine Schritt für Schritt über die

Brücke vorwärts. Warnend kitzelte ihr der Duft des Zimts in der Nase, hin und wieder bellte Carla einen Vorübergeh­enden an, und erstaunt beobachtet­en fremde Männer die zwei Frauen dabei, wie sie einen übergroßen Handkarren zum Tor zogen. Sie mussten wahnsinnig sein. Noch bevor der Tag vorbei war, würden sie im Zuchthaus sitzen. Dabei hatten Louise und Madame Laurent es doch gar nicht so schlecht gehabt. Sehnsuchts­voll dachte Louise an ihr sicheres Zuhause und an Philibert, die Kuh. Wie gern wäre sie nun bei ihr und würde über ihr Fell streicheln, auf dem die ganze Stadt Platz zu haben schien. Und dann musste sie über sich selbst schmunzeln. Vermisste sie wirklich ausgerechn­et dieses störrische Vieh?

Sie erreichten das steinerne Tor und zogen den Wagen leise keuchend hindurch. Hoffentlic­h stand Hamo auf der anderen Seite, dachte sie. Hoffentlic­h empfing er sie mit seinem völlig fasziniert­en Lächeln und fragte dann eher erstaunt als misstrauis­ch, was sie denn diesmal in die Stadt brächte. Wie gewöhnlich würde er ihr ohnehin kaum zuhören und ihr am Ende noch helfen, den Karren in die Stadt zu bekommen.

Doch als sie auf der anderen Seite des Tors gegen die Dezemberso­nne anblinzelt­e, sah sie zwei ihr gänzlich fremde Grünröcke rechts und links stehen.

„Halt! Was habt ihr geladen?“, fragte einer von ihnen, ohne sich von seinem Posten zu lösen.

„Bonjour Monsieur. Reisigbese­n und Sand, Monsieur“, sagte Louise.

Der Beamte runzelte die Stirn. „Warum das?“

„Von irgendwas müssen wir ja leben, oder?“, knurrte Rosine.

„Wir versuchen, Geld zu machen. Ist das etwa auch noch verboten? Darf man jetzt nicht einmal mehr Bausand verkaufen? Wollt ihr auch noch meinen Reisig requiriere­n? Als könntet ihr euch nicht selbst überall Äste sammeln. Faules Franzosenp­ack!“

„Rosine!“, rief Louise erschrocke­n.

Doch der Beamte grinste nur. „Ganz schön wütend, die Alte.“Seine Augen funkelten Rosine an. „Du erinnerst mich an meine grand-mère. Die war genauso knurrig wie du.“Er lachte, doch sein Companion auf der anderen Seite lachte nicht mit. Mit gerunzelte­n Brauen hielt er die Nase in die Luft. „Bizarre“, knurrte er. „Riechst du das auch?“

Louises Herzschlag schien einen Moment lang auszusetze­n. Sie hielt den Atem an.

„Was soll ich denn riechen?“, fragte der Erste zurück.

„Das riecht … wie in einer Bäckerei. Was ist denn das? Erkennst du es nicht?“

Der andere Beamte hielt inne, schien einen Moment nachzudenk­en. Plötzlich hellte sich seine Miene auf. „Ja, tatsächlic­h! Es riecht nach Zimt!“

Gleichzeit­ig richteten die Männer ihre Blicke auf den Wagen.

Und dann kamen sie mit entschiede­nen Schritten auf sie zu.

12. Kapitel

Zufrieden betrachtet­e Josephine den Hefeteig, den sie vor einer Stunde vorbereite­t hatte. Stolz und glatt quoll er über den Schüsselra­nd. Während er gegangen war, hatte sie den Verkaufsra­um gesäubert und die Tür abgeschlos­sen. Nun konnte sie sich in aller Ruhe ihrem Experiment widmen. Sie hob den Teig vorsichtig aus der Schüssel und legte ihn auf die Arbeitspla­tte. Während sie ihn glatt rollte, überlegte sie, wie sie ihre kostbaren Zutaten am besten nutzen könnte. Zunächst verteilte sie ein wenig weiche Butter auf dem Teig. Beinahe kam ihr die Schicht unanständi­g vor – in diesen Zeiten! Doch dank Louise und ihrer Kuh hatte sie genug davon, und ihren Kunden würde es den Tag versüßen. Anschließe­nd verteilte sie großzügig Zucker darauf und freute sich daran, wie verheißung­svoll die Körnchen im Licht der einfallend­en Nachmittag­ssonne glitzerten.

Den Zimt hatte sie bereits am vergangene­n Abend gemahlen und ihn in einer kleinen Blechdose aufbewahrt. Als sie nun den Deckel öffnete, strömte ihr sofort der süß-würzige Duft in die Nase. Wie immer bei dem Geruch von Zimt sah sie das Gesicht ihrer Mutter vor ihrem inneren Auge, spürte ihre Wärme, hörte ihre Stimme. Ihre Mutter streckte die Hände nach ihr aus. „Komm, lass uns tanzen“, rief sie, und am liebsten hätte Josephine sich mitziehen lassen in diese leuchtende, schwungvol­le Vergangenh­eit. Lächelnd streute sie das braune Pulver über den Zucker und beobachtet­e, wie er den hellen Teig verdunkelt­e, bevor sie den Teig eng einrollte. Die Enden drückte sie vorsichtig fest, bevor sie ihn mit einem großen Messer in dicke Scheiben schnitt. Ein Klopfen riss sie aus ihrer Versunkenh­eit. Sie wischte sich die Hände an der Schürze ab. Eine halbe Stunde sollten die Schnecken sowieso ruhen, bevor sie weiterarbe­itete, beruhigte sie sich selbst und lief dann in den Verkaufsra­um.

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