Christine Majerus zeigt nach einem ihrer „schlechtesten Rennen“Teamgeist
Die Luxemburger Landesmeisterin und Nina Berton sind nach dem Frauenrennen des Rad-Klassikers Paris-Roubaix glücklich – wenn auch aus unterschiedlichen Gründen
Falls es noch Menschen gibt, die daran zweifeln, ob Radsport nun eine Mannschaftssportart ist oder nicht, sollten sie sich das Frauenrennen des Klassikers Paris-Roubaix noch einmal ansehen.
Lotte Kopecky hat es geschafft: Die Belgierin sicherte sich den Sieg bei der vierten Austragung des Eintagesrennens. Für Kopecky und ihre Mannschaft SD Worx ist es der erste Erfolg beim Klassiker im Norden Frankreichs. Die Erleichterung im Ziel war hörbar. Kopecky schrie ihre ganze Freude beim Überfahren der Ziellinie heraus und kam fortan aus dem Strahlen gar nicht mehr heraus.
Soigneur Maciej Kowalewski wurde als Erster gedrückt, dann war Pressechefin Gretel Coorevits an der Reihe. Sportdirektor Lars Boom wollte seine Kapitänin gar nicht mehr loslassen, und Teammanager Danny Stam standen die Tränen in den Augen. Die Erleichterung war riesig. Kopecky hatte dem Druck standgehalten. „Paris-Roubaix war das große Ziel der Saison“, sagt die Siegerin. Sie ist zwar die amtierende Weltmeisterin und war als Topfavoritin gestartet, doch ein Selbstläufer war die Quälerei über die 17 Kopfsteinpflaster-Sektoren keinesfalls.
Kopecky verrät, wie es ihr in den Tagen vor dem Rennen gegangen war: „Das Team hatte die ganze Woche viel Vertrauen in mich. Meine Kolleginnen haben versucht, mich die ganze Zeit zum Lachen zu bringen, um die Atmosphäre angenehm und entspannt zu halten. Das hat mir sehr gutgetan.“
Kopecky hatte bei der Flandern-Rundfahrt vor acht Tagen ungewohnte Schwächen erkennen lassen. Sie belegte den für ihre Verhältnisse enttäuschenden fünften Platz. „Ich habe mich gefragt, warum ich mich nicht so fit fühle. Das ist eine Kopfsache. Alle um mich herum haben immer wieder betont, dass ich an meine eigenen Qualitäten glauben muss“, erläutert die 28-Jährige.
Immer wieder stellt sie den Teamaspekt in den Vordergrund: „Im Rennen hat das Team fantastisch für mich gearbeitet. Ich musste wenig Kraft aufwenden und war immer in einer perfekten Position, um die Kopfsteinpflaster-Passagen zu bewältigen. Lorena Wiebes in der zweiten Gruppe zu haben, war für mich vielleicht der Schlüssel zum Sieg. Ihre Anwesenheit bei den Verfolgerinnen war für mich Gold wert.“
Aus einer Sechsergruppe sprintete Kopecky schließlich auf den letzten Metern im Velodrom von Roubaix an Elisa Balsamo (I/Lidl) und Marianne Vos (NL/Visma) vorbei. Vos musste sich mit Rang vier begnügen, nachdem die Britin Pfeiffer Georgi (dsm-firmenich) noch an der Niederländerin vorbeizog. Auf den Plätzen fünf und sechs folgten Amber Kraak (NL/FDJ) und Ellen van Dijk (NL/Lidl). Auch sie gehörten noch zur Spitzengruppe. Dahinter regelte Lorena Wiebes (NL/SD Worx/auf 28‘‘) den Sprint der Verfolgerinnen.
Majerus kann nicht folgen
„Mit den beiden schnellen Sprinterinnen Vos und Balsamo in der Spitzengruppe war ich mir nicht sicher, dass ich den Sprint gewinnen würde. Es war sehr schwierig, sich in eine gute Position zu bringen. Zum Glück hatte ich noch genug Kraft in den Beinen für einen langen Spurt. Ich freue mich, dass ich Paris-Roubaix zu meinem Palmarès hinzufügen kann. Dieses Kopfsteinpflaster (die Siegertrophäe, Anm. d. Red.) bekommt einen besonderen Platz bei mir zu Hause“, erklärt Kopecky.
: Meine Kolleginnen haben versucht, mich die ganze Zeit zum Lachen zu bringen, um die Atmosphäre angenehm und entspannt zu halten. Lotte Kopecky
Bei der Siegerehrung waren die „Ooh, Lotte Kopecky“-Sprechchöre deutlich zu hören. Ihre Teamkolleginnen hatten sich vor dem Podium versammelt, saßen auf dem Rasen und ließen ihre Kapitänin hochleben.
Auch Christine Majerus war dabei. Die 37Jährige lachte. Sie war glücklich, auch wenn es für sie persönlich absolut nicht nach Wunsch gelaufen ist. 70 Kilometer vor dem Ziel war ihr Rennen eigentlich schon vorbei. Luxemburgs Landesmeisterin wurde nach hinten durchgereicht, fiel zunächst aus der ersten Gruppe zurück, dann aus der zweiten. Das Ziel erreichte sie als 85. mit einem Rückstand von 12‘43‘‘ auf „Königin Kopecky“, wie Marie Schreiber auf Instagram schrieb. „Ich bin super happy für Lotte und die Mannschaft“, erklärte Majerus.
Sie gab allerdings auch zu: „Für mich war es eines der schlechtesten Rennen der vergangenen Jahre. Ich bin sehr traurig und enttäuscht.“Eine echte Erklärung hatte sie nicht: „Mein Körper hat mich im Stich gelassen. Ich hatte gar keine Power. Das war nicht wirklich ich.“Majerus pausiert nun erst einmal: „Mit dem Start meiner Klassikerkampagne war ich mehr als zufrieden, umso enttäuschter bin ich über die Art und Weise, wie sie zu Ende geht. Ich weiß nicht, warum es schiefgelaufen ist. Aber es ist Zeit, die Handbremse zu ziehen und ein paar Tage abzuschalten.“
Als beste Luxemburgerin klassierte sich am Samstag Nina Berton (Ceratizit) auf Rang 40 (auf 3‘15‘‘). Sie hatte sich bei ihrer Premiere auf den tückischen Pavés gut geschlagen, auch wenn sie vor dem ersten Sektor in einen Sturz verwickelt war, der glimpflich verlief. „Es hat Spaß gemacht, auch wenn ich mich zwischendurch ein paar Mal fragte, warum ich mir das eigentlich antue“, sagt sie nach den Strapazen lachend. „Ich fühle mich noch ganz okay. Die Finger sind nicht blutig. Blasen an den Händen hatte ich mit Vaseline vorgebeugt. Aber ich glaube, an den nächsten beiden Tagen wird der Körper doch ganz schön schmerzen.“
„Das Rennen ist ganz anders als jedes andere. Das Terrain ist vollkommen flach. Kraft ist der entscheidende Parameter. Außerdem ist das Positionieren extrem wichtig. Wenn du zu weit hinten fährst, sich vorn die Stärksten lösen und dazwischen Lücken aufgehen, kannst du nicht mehr viel tun“, analysiert Berton die Tücken der „Hölle des Nordens“.
Nach ihrem Sturz kam sie noch einmal zurück ins Hauptfeld, hielt auf den ersten drei
Pavés-Sektoren gut mit und musste dann die Favoritinnen in der Kombination bestehend aus Auchy-lez-Orchies und Monsen-Pévèle ziehen lassen. „Ich fuhr fortan in einer größeren Gruppe (16 Fahrerinnen, Anm. d. Red.). Ich machte nichts fürs Tempo, weil wir noch eine Fahrerin vorn hatten (Marta Lach wurde 22., Anm d. Red.). Es lief rund. Wir konnten in Schlagdistanz bleiben“, sagt Berton, die abschließend ergänzt: „Ich bin auf den Geschmack gekommen. Es war eine gute erste Erfahrung. Es war bestimmt nicht meine letzte RoubaixTeilnahme.“