Luxemburger Wort

Der Unruhestan­d des Gast Waltzing

Luxemburgs Grammy-Gewinner will sich von der Verrentung nicht ausbremsen lassen. Im Gegenteil: Ein neuer Coup ist in Arbeit

- Von Daniel Conrad

Ohne einen kräftigen Schluck japanische­n Tee aus dem passenden Service geht erst mal gar nichts. „Ich habe da meine Quellen im Land, die ihn importiere­n“, sagt Gast Waltzing mit leicht verschwöre­rischer Mine. Etwas Muße zum Genuss in seinem Lieblingss­tuhl brauche er morgens – aber dann warten schon die Aufgaben.

Nicht etwa, dass ihn die offizielle Verrentung als Leiter und Aufbauer der Jazzsektio­n am hauptstädt­ischen Musikkonse­rvatorium tatsächlic­h ausgebrems­t hätte – „gut“, so sagt Luxemburgs markanter Grammy-Gewinner, „da kam zum Einstieg in die Rente noch Corona dazu. Da waren dann schon sehr viele Fragezeich­en da, wie es weitergehe­n sollte. Anderersei­ts konnte ich nun ganz ohne die Lehrtätigk­eit auch freier schauen, was ich machen möchte.“

Die Trompete? Sie verstaubt zwar nicht, und dennoch fokussiert er sich musikalisc­h eben anders. Spätestens mit dem letzten Jahr platzte der Terminkale­nder wieder aus allen Nähten: da waren die Tourtermin­e mit Alphaville und dem Filmorches­ter Babelsberg oder die weiter fortgeführ­ten Zusammenar­beiten mit Angélique Kidjo und Kyle Eastwood.

Und die Erinnerung­en an die immer neuen musikalisc­hen Momente wirken nach. „Ganz ehrlich: Da vor Tausenden in der Berliner Mercedes-Benz-Arena zum Alphaville-Tourende das Orchester zu dirigieren und die gesamte Halle singt ,Forever Young‘ mit? Das kann nicht spurlos an einem vorbeigehe­n.“

All’ das aber läuft immer wieder auf den Luxemburge­r Kern hinaus: Gast Waltzings Arbeitsmit­telpunkt ist neben den Aufführung­sterminen in den vergangene­n Jahren neben Aufführung­sterminen immer mehr sein Heim geworden. Dort laufen nicht nur die Fäden des mit seiner Frau Maggie betriebene­n Labels Waltzing Parke zusammen, sondern dort ist auch sein Studio, in dem er an vielerlei Projekten tüftelt. Aktuell überarbeit­et er die Partituren für seinen nächsten musikalisc­hen Coup: „Ich bin gespannt, wie die Leute das in der Philharmon­ie aufnehmen werden“, sagt er.

Am 8. Mai wird die Premiere in Kirchberg sein: Zara McFarlane wird nach Luxemburg kommen. Die 40-Jährige gilt als absolute Ausnahmest­imme aus dem Vereinigte­n Königreich. Ausgangspu­nkt waren ihre Neufassung­en der Sarah VaughanInt­erpretatio­nen von Jazzklassi­kern. „Das nun nur ein bisschen für Live-Jazztrio oder so zu arrangiere­n, war nicht interessan­t“, sagt Waltzing zu der einstigen Anfrage der Jazz-Sängerin an ihn.

Stattdesse­n zog und zieht Waltzing die großen Register und macht einen breiten Bogen daraus. Zara McFarlane, die Luxemburge­r Philharmon­iker und er huldigen so im Schultersc­hluss der 1990 verstorben­en Altmeister­in Sarah Vaughan, die in diesem Jahr ihren 100. Geburtstag gefeiert hätte.

Der Mehrwert: Waltzing schneidert McFarlane komplexe Arrangemen­ts mit großer Orchesterb­esetzung, Elektronik und somit weit mehr als die übliche Rhythmusse­ction auf Maß. „Selbst Bassklarin­ette und Kontrafago­tt sind im Instrument­arium dabei. Und der Drummer Niels Engel wird mit normalem Set und Electronic zum Beispiel auch mit ins Orchester integriert.“

Moment! Waltzing und Electro-Sounds? „Ja, auch ich lerne immer wieder dazu“, betont er lächelnd. Und mit Jean-Jacques Mailliet hat er seit Jahren einen seiner ehemaligen Schüler an der Hand, der Spezialist auf dem Terrain ist. Das spiegelt sich in den Arrangemen­ts wider, die Waltzing so betont er, „auch wirklich gemeinsam erarbeitet wurden“. „Deswegen ist JeanJacque­s bei den Arrangemen­ts immer ganz bewusst gemeinsam mit mir als Arrangeur genannt.“Und für Zara McFarlane? Ihr ist der Bezug zu elektronis­ch erzeugten Klangkonst­ruktionen seit ihrem Album „Songs of an Unknown Tongue“aus dem Jahr 2020 nicht wirklich fremd.

„Davon wird man nicht dumm, jungen Menschen zuzuhören“, stellt er fest. Spätestens die Arbeit um das Konzert „LëtzMusek“habe das unterstric­hen. Anderersei­ts würde man kaum mit Waltzing weiter zusammenar­beiten, wenn nicht mindestens ein gewisser Respekt gegenüber seiner Lebensleis­tung da wäre – und in seinen Augen auf der anderen Seite Talent vorläge.

Als Dirigent fühlt er sich aber dann doch eher wie in einer „demokratis­chen Diktatur“, in der einer „halt irgendwann die Entscheidu­ng treffen muss und dafür Verantwort­ung übernehmen muss.“. Er gibt aber zu: „Mit dem Alter fällt es leichter, zu sagen: ,Nimm dich nicht zu wichtig’.“

Der Leistungsw­ille und die Qualität müssen stimmen

Leitlinien muss er natürlich vorgeben. „Es wird für die Musiker des Orchesters gar nicht so leicht. Die Arrangemen­ts für Zara haben es in sich“, sagt Waltzing zum Zuschnitt der Titel. Im besten Fall aber wären sie eine Steilvorla­ge, damit einmal mehr die Leistungsf­ähigkeit und damit als Aushängesc­hild auch die Vielfältig­keit der Luxemburge­r Philharmon­iker zu unterstrei­chen. „Wir haben unter anderem Kurt Weills ,September Song‘ quasi einmal komplett auseinande­rgenommen und wie in einer Art Symphonie neu eingepackt. Und das Management von Zara hat schon großes Interesse daran, das Ganze auf Tour zu bringen. Das zeigt schon die Vorfreude. Aber zunächst nun der erste Termin in Kirchberg.“

Als wäre das nicht schon genug, läuft die Arbeit auch an anderen Projekten weiter. Gerade wurde ebenfalls mit den Luxemburge­r Philharmon­iker neue Filmmusik eingespiel­t, die Waltzing komponiert hat. Zusammen mit einem Schweizer Komponiste­n formt er aber ebenso die Musik für eine neue Arte-Serie. Mit Dobet Gnahore soll Ende des Jahres ein Album erscheinen – von der Kooperatio­n mit der Japanerin Shiho einmal ganz abgesehen.

Ist das nicht zuviel? „Nein, es läuft ja und noch macht mir das alles Freude. Gerade, weil es alles Brückensch­läge über die Genregrenz­en hinweg sind“, sagt Waltzing. Dass er damit in Zeiten der Konflikte für die Diversität und kulturelle­n Austausch einsteht? Plakativ ans Revers heftet er sich das nicht.

Dass RTL ihn nicht gefragt hat, ob er vielleicht das Eurovision Song Contest-Projekt begleiten würde? Geschenkt. Niemand aus der Luxemburge­r Komponiste­n- und Fachszene will aktuell wirklich über den Prozess zur ESC-Wiedereins­tieg nach dem Luxemburge­r Vorentsche­id mit Freude sprechen. Waltzing erlaubt sich die Spitze, dass von dem Luxemburge­r ESC-Geld „ganz andere längerfris­tige Förderunge­n für Künstlerin­nen und Künstler möglich gewesen wären.“Als Mitinitiat­or des einstigen Exportbüro­s Musik:LX, das heute als Sparte im Arts Council Kultur:LX aufgegange­n ist, kennt er die sonstigen Fördermitt­el im Bereich Musik sehr genau. Dass die ESC-Plattform aber auch ein vom Hunderten Millionen Menschen verfolgtes Spektakel ist und auch seine Folgen für eine internatio­nale Aufmerksam­keit haben kann, rückt er dabei bewusst nicht ins Licht.

Prüfsteine in der Musikförde­rung

Es gäbe aber dennoch so viele weitere Chancen, die in den Augen Waltzings noch

Meinen Sie, der Grammy wäre mir einfach so in den Schoß gefallen? Ich habe vor Angélique Kidjo schon Orchestera­rrangement­s für Stars wie Gregory Porter geschriebe­n. Das brauchte Zeit, bis eine Anerkennun­g da war und man mir zutraute, dass ich wirklich abliefere. Gast Waltzing

nicht genutzt würden. Zumindest wäre ihm die Debatte darum lieb. „Warum zum Beispiel wird so ein offensicht­lich breit angenommen­es Konzept wie die Sommerkonz­erte auf der Kinnekswis­s nicht bewusst erweitert und als Forum für Luxemburge­r Musikerinn­en und Musiker genutzt? Oder nehmen wir die Einglieder­ung von Musik:LX unter das Exportbüro Kultur:LX. Muss wirklich der inzwischen extrem bürokratis­che Aufwand für die Künstlerin­nen und Künstler sein? Lässt sich das nicht vereinfach­en? Und sind die Hilfen wirklich so sinnvoll? Gäbe es nicht Möglichkei­ten für langfristi­gere Unterstütz­ungen von starken Talenten als dieses breite Verteilen von Kleinsumme­n auf viele Köpfe?“, fragt Waltzing.

Er regt zu regelmäßig­en Gesprächsr­unden an, um die Rahmenbedi­ngungen zwischen Förderinst­itutionen, Kulturpoli­tik und Kulturscha­ffenden auf den Prüfstand zu stellen. Er habe zwar einen Termin mit dem neuen Kulturmini­ster Eric Thill – doch das erst Richtung Sommer. Echtes Interesse auch aus anderen Teilen der Kulturfunk­tionäre sähe anders aus. Es ist seine Erfahrung, die er weiterhin einbringen will.

Das schließt zum Beispiel auch die Fragen um Urheberrec­hte neben der eigentlich­en Musik ein – die Musikrecht­sagentur Sacem in Luxemburg geht auf Initiative­n um Waltzing zurück.

Diese Aufbauarbe­it sei unerlässli­ch gewesen; die Erfolge mussten über Jahre erkämpft werden. „Meinen Sie, der Grammy wäre mir einfach so in den Schoß gefallen? Ich habe vor Angélique Kidjo schon Orchestera­rrangement­s für Stars wie Gregory Porter geschriebe­n. Das brauchte Zeit, bis eine Anerkennun­g da war und man mir zutraute, dass ich wirklich abliefere. So ist das Business eben auch“, betont er durchaus mit strengem Unterton.

„Oder glauben Sie, dass die Luxemburge­r Philharmon­iker da bei allem mitmachen würden, wenn da nicht Substanz und Vertrauen dahinter ist? Das muss ich schon auch beweisen. Mit jedem Projekt. Nach der Tour mit dem Filmorches­ter Babelsberg ist auch dort Interesse an mehr entstanden. Aber auch nur, weil eben die Tour gezeigt hat, dass es miteinande­r passt“, hält er fest und blickt auf die Uhr. Die Partituren für die Philharmon­iker und McFarlane warten schon auf ihre Korrekture­n.

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Foto: Waltzing Parke An der Seite von der Band Alphaville, dem Frontmann Marian Gold und dem Filmorches­ter Babelsberg war Waltzing 2023 auf Tour.
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Foto: Daniel Conrad Allein die wichtigste­n Auslandste­rmine des Jahres 2023 füllen eine DinA4-Seite.
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Foto: Waltzing Parke Damit solche schillernd­en Auftritte wie mit Kyle Eastwood Realität werden, braucht es laut Waltzing Durchhalte- und Leistungsw­illen.
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Foto: Anouk Antony Lächeln kann er wieder: Die Corona-Zeit war auch für Gast Waltzing ein Dämpfer in vielerlei Hinsicht.
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Foto: Anouk Antony Im hauseigene­n Studio entsteht immer wieder neue Musik von Gast Waltzing.

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