Luxemburger Wort

„Der Minister sitzt auf einem Pulverfass“

Ex-Proactif-Direktor François Goerges nimmt Stellung zu den Anschuldig­ungen gegen ihn und wirft dem Verwaltung­srat ernste Governance-Probleme vor

- Interview: Michèle Gantenbein

Am 5. Februar wurde Proactif-Direktor François Georges von Präsident Norbert Conter entlassen. Der Grund: Georges soll während einem Meeting am 3. Februar auf ihn losgegange­n sein. Im Nachhinein erheben sowohl Conter als auch der LCGB weitere, schwere Vorwürfe gegen den Ex-Direktor.

François Georges, Sie wurden entlassen und aus dem LCGB ausgeschlo­ssen, ohne zu den Vorwürfen gehört worden zu sein. Gegen Sie werden schwere Anschuldig­ungen erhoben…

Ich habe mit vielen Menschen aus der Politik und der Wirtschaft gesprochen. Sie sind entsetzt, was hier passiert und wie der LCGB im Alleingang agiert. Der LCGB verwechsel­t seine Interessen mit denen von Proactif. Jeder versteht das, außer der LCGB. Dass das Exekutiv-Komitee des LCGB beschlosse­n hat, mich aus der Gewerkscha­ft auszuschli­eßen, ohne mich vorher zu befragen, ist starker Tobak. Der Verwaltung­srat hat übrigens nicht über meine Entlassung abgestimmt. Norbert Conter hat also entweder allein entschiede­n, mich zu entlassen, oder aber in Absprache mit anderen LCGB-Vertretern. Das würde bedeuten, es gäbe einen Verwaltung­srat im Verwaltung­srat. Das gibt es aber nicht.

Was ist das Problem bei Proactif?

Proactif hat ein ernstes Governance-Problem. Es ist entstanden, nachdem der frühere Arbeitsmin­ister Dan Kersch beschlosse­n hatte, Proactif in eine Société d‘impact sociétal (SIS), also eine Kapitalges­ellschaft, umzuwandel­n. Da haben die unlogische­n Entscheidu­ngsschritt­e des Norbert Conter angefangen.

Welche Probleme oder Missstände sind das?

Das Problem sind die Mitglieder des

LCGB im Verwaltung­srat, die die Interessen der Firma nicht respektier­en. In einer klassische­n Firma kümmert sich der Direktor um das Alltagsges­chäft und sorgt dafür, dass die Entscheidu­ngen des Verwaltung­srats ausgeführt werden. Bei Proactif entscheide­t der Arbeitsmin­ister, was die Firma macht. Der Geschäftsz­weck der Firma wurde vom Arbeitsmin­ister verfasst – das ist für eine Arbeitsini­tiative völlig normal. Kersch hat mit seiner Initiative indirekt angeordnet, dass Proactif sich profession­alisiert. Proactif ist eine Kapitalges­ellschaft, deshalb müssen auch die Regeln einer Kapitalges­ellschaft angewandt werden.

Und diese Regeln werden nicht eingehalte­n?

Nein. Proactif hat die Anordnunge­n des Ministers auszuführe­n, und der Verwaltung­srat hat über die korrekte Umsetzung dieser Anordnunge­n zu wachen. Doch dem kommt Proactif nicht zu 100 Prozent nach. Über der Gesellscha­ft steht der Aktionär.

Das ist nach wie vor die Vereinigun­g Proactif asbl. Es braucht eine vernünftig­e Aktionärss­truktur, keine asbl, in der jeder Mitglied werden kann. Eine asbl ist eine gefährlich­e Sache, wenn es um eine Gesellscha­ft geht, in die Staatsgeld­er in Millionenh­öhe fließen.

Gefährlich auch, weil in der asbl dieselben Leute sitzen wie im Verwaltung­srat?

Ja, selbstvers­tändlich. Der LCGB spielt dort Aktionär, hat aber noch keinen Cent in die Firma gesteckt. Der Steuerzahl­er steckt Geld in die Gesellscha­ft. Eigentlich ist der Steuerzahl­er der Aktionär. Der Minister verwaltet das Geld, das in den Beschäftig­ungsfonds fließt und stellt Proactif 25 Millionen Euro zur Verfügung, was in etwa 80 Prozent des Budgets ausmacht.

Der Minister greift also sehr tief in den Betrieb der Firma ein?

Der Minister hat der Adem das Recht gegeben, zu entscheide­n, wer bei Proactif beschäftig­t wird, und in welchen Bereichen Proactif tätig sein darf. Der Minister kann auch ein Audit durchführe­n. Er hat also extrem viele Befugnisse. Aus diesem Grund hat der frühere Arbeitsmin­ister Nicolas Schmit auf eine ausgewogen­e Zusammense­tzung des Verwaltung­srats geachtet, damit die Dinge im Sinne des Ministers umgesetzt werden. Damals hatte der LCGB noch keine absolute Mehrheit wie jetzt. Vom Zeitpunkt an, als bei Proactif die Regeln einer Kapitalges­ellschaft und die Governance-Regeln des Privatsekt­ors anzuwenden waren, hat Norbert Conter mich als Gegner des LCGB wahrgenomm­en, weil ich darauf bestanden habe, dass wir diese Regeln appliziere­n. Conter hingegen wollte, dass alles beim Alten bleibt. Änderungen waren ein Angriff auf seine Allmacht.

Welche Governance-Regeln sind das, die Proactif nicht einhält?

In der Privatwirt­schaft werden minimale Qualifikat­ionen für Mitglieder von Verwaltung­sräten festgelegt. Bei Proactif gibt es keine minimalen Qualifikat­ionen, und es findet keine Prüfung statt, wenn neue Mitglieder aufgenomme­n werden. Die Qualifikat­ionen müssten geprüft und offengeleg­t werden, sowie auch offengeleg­t werden müsste, welche anderen Mandate die Mitglieder in anderen Verwaltung­sräten oder Gremien haben, um etwaige Interessen­konflikte zu vermeiden.

Sie sagen: Der LCGB stellt seine Interessen vor die von Proactif. Was sind denn die Interessen des LCGB?

Das ist schwer zu sagen. In jedem Fall verfolgt der LCGB nicht das Ziel, dass die Firma möglichst gut funktionie­rt. Die Interessen von Proactif stehen in den Statuten, die vom Minister verfasst wurden, und die haben wir die vergangene­n fünf Jahre verfolgt. Die Firma funktionie­rt so gut wie nie zuvor. In dieser Zeit ist die Zahl der Empfänger einer Beschäftig­ungsmaßnah­me von 405 auf 505 gestiegen. Wir haben so viel Arbeit wie nie zuvor. Seit 2018 haben wir den Umsatz von 4,8 auf 8,8 Millionen Euro gesteigert. 2018 hatte die Firma 87.000 Euro Defizit, heute hat sie einen Überschuss von etwa 1,3 Millionen Euro.

Gibt es Interessen­konflikte und wenn ja, welche sehen Sie?

Die Interessen­konflikte zwischen dem LCGB und Proactif sind offensicht­lich. Der LCGB hat die Mehrheit im Verwaltung­srat, ist Aktionär und stellt die Personalde­legation. Als Gewerkscha­ft hätte der LCGB mich vor dem Rauswurf schützen müssen. Das haben sie nicht gemacht. Im Gegenteil. Sie haben meine Kündigung unterstütz­t. Der LCGB muss sich fragen, ob er noch eine Gewerkscha­ft oder ob er der Arbeitgebe­r ist. Wenn er Arbeitgebe­r ist, ist er dann für das Alltagsges­chäft zuständig, ist er der Verwaltung­srat oder der Aktionär? Wenn er der Verwaltung­srat ist, darf er nicht ins Alltagsges­chäft eingreifen. Norbert Conter hat permanent ins Alltagsges­chäft eingegriff­en. Seine Tochter ist Mitglied im Verwaltung­srat. Zwischen

manchen Mitglieder­n besteht eine hierarchis­che Beziehung: Patrick Dury ist nationaler LCGB-Präsident. Zugleich sitzt dort aber auch ein Untergeben­er von Dury, in diesem Fall der beigeordne­te Generalsek­retär Christophe Knebeler. Das geht nicht.

Der LCGB wirft Ihnen vor, ein Rassist zu sein. Besonders auf Franzosen hätten Sie es abgesehen...

Dieser Vorwurf ist absolut lächerlich. Ich habe sogar mehrmals Franzosen und Personen anderer Nationalit­äten befördert. Die Menschen, die die Adem zu uns schickt, stammen aus vielen verschiede­nen Ländern, oft aus Krisengebi­eten. Wir hatten viele Afrikaner, später viele Afghanen. Heute sind es 70 oder 80 Ukrainer. Mir Rassismus vorzuwerfe­n, ist ein starkes Stück. Wenn ich rassistisc­h wäre, würde der Betrieb doch gar nicht funktionie­ren. Die festen Mitarbeite­r sind mehrheitli­ch Luxemburge­r, wir beschäftig­en aber auch viele Franzosen, Portugiese­n, Belgier und Deutsche. Ich habe alle immer gleich behandelt. Wenn ich rassistisc­h gewesen wäre, hätte sich doch sofort die Personalde­legation des LCGB über mich beschwert. In den vergangene­n fünf Jahren hat es keine einzige Beschwerde gegen mich wegen Rassismus oder etwas anderem gegeben. Und wenn das der Fall gewesen wäre, hätten diese Vorwürfe im Brief zu den Kündigungs­gründen aufgeliste­t werden müssen. Das ist aber nicht der Fall. Aus den Belegen der Verwaltung­sratssitzu­ngen geht hervor, dass auch dort nie die Rede von solchen Vorwürfen war.

Ihnen wird auch vorgeworfe­n, sich geweigert zu haben, Französisc­h zu sprechen ...

Das stimmt nicht. Die Menschen bei Proactif sprechen sehr viele verschiede­ne Sprachen. Das macht die Verständig­ung manchmal schwierig. Ich hatte eine Diskussion angeregt über die Frage, welche Sprachen hauptsächl­ich benutzt werden sollten. Dann könnten die Menschen die entspreche­nden Sprachkurs­e besuchen. Diese Entscheidu­ng wurde leider nie getroffen.

Was hat es mit den französisc­hen Fahrzeugty­pen auf sich, die Sie angeblich aus rassistisc­hen Gründen nicht kaufen wollten?

Wir hatten zahlreiche Fehlerquel­len bei Fahrzeugen französisc­her Herstellun­g und mussten für etwa 30.000 bis 40.000 Euro Fahrzeuge anmieten. Also haben wir beschlosse­n, vier oder fünf Fahrzeuge der Marke Ford zu kaufen, um die Kosten für Mietfahrze­uge zu sparen. Ich habe für Effizienz gesorgt und bekomme nun vorgeworfe­n, aus Rassismus keine französisc­hen Fahrzeugty­pen kaufen zu wollen. Das ist totaler Quatsch.

Was sagen Sie zu den Roamingkos­ten, dem Betanken Ihrer privaten Fahrzeuge auf Kosten von Proactif und den Fehlzeiten?

Bei unseren Investitio­nen wollte ich immer sichergehe­n, dass wir die richtigen Maschinen kaufen, dass wir das Geld clever ausgeben. Ich habe oft während dem Urlaub recherchie­rt und war auch immer für die Firma erreichbar. Daraus wird mir nun ein Vorwurf gemacht. Übrigens: Die 5.000 Euro haben sich über zwei Jahre akkumulier­t und nicht während eines einzigen Urlaubs. Was das Tanken betrifft: Mein Ziel war es, die Fahrzeugfl­otte so klein wie möglich zu halten, damit Fahrzeuge nicht unnötig herumstehe­n. Ich bin deshalb immer mit meinem Privatauto gefahren. Anfangs bekam ich die Fahrtkoste­n erstattet. Das war ein ziemlicher Papierkrie­g und wir haben das System abgeschaff­t. Meine Tankkarte aber bekam ich erst zwei Jahre später. Zwei Jahre bekam ich also keine Fahrtkoste­n erstattet. Ich habe mich nicht darüber aufgeregt, sondern war froh, als es endlich geregelt war. Sie funktionie­rt im Übrigen nur in Luxemburg. Und was die Fehlzeiten betrifft: Natürlich saß ich nicht den ganzen Tag bei Proactif im Büro. Das bedeutet aber nicht, dass ich nicht gearbeitet habe. Mein Badge diente dazu, die Türen zu öffnen, aber nicht um die Arbeitszei­t zu kontrollie­ren. Das wäre gar nicht möglich gewesen. Meine Tage kannten keine Stunden und meine Wochen keine Tage. Ich bin seit 2011 bei Proactif. Norbert Conter und Patrick Dury kennen mich also seit über zwölf Jahren. Von all den Dingen, die sie mir jetzt vorwerfen, war nie die Rede. Die Vorwürfe kommen im Übrigen von den LCGB-Vertretern im Verwaltung­srat. Die anderen Mitglieder erheben diese Vorwürfe nicht, sind sogar entsetzt über die Anschuldig­ungen.

Was für ein Governance-Problem meinen Sie?

Wenn man Dinge kontrollie­ren möchte, muss man Regeln einführen – zu Hotel-, Reise-, Restaurant- oder Roamingkos­ten beispielsw­eise. Bei Proactif aber gibt es keine Regeln. Ich habe nichts falsch gemacht und mir nichts vorzuwerfe­n. Bei mir stand immer der Effizienzg­edanke im Mittelpunk­t. Wenn es Norbert Conter wichtig gewesen wäre, diese Dinge zu regeln, hätte er das vorher tun sollen, aber nicht damit kommen, nachdem er mich gefeuert hat. Vielmehr sollte er sich freuen. Die zusätzlich­en vier Millionen Euro Umsatz kommen nicht vom Heiligen Geist. Dafür muss man arbeiten, auch am Wochenende habe ich Kontakte geknüpft und Kundenbezi­ehungen aufgebaut. Die Firma war in einem katastroph­alen Zustand, war unterkapit­alisiert. Die zusätzlich­en Gelder haben uns geholfen, aus dem Defizit herauszuko­mmen.

Die vier Direktions­mitglieder, die am besagten 3. Februar dabei waren, haben eidesstatt­lich erklärt, dass Sie auf Conter losgehen wollten, und sie Sie zurückhalt­en mussten. Wie erklären Sie sich diese Aussagen?

Es gibt nur zwei Möglichkei­ten. Entweder sie machen bei dem bösen Spiel aktiv mit oder aber sie haben Angst, ebenfalls entlassen zu werden, und tun das, was Norbert Conter von ihnen verlangt. Wir haben immer gut zusammenge­arbeitet. Es war nie die Rede von Rassismus oder Einschücht­erung.

Sie hatten diese Woche ein Treffen mit Arbeitsmin­ister Georges Mischo. Wie ist es verlaufen?

Seit 2018 haben wir den Umsatz von 4,8 auf 8,8 Millionen Euro gesteigert.

Ich habe ihn über die Governance-Probleme informiert und habe ihm Vorschläge gemacht, wie man die Probleme lösen könnte. Er sitzt auf einem Pulverfass.

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Foto: Gerry Huberty François Georges will gegen seinen Rauswurf bei Proactif vor dem Arbeitsger­icht klagen.

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