„Der Minister sitzt auf einem Pulverfass“
Ex-Proactif-Direktor François Goerges nimmt Stellung zu den Anschuldigungen gegen ihn und wirft dem Verwaltungsrat ernste Governance-Probleme vor
Am 5. Februar wurde Proactif-Direktor François Georges von Präsident Norbert Conter entlassen. Der Grund: Georges soll während einem Meeting am 3. Februar auf ihn losgegangen sein. Im Nachhinein erheben sowohl Conter als auch der LCGB weitere, schwere Vorwürfe gegen den Ex-Direktor.
François Georges, Sie wurden entlassen und aus dem LCGB ausgeschlossen, ohne zu den Vorwürfen gehört worden zu sein. Gegen Sie werden schwere Anschuldigungen erhoben…
Ich habe mit vielen Menschen aus der Politik und der Wirtschaft gesprochen. Sie sind entsetzt, was hier passiert und wie der LCGB im Alleingang agiert. Der LCGB verwechselt seine Interessen mit denen von Proactif. Jeder versteht das, außer der LCGB. Dass das Exekutiv-Komitee des LCGB beschlossen hat, mich aus der Gewerkschaft auszuschließen, ohne mich vorher zu befragen, ist starker Tobak. Der Verwaltungsrat hat übrigens nicht über meine Entlassung abgestimmt. Norbert Conter hat also entweder allein entschieden, mich zu entlassen, oder aber in Absprache mit anderen LCGB-Vertretern. Das würde bedeuten, es gäbe einen Verwaltungsrat im Verwaltungsrat. Das gibt es aber nicht.
Was ist das Problem bei Proactif?
Proactif hat ein ernstes Governance-Problem. Es ist entstanden, nachdem der frühere Arbeitsminister Dan Kersch beschlossen hatte, Proactif in eine Société d‘impact sociétal (SIS), also eine Kapitalgesellschaft, umzuwandeln. Da haben die unlogischen Entscheidungsschritte des Norbert Conter angefangen.
Welche Probleme oder Missstände sind das?
Das Problem sind die Mitglieder des
LCGB im Verwaltungsrat, die die Interessen der Firma nicht respektieren. In einer klassischen Firma kümmert sich der Direktor um das Alltagsgeschäft und sorgt dafür, dass die Entscheidungen des Verwaltungsrats ausgeführt werden. Bei Proactif entscheidet der Arbeitsminister, was die Firma macht. Der Geschäftszweck der Firma wurde vom Arbeitsminister verfasst – das ist für eine Arbeitsinitiative völlig normal. Kersch hat mit seiner Initiative indirekt angeordnet, dass Proactif sich professionalisiert. Proactif ist eine Kapitalgesellschaft, deshalb müssen auch die Regeln einer Kapitalgesellschaft angewandt werden.
Und diese Regeln werden nicht eingehalten?
Nein. Proactif hat die Anordnungen des Ministers auszuführen, und der Verwaltungsrat hat über die korrekte Umsetzung dieser Anordnungen zu wachen. Doch dem kommt Proactif nicht zu 100 Prozent nach. Über der Gesellschaft steht der Aktionär.
Das ist nach wie vor die Vereinigung Proactif asbl. Es braucht eine vernünftige Aktionärsstruktur, keine asbl, in der jeder Mitglied werden kann. Eine asbl ist eine gefährliche Sache, wenn es um eine Gesellschaft geht, in die Staatsgelder in Millionenhöhe fließen.
Gefährlich auch, weil in der asbl dieselben Leute sitzen wie im Verwaltungsrat?
Ja, selbstverständlich. Der LCGB spielt dort Aktionär, hat aber noch keinen Cent in die Firma gesteckt. Der Steuerzahler steckt Geld in die Gesellschaft. Eigentlich ist der Steuerzahler der Aktionär. Der Minister verwaltet das Geld, das in den Beschäftigungsfonds fließt und stellt Proactif 25 Millionen Euro zur Verfügung, was in etwa 80 Prozent des Budgets ausmacht.
Der Minister greift also sehr tief in den Betrieb der Firma ein?
Der Minister hat der Adem das Recht gegeben, zu entscheiden, wer bei Proactif beschäftigt wird, und in welchen Bereichen Proactif tätig sein darf. Der Minister kann auch ein Audit durchführen. Er hat also extrem viele Befugnisse. Aus diesem Grund hat der frühere Arbeitsminister Nicolas Schmit auf eine ausgewogene Zusammensetzung des Verwaltungsrats geachtet, damit die Dinge im Sinne des Ministers umgesetzt werden. Damals hatte der LCGB noch keine absolute Mehrheit wie jetzt. Vom Zeitpunkt an, als bei Proactif die Regeln einer Kapitalgesellschaft und die Governance-Regeln des Privatsektors anzuwenden waren, hat Norbert Conter mich als Gegner des LCGB wahrgenommen, weil ich darauf bestanden habe, dass wir diese Regeln applizieren. Conter hingegen wollte, dass alles beim Alten bleibt. Änderungen waren ein Angriff auf seine Allmacht.
Welche Governance-Regeln sind das, die Proactif nicht einhält?
In der Privatwirtschaft werden minimale Qualifikationen für Mitglieder von Verwaltungsräten festgelegt. Bei Proactif gibt es keine minimalen Qualifikationen, und es findet keine Prüfung statt, wenn neue Mitglieder aufgenommen werden. Die Qualifikationen müssten geprüft und offengelegt werden, sowie auch offengelegt werden müsste, welche anderen Mandate die Mitglieder in anderen Verwaltungsräten oder Gremien haben, um etwaige Interessenkonflikte zu vermeiden.
Sie sagen: Der LCGB stellt seine Interessen vor die von Proactif. Was sind denn die Interessen des LCGB?
Das ist schwer zu sagen. In jedem Fall verfolgt der LCGB nicht das Ziel, dass die Firma möglichst gut funktioniert. Die Interessen von Proactif stehen in den Statuten, die vom Minister verfasst wurden, und die haben wir die vergangenen fünf Jahre verfolgt. Die Firma funktioniert so gut wie nie zuvor. In dieser Zeit ist die Zahl der Empfänger einer Beschäftigungsmaßnahme von 405 auf 505 gestiegen. Wir haben so viel Arbeit wie nie zuvor. Seit 2018 haben wir den Umsatz von 4,8 auf 8,8 Millionen Euro gesteigert. 2018 hatte die Firma 87.000 Euro Defizit, heute hat sie einen Überschuss von etwa 1,3 Millionen Euro.
Gibt es Interessenkonflikte und wenn ja, welche sehen Sie?
Die Interessenkonflikte zwischen dem LCGB und Proactif sind offensichtlich. Der LCGB hat die Mehrheit im Verwaltungsrat, ist Aktionär und stellt die Personaldelegation. Als Gewerkschaft hätte der LCGB mich vor dem Rauswurf schützen müssen. Das haben sie nicht gemacht. Im Gegenteil. Sie haben meine Kündigung unterstützt. Der LCGB muss sich fragen, ob er noch eine Gewerkschaft oder ob er der Arbeitgeber ist. Wenn er Arbeitgeber ist, ist er dann für das Alltagsgeschäft zuständig, ist er der Verwaltungsrat oder der Aktionär? Wenn er der Verwaltungsrat ist, darf er nicht ins Alltagsgeschäft eingreifen. Norbert Conter hat permanent ins Alltagsgeschäft eingegriffen. Seine Tochter ist Mitglied im Verwaltungsrat. Zwischen
manchen Mitgliedern besteht eine hierarchische Beziehung: Patrick Dury ist nationaler LCGB-Präsident. Zugleich sitzt dort aber auch ein Untergebener von Dury, in diesem Fall der beigeordnete Generalsekretär Christophe Knebeler. Das geht nicht.
Der LCGB wirft Ihnen vor, ein Rassist zu sein. Besonders auf Franzosen hätten Sie es abgesehen...
Dieser Vorwurf ist absolut lächerlich. Ich habe sogar mehrmals Franzosen und Personen anderer Nationalitäten befördert. Die Menschen, die die Adem zu uns schickt, stammen aus vielen verschiedenen Ländern, oft aus Krisengebieten. Wir hatten viele Afrikaner, später viele Afghanen. Heute sind es 70 oder 80 Ukrainer. Mir Rassismus vorzuwerfen, ist ein starkes Stück. Wenn ich rassistisch wäre, würde der Betrieb doch gar nicht funktionieren. Die festen Mitarbeiter sind mehrheitlich Luxemburger, wir beschäftigen aber auch viele Franzosen, Portugiesen, Belgier und Deutsche. Ich habe alle immer gleich behandelt. Wenn ich rassistisch gewesen wäre, hätte sich doch sofort die Personaldelegation des LCGB über mich beschwert. In den vergangenen fünf Jahren hat es keine einzige Beschwerde gegen mich wegen Rassismus oder etwas anderem gegeben. Und wenn das der Fall gewesen wäre, hätten diese Vorwürfe im Brief zu den Kündigungsgründen aufgelistet werden müssen. Das ist aber nicht der Fall. Aus den Belegen der Verwaltungsratssitzungen geht hervor, dass auch dort nie die Rede von solchen Vorwürfen war.
Ihnen wird auch vorgeworfen, sich geweigert zu haben, Französisch zu sprechen ...
Das stimmt nicht. Die Menschen bei Proactif sprechen sehr viele verschiedene Sprachen. Das macht die Verständigung manchmal schwierig. Ich hatte eine Diskussion angeregt über die Frage, welche Sprachen hauptsächlich benutzt werden sollten. Dann könnten die Menschen die entsprechenden Sprachkurse besuchen. Diese Entscheidung wurde leider nie getroffen.
Was hat es mit den französischen Fahrzeugtypen auf sich, die Sie angeblich aus rassistischen Gründen nicht kaufen wollten?
Wir hatten zahlreiche Fehlerquellen bei Fahrzeugen französischer Herstellung und mussten für etwa 30.000 bis 40.000 Euro Fahrzeuge anmieten. Also haben wir beschlossen, vier oder fünf Fahrzeuge der Marke Ford zu kaufen, um die Kosten für Mietfahrzeuge zu sparen. Ich habe für Effizienz gesorgt und bekomme nun vorgeworfen, aus Rassismus keine französischen Fahrzeugtypen kaufen zu wollen. Das ist totaler Quatsch.
Was sagen Sie zu den Roamingkosten, dem Betanken Ihrer privaten Fahrzeuge auf Kosten von Proactif und den Fehlzeiten?
Bei unseren Investitionen wollte ich immer sichergehen, dass wir die richtigen Maschinen kaufen, dass wir das Geld clever ausgeben. Ich habe oft während dem Urlaub recherchiert und war auch immer für die Firma erreichbar. Daraus wird mir nun ein Vorwurf gemacht. Übrigens: Die 5.000 Euro haben sich über zwei Jahre akkumuliert und nicht während eines einzigen Urlaubs. Was das Tanken betrifft: Mein Ziel war es, die Fahrzeugflotte so klein wie möglich zu halten, damit Fahrzeuge nicht unnötig herumstehen. Ich bin deshalb immer mit meinem Privatauto gefahren. Anfangs bekam ich die Fahrtkosten erstattet. Das war ein ziemlicher Papierkrieg und wir haben das System abgeschafft. Meine Tankkarte aber bekam ich erst zwei Jahre später. Zwei Jahre bekam ich also keine Fahrtkosten erstattet. Ich habe mich nicht darüber aufgeregt, sondern war froh, als es endlich geregelt war. Sie funktioniert im Übrigen nur in Luxemburg. Und was die Fehlzeiten betrifft: Natürlich saß ich nicht den ganzen Tag bei Proactif im Büro. Das bedeutet aber nicht, dass ich nicht gearbeitet habe. Mein Badge diente dazu, die Türen zu öffnen, aber nicht um die Arbeitszeit zu kontrollieren. Das wäre gar nicht möglich gewesen. Meine Tage kannten keine Stunden und meine Wochen keine Tage. Ich bin seit 2011 bei Proactif. Norbert Conter und Patrick Dury kennen mich also seit über zwölf Jahren. Von all den Dingen, die sie mir jetzt vorwerfen, war nie die Rede. Die Vorwürfe kommen im Übrigen von den LCGB-Vertretern im Verwaltungsrat. Die anderen Mitglieder erheben diese Vorwürfe nicht, sind sogar entsetzt über die Anschuldigungen.
Was für ein Governance-Problem meinen Sie?
Wenn man Dinge kontrollieren möchte, muss man Regeln einführen – zu Hotel-, Reise-, Restaurant- oder Roamingkosten beispielsweise. Bei Proactif aber gibt es keine Regeln. Ich habe nichts falsch gemacht und mir nichts vorzuwerfen. Bei mir stand immer der Effizienzgedanke im Mittelpunkt. Wenn es Norbert Conter wichtig gewesen wäre, diese Dinge zu regeln, hätte er das vorher tun sollen, aber nicht damit kommen, nachdem er mich gefeuert hat. Vielmehr sollte er sich freuen. Die zusätzlichen vier Millionen Euro Umsatz kommen nicht vom Heiligen Geist. Dafür muss man arbeiten, auch am Wochenende habe ich Kontakte geknüpft und Kundenbeziehungen aufgebaut. Die Firma war in einem katastrophalen Zustand, war unterkapitalisiert. Die zusätzlichen Gelder haben uns geholfen, aus dem Defizit herauszukommen.
Die vier Direktionsmitglieder, die am besagten 3. Februar dabei waren, haben eidesstattlich erklärt, dass Sie auf Conter losgehen wollten, und sie Sie zurückhalten mussten. Wie erklären Sie sich diese Aussagen?
Es gibt nur zwei Möglichkeiten. Entweder sie machen bei dem bösen Spiel aktiv mit oder aber sie haben Angst, ebenfalls entlassen zu werden, und tun das, was Norbert Conter von ihnen verlangt. Wir haben immer gut zusammengearbeitet. Es war nie die Rede von Rassismus oder Einschüchterung.
Sie hatten diese Woche ein Treffen mit Arbeitsminister Georges Mischo. Wie ist es verlaufen?
Seit 2018 haben wir den Umsatz von 4,8 auf 8,8 Millionen Euro gesteigert.
Ich habe ihn über die Governance-Probleme informiert und habe ihm Vorschläge gemacht, wie man die Probleme lösen könnte. Er sitzt auf einem Pulverfass.