In Erfurt droht der Tabubruch vor laufender Kamera
Für viele ist es ein Skandal. Thüringens CDU-Chef aber nennt es Strategie: Mario Voigt trifft sich mit AfD-Rechtsaußen Björn Höcke zum Fernsehduell
Wer wissen will, wie das ist, mit Björn Höcke zu sprechen, face to face: Es gibt Anschauungsmaterial. Denn auch wenn der AfDPartei- und Fraktionschef in Thüringen einst angekündigt hat, die „etablierten Medien“lieber zu meiden und „alternative“zu bevorzugen: Verwirklicht hat er das nicht.
Dem Mitteldeutschen Rundfunk etwa gibt er — wie die anderen Thüringer Spitzenpolitiker auch — jährlich ein „Sommerinterview“. Wer die an- oder nachschaut, weiß: Auch in Sachen Gesprächsführung steht Höcke auf Regelverletzung.
Natürlich hat Mario Voigt, Partei- und Fraktionschef der CDU im jungen Land mitten in der Republik, das gewusst. Und ganz offensichtlich entschieden, dass ihm der mögliche Gewinn größer erscheint als das Risiko. Am Donnerstagabend trifft er sich im Privatsender „Welt TV“des Springer-Konzerns zum „Duell“mit Höcke; Ringrichter — so muss er dann wohl genannt werden — ist „Welt TV“Chefredakteur Jan Philipp Burgard.
Schon angesichts der Fakten in Thüringen ist das „Duell“eine mindestens originelle Idee. Dort regiert seit zehn Jahren eine rot-rot-grüne Koalition — in ihrer zweiten Auflage seit 2020 ohne parlamentarische Mehrheit; Ministerpräsident ist Bodo Ramelow von den Linken. Sein Ziel für die Landtagswahl am 1. September ist eine dritte Amtszeit. Und also werden im Fernsehstudio die Herausforderer ermitteln wollen, wer der Chef-Herausforderer ist. Die aktuellsten Umfragen vom 19. März sehen die AfD bei 29 bis 31 Prozent, die CDU bei 20 bis 21, die Linken bei 16 bis 18 — und das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) bei 13 bis 15. Könnten die Thüringerinnen und Thüringer aber ihren Ministerpräsidenten direkt wählen, würden sich 44 Prozent für Ramelow entscheiden, 17 für Voigt und 16 für Höcke.
Auf Letzteren schaut die ganze Republik, egal was er sagt. Mitunter bringt ihn das vor Gericht — nächstens schon wieder. Ab 18. April geht es in Halle darum, dass Höcke mehrfach bei Veranstaltungen die verbotene Losung der Sturmabteilung der NSDAP, kurz SA, „Alles für Deutschland!“entweder selbst intoniert oder nach den ersten beiden Wörtern das Publikum zum Vervollständigen aufgefordert hat. Schon seit 2019 darf Höcke gerichtsfest „Faschist“genannt werden.
Kein Wunder, dass Voigts Entscheidung für den Disput — so es einer wird — jede Menge Kritik ausgelöst hat. „Wer Rechtsextremen eine Bühne bietet, normalisiert deren Hetze“, postete der Thüringer Innenminister Georg Maier (SPD) auf „X“unter der Überschrift „Mit Nazis diskutiert man nicht“.
Wer Rechtsextremen eine Bühne bietet, normalisiert deren Hetze. Georg Maier, Thüringer Innenminister
So sieht das die gesamte Regierungskoalition samt Ramelow. Zusätzlich halten sie es für eine Provokation, dass Voigt ausgerechnet am Tag der Befreiung des Konzentrationslagers Buchenwald mit Höcke redet, der in der Gedenkstätte Hausverbot hat.
Der Bruch eines Tabus
Auch in Voigts eigener Partei, der CDU, sind nicht alle begeistert davon, dass der ein Tabu bricht. Selbst wenn es aus dem Parteipräsidium offiziell heißt, die Entscheidung passe zur von Friedrich Merz ausgegebenen Parole „einer sehr klaren und harten Auseinandersetzung, insbesondere gegen die AfD“bei den drei Landtagswahlen in den jungen Ländern im Herbst. Nebenan, in Sachsen, das taggleich mit Thüringen wählt, rollen die Christdemokraten die Augen, fragt man sie nach dem Duell.
Voigt selbst inszeniert sich als den, der „die Brandmauer“zur in Thüringen als gesichert rechtsextrem eingestuften AfD betoniert — und den völkisch-rassistischen Frontmann der gesamten Partei „inhaltlich stellen“will. Nicht sagt er, dass er und seine Fraktion in der laufenden Legislatur vor der passiven Unterstützung durch Höcke & Co. nicht schreiend davongelaufen sind.
Und nicht sagt er auch, dass ihn — egal, wie es ausgeht — allein der Streit um das Streitgespräch bekannter macht, als er es in Thüringen noch immer ist. Und schon gar nicht, dass ihm das jeden Vorwurf wert ist.
Die kommen ja nicht nur von der politischen Konkurrenz. Tobias Rothmund, an der Universität in Jena Professor für Kommunikations- und Medienpsychologie, sieht Höcke als garantierten Profiteur, weil er „in die Rolle eines ernstzunehmenden politischen Gegners gehoben wird, mit dem man sich die Bühne teilt“.Chefredakteur Burgard verspricht, im Gegenteil, „keine Bühne“für Höcke, sondern „einen Boxring der Demokratie“für Thüringen. Um die machen sich dort, laut jüngster Infratest Dimap-Umfrage, satte 69 Prozent der Bevölkerung „große Sorgen“.
Höcke, übrigens, ist über die Phase, in der er TV-Interviews wegen zu kritischer Fragen abgebrochen hat, lange hinaus. Er versucht sich jetzt im subtileren Torpedieren. Im Sommer 2022 etwa räusperte er sich in fast jede Frage von MDR-Journalist Lars Sänger hinein. Bei seinen Antworten, die oft genug wenig bis nichts mit der Frage zu tun hatten, war der Zwang zum Husten dann weg — wie durch Zauberhand.