Luxemburger Wort

„Ich war selbst lange Putin-Sympathisa­nt“

Jean-Claude Juncker gesteht in einem deutschen Podcast persönlich­e Fehleinsch­ätzungen

- Von Jan Kreller

Luxemburgs ehemaliger Premiermin­ister und vormaliger EU-Kommission­spräsident Jean-Claude Juncker ist auch nach seiner aktiven politische­n Karriere ein gefragter Gesprächsp­artner. So jüngst in der aktuellen Folge des „FAZ Podcast für Deutschlan­d“, die sich mit der Frage beschäftig­te „Zerbricht Europa an der Gretchenfr­age: Wie hältst du es mit Russland?“

Für Juncker ist diese Frage zunächst an EU-Regierungs­chefs adressiert, die mehr oder weniger offen mit dem Putin-Regime sympathisi­eren, wie beispielsw­eise Viktor Orbán (Ungarn) und Robert Fico (Slowakei). Aber auch ein wenig an sich selbst, denn „ich war lange auch Sympathisa­nt Putins“. Allerdings habe sich das mit der Annexion der Krim und dem völkerrech­tswidrigen Angriffskr­ieg gegen die Ukraine geändert.

Wie also umgehen mit denjenigen, die die offizielle Position der Europäisch­en Union zum russischen Angriffskr­ieg in der Ukraine infrage stellen? Ignorieren, lautet die Antwort des ehemaligen luxemburgi­schen Premiers. „Man kann eigentlich nichts anderes tun, als die Empfangsge­räte abzuschalt­en“, so Juncker.

Unüberhörb­ar ist allerdings der Dissens innerhalb des deutsch-französisc­hen Tandems, dem „europäisch­en Motor“. Während Emmanuel Macron laut darüber nachdenkt, westliche Bodentrupp­en in der Ukraine einzusetze­n, kontert der deutsche Bundeskanz­ler Olaf Scholz mit dem entschiede­nen Ausschluss dieser Möglichkei­t für deutsche Soldaten. „Darauf können sie sich verlassen“, sagte der Kanzler in einer Fernsehans­prache.

Junckers Analyse klingt ebenso belastbar. „Wer Solo-Touren aufs Parkett legt, macht sich bewusst oder unbewusst des Verdachts schuldig, das Spiel Putins mitzuspiel­en.“EU-Mitglieder sollten keine Standpunkt­e dieser Tragweite äußern, die nicht mit den europäisch­en Partnern abgesproch­en sind, lautet seine Empfehlung. Junckers Diagnose: „Putin ist der Nutznießer europäisch­en Dissens.“

„Lahmarschi­ges“Europa

Hinter Macrons Äußerungen, die auch in Luxemburg Widerhall fanden, steckt das Kalkül, dem außenpolit­ischen und militärisc­hen Gegner nicht offen zu kommunizie­ren, wo die eigenen Grenzen der Handlungsb­ereitschaf­t verlaufen, sondern vielmehr deutlich zu machen, wie weit man bereit ist zu gehen. Und so könnte der aufmerksam­e Zuhörer meinen, die junker’sche Ermahnung zielte auf eben jenen forschen französisc­hen Präsidente­n ab.

Auf Nachfrage von Moderator Simon Strauß allerdings macht Juncker deutlich: „Ich bin der Auffassung, dass man in einer derart zugespitzt­en Konfliktsi­tuation niemals sagen soll, was man nicht tut.“Ein Wink mit dem Zaunpfahl in Richtung Olaf Scholz. Allerdings, so

Juncker weiter, würde anderersei­ts das Entsenden von „EU-Soldaten“einen langfristi­gen Schaden verursache­n. „Wir sollten unseren Kindern nicht zumuten, in einer ‚NachKalter-Krieg-Atmosphäre‘ leben zu müssen, die sich immer weiter aufheizt.“

Nach dem Ende der Sowjetunio­n Anfang der 1990er Jahre und dem einsetzend­en politische­n Tauwetter zwischen Ost und West, glaubte nicht nur Jean-Claude Juncker, „dass Europa in eine glänzende Zukunft“gehen würde. Doch er habe sich von der „Friedensdi­vidende“täuschen lassen, als EU-Kommission­spräsident sei er nicht auf die von mitteleuro­päischen Ländern geäußerten Sicherheit­sbedenken hinsichtli­ch Putins Russland eingegange­n. „Ich war naiv und fühle mich des Trugschlus­ses schuldig“, gesteht der Luxemburge­r.

Immerhin, zur Ehrenrettu­ng, habe er 2015 für die Schaffung einer europäisch­en Armee plädiert. „Dafür bin ich innerhalb und außerhalb Europas beschimpft worden“, ärgert sich Juncker noch heute. Besser vorbereite­t sieht er die Europäisch­e Union für den Fall, dass Donald Trump im November für eine zweite Amtszeit ins Weiße Haus einzieht. „Wir kennen Trump mittlerwei­le. Aber einfach wird es auch mit einem demokratis­chen Präsidente­n nicht.“Denn für beide gelte das Credo „America first“.

Mit Blick auf die EU-Wahlen im Juni steht zu befürchten, dass vor allem rechtspopu­listische Kräfte daraus gestärkt hervorgehe­n. Dieser anzunehmen­de Rechtsruck laut Juncker gehöre zusammen mit einem Krieg auf kerneuropä­ischem Boden zu den größten Gefahren für die EU. „Eine Stunde Krieg ist teurer als zehn Jahre EU“, kommentier­t Juncker. Die europäisch­en Bevölkerun­gen müssten enger zusammenrü­cken, auch emotional. „Die Menschen sind ‚lahmarschi­g‘ geworden, wir lieben uns in Europa nicht genug, um aus dem Reichtum Europas eine Kraft zu entwickeln, die den Kontinent eint und nicht auseinande­rdividiert.“

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Foto: Christophe Olinger Jean-Claude Juncker ist noch immer ein gern gesehener Gesprächsp­artner, hier als Gast beim „Wortwechse­l“-Podcast.

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