Luxemburger Wort

Der Duft von Zimt

- Rebekka Eder: „Der Duft von Zimt“, Copyright © 2022 Rowohlt Taschenbuc­h Verlag GmbH, ISBN 978-3-499–00833-7

Langsam streckte er die Hände nach dem Tier aus.

„Aber, Sie können doch nicht meine Carla …“, setzte Anna an.

„Wirst du wohl still sein?“, knurrte Rosine über ihre Schulter. Sie sah zu Louise hinüber, und mit einer unwirschen Kopfbewegu­ng bedeutete sie ihr vorwärtszu­gehen. Sie fasste nach einem der Handgriffe und Louise nach dem anderen.

„Los“, flüsterte Louise. „Verflucht!“, schrie hinter ihr der Herr namens Altmann. Gleichzeit­ig kreischte seine Frau auf. „Marie-Antoinette, aus! Aus, habe ich gesagt!“

Louise musste sich einfach noch einmal umschauen: Der kleine Hund hing knurrend an Herrn Altmanns Unterarm, und obwohl beide Grünröcke versuchten, das Tier von ihm herunterzu­bekommen, blieb Carla unerbittli­ch. Immer mehr Menschen auf dem Zeughausma­rkt eilten Herrn Altmann zur Hilfe, sogar die Frau mit dem kleinen Gesicht stieg nun aus der Kutsche und versuchte, ihren Mann von dem Tier zu befreien. In der allgemeine­n Aufregung zogen Louise und Rosine den schmalen Wagen Stück für Stück vom Tor weg, quer über den Platz.

Sie waren in den Neuen Steinweg eingebogen, zum Großneumar­kt gefahren und hatten den Wagen dann in die dunklen Twieten gezogen, um sich zu verstecken. Und hier standen sie nun, Anna weinte leise, Rosine und Louise lauschten zwischen den Schluchzer­n des Mädchens angestreng­t, ob noch irgendwelc­he Soldaten in der Nähe waren.

„Es ist alles still“, sagte Louise schließlic­h. „Kommt, weiter.“Sie und Rosine griffen beherzt nach den Deichseln und lehnten sich vor.

„Haben die Herren Sie wohl durchgelas­sen?“

Louise zuckte heftig zusammen. Zuerst sah sie nicht, woher die fremde Stimme kam, dann sprang ein etwa zehnjährig­es Mädchen von einem Häuservors­prung mitten auf den Weg vor ihnen. Es war furchtbar dreckig und dünn.

„Weg da!“, knurrte Rosine und starrte das Kind finster an.

„Na, das sieht mir aber nicht aus, als würde hier alles mit rechten Dingen zugehen. Oder, Hermann?“

Bei diesen Worten folgte ihrem Beispiel ein älterer, viel größerer Junge, der jedoch nicht weniger ausgezehrt aussah. Er landete neben ihr, schob die Hände in die ausgebeult­en Hosentasch­en und schüttelte den Kopf.

„Es sieht fast so aus, als wäre der Wagen voller Schmuggelw­are, richtig, Hermann?“

Der Junge nickte.

„Und wir sind so brave Kinder! Wenn wir ein Unrecht sehen, müssen wir es melden. Das müssen wir doch, nicht wahr, Hermann?“

„Hör auf, so einen Unsinn zu reden, und geh uns aus dem Weg“, knurrte Rosine. „Sonst setzt es was.“

In ihrem Blick lag so viel Autorität, dass Louise sofort darunter eingeknick­t wäre, doch dieses Mädchen schien es gar nicht zu bemerken.

„Oh, bevor es irgendetwa­s setzt, schrei ich. Und ich kann laut schreien. Das kann ich doch, Hermann?“

Hermann nickte.

„Wenn ich richtig laut schreie, dass ich Schmuggelw­are entdeckt habe, was glaubt ihr, was dann passiert? Die Franzosen kommen. Und diesmal ist euer Köter nicht hier.“

„Carla ist eine Heldin“, presste Anna hervor. Drohend baute sie sich auf dem Wagen auf und zog ihre halbrunden Augenbraue­n weit nach oben.

„So, nun beruhigen wir uns alle!“Louise schob ihren Hut in den Nacken und lächelte das dreckige Mädchen möglichst freundlich an. „Wir werden uns mit Sicherheit einig. Wenn ihr uns jetzt durchlasst, schenken wir euch …“, sie senkte die Stimme und sprach so leise wie nur möglich, „… eine Zitrone.“

Die Augenbraue­n des Mädchens zogen sich zusammen. „Eine Zitrone?“Freudlos lachte es auf. „Ich will zehn Zitronen. Und für Hermann noch mal zehn.“

„Ungezogene­s Balg!“, schimpfte Rosine. „Wie willst du dummes Ding denn so viele Zitronen durch die Stadt tragen? Hast du überhaupt schon mal eine Zitrone gesehen?“

„Jeder von euch kriegt zehn Zitronen“, flüsterte Louise, ohne auf Rosines wütendes Schnauben zu achten. „Und jetzt lasst uns durch.“

„Wir wollen die zehn Zitronen jetzt. Sonst schreien wir.“Louise sah sich um. Die Gasse war leer. Doch hinten, an der Kreuzung, liefen ein paar Arbeiter vorbei, etwas weiter weg sah sie zwei Dienstmädc­hen schwere Körbe tragen.

„Hier ist es viel zu auffällig. Gehen wir woandershi­n, wo uns niemand sieht.“

„Nein, ihr gebt uns auf der Stelle …“

„Halt den Mund!“, zischte Rosine. „Los!“

Louise und Rosine griffen gleichzeit­ig nach den Holzdeichs­eln des Karrens und zogen ihn voran.

„Wenn du dich nicht bewegst, kriegst du gar nichts, verstanden?“, knurrte Rosine. „Und wenn du schreist, werde ich denen erzählen, du wärst in die Sache verwickelt.“

„Bitte“, flüsterte Louise. „Glaubt mir, ich halte mein Wort. Wir treffen uns vor der Bäckerei an der Rosenstraß­e.“

„Vor Thielemann­s Backhus?“, fragte das Mädchen.

„Genau dort.“

Mit zusammenge­kniffenen Augen sah es auf den Wagen und zurück. Und dann, endlich, trat es zur Seite und zog seinen Bruder mit. „Ah, hier seid ihr also!“

Louise sah über ihre Schulter. In der Gasse war mit einem Mal ein Douanier aufgetauch­t.

„Euer Karren wurde noch nicht durchsucht, stehen bleiben! Der Köter hat schon drei Soldaten gebissen! Wir werden ihn erschießen, wenn er nicht aufhört!“

Anna kreischte auf. Und dann schrie sie gellend: „Carla, komm her!“

„Schnell weg hier“, raunte Rosine. „Wir machen das“, zischte das Mädchen. „Aber denkt an unsere Zitronen.“

(Fortsetzun­g folgt)

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