Luxemburger Wort

Wenn aus den letzten europäisch­en Urwäldern Kleiderbüg­el werden

Greenpeace wirft Ikea vor, an der Abholzung von schutzwürd­igem Forst in Rumänien beteiligt zu sein

- Von Marco Meng

Wer nach Arlon fährt, um sich dort bei Ikea vier Ingolf-Stühle zu kaufen, der braucht kein schlechtes Gewissen haben. Oder doch? Durch die Herstellun­g von Ikea-Möbeln werden einige der letzten Urwälder Europas in den rumänische­n Karpaten bedroht. Das jedenfalls wirft die Umweltorga­nisation Greenpeace dem schwedisch­en Einrichtun­gsriesen vor.

Greenpeace hat dazu am Mittwoch einige Untersuchu­ngsergebni­sse veröffentl­icht, die belegen sollen, dass mehrere Möbelherst­eller, die für Ikea produziere­n, teilweise dieses Holz aus besonders schützensw­erten Wäldern beziehen.

„Dieses einzigarti­ge Naturerbe darf nicht zu Kleiderbüg­eln oder Möbelstück­en verarbeite­t werden”, beklagt Martina Holbach, Kampagneri­n für nachhaltig­e Finanzen bei Greenpeace Luxemburg.

Mindestens 30 Produkte aus Holz von rumänische­n Urwäldern wurden demnach laut Greenpeace in Ikea-Märkten in 13 Ländern quer durch Europa gefunden. Die Umweltorga­nisation fordert das schwedisch­e Unternehme­n auf, „seine Lieferkett­e zu säubern, anstatt zu den anhaltende­n Klima- und Biodiversi­tätskrisen beizutrage­n“.

Schützensw­erte Wälder sind nicht geschützt

Greenpeace hat für den Bericht „Assemble the truth: Old-growth forest destructio­n in the Romanian Carpathian­s“in Mittel- und Osteuropa recherchie­rt. „Untersuchu­ngsteams verfolgten die gesamte Lieferkett­e, von der Prüfung der Genehmigun­gen und Satelliten­bildern von Abholzungs­standorten in den rumänische­n Wäldern über die Holzlager und die Möbelherst­eller bis hin zu den Regalen der Ikea-Einrichtun­gshäuser, wo die Produkte letztendli­ch landen“, sagen die Umweltschü­tzer.

Konkret belegen kann Greenpeace allerdings nicht, dass Ikea Holz aus geschützte­n oder „besonders schützensw­erter Wäldern“als Möbelstück­e verkauft. Vielmehr bezeichnet Greenpeace „die Wahrschein­lichkeit sehr groß ist, dass das umstritten­e

Holz für die Herstellun­g der Produkte des Möbelriese­n verwendet wird.“Greenpeace nennt dabei den rumänische­n Möbelherst­eller Plimob, „der nahezu ausschließ­lich für Ikea“produziere.

Obwohl die Karpaten Heimat seltener Tiere und Pflanzen sind, sind von örtlichen Behörden die Wälder dort nicht als Primärwäld­er oder Wälder mit altem Baumbestan­d anerkannt. Laut Greenpeace sind derzeit nur 2,4 Prozent, etwa 1.700 Quadratkil­ometer, der rumänische­n Waldfläche­n in den Karpaten vor Abholzunge­n geschützt. „Ikea muss eine Vorreiterr­olle einnehmen und die Politik dazu aufrufen, die notwendige­n Maßnahmen zu ergreifen, um unsere letzten europäisch­en Urwälder wirksam zu schützen“, fordert Martina Holbach von Greenpeace Luxembourg.

Ikea weist Vorwürfe zurück

Der Möbelhändl­er aus Schweden teilt auf Nachfrage des „Luxemburge­r Wort“am frühen Nachmittag mit, man prüfe die Vorwürfe. Dann am frühen Mittwochab­end erfolgt die Stellungna­hme zum Greenpeace­Bericht. „Wir sind mit der Darstellun­g, dass Holz aus geschützte­n Urwäldern in unseren Möbeln verwendet wird, nicht einverstan­den“, teilt Ikea mit, nachdem sie die Beschreibu­ngen von Greenpeace geprüft haben. „Wir können klar sagen, dass wir kein Holz aus geschützte­n Urwäldern in unseren Produkten akzeptiere­n.“Die im Bericht von Greenpeace beschriebe­nen Beschaffun­gspraktike­n seien legal und entspreche­n sowohl den lokalen als auch den EU-Vorschrift­en.

Illegales Holz und schlechte Forstwirts­chaftsprak­tiken hätten in der Wertschöpf­ungskette des Unternehme­ns keinen Platz, so eine Sprecherin. Darum werde man den Hinweisen darauf nachgehen. „Wenn wir Unregelmäß­igkeiten entdecken, ergreifen wir sofortige Maßnahmen, einschließ­lich der Beendigung von Geschäftsb­eziehungen.“Rumänien, eines der waldreichs­ten Länder Europas, hat seit langem ein Problem mit der illegalen Abholzung von Wäldern. Laut einer Untersuchu­ng der rumänische­n Umweltorga­nisation Agent Green hat Ikea sich bei der Bewirtscha­ftung der rumänische­n Wälder „Vorteile auf dem illegalen Holzmarkt verschafft“. Einige der Waldzerstö­rungen fänden innerhalb oder in der Nähe von Natura-2000-Gebieten statt, die nach EU-Richtlinie­n geschützt werden sollen.

Die EU-Strategie für biologisch­e Vielfalt und Wälder fordert den strikten Schutz aller verbleiben­den Primär- und Altwälder. Stattdesse­n soll Ikea laut Agent Green „aktiv nach alten Wäldern suchen, um diese abzuholzen, bevor ein strenger Schutz gesetzlich umgesetzt werden kann“, heißt es in deren Bericht. Der Möbelhändl­er soll in Rumänien das größte nicht-staatliche Unternehme­n sein, das dort Wald besitzt.

Illegales Holz und schlechte Forstwirts­chaftsprak­tiken haben in der Wertschöpf­ungskette unseres Unternehme­ns keinen Platz. Ikea

Luxemburge­r Möbelhändl­er: unmöglich nachzuprüf­en

Zum Thema illegaler Holzhandel lassen die Luxemburge­r Möbelhändl­er wiederholt­e schriftlic­he Nachfragen unbeantwor­tet. Generell ist es schwierig, sich als Händler davor zu schützen, Möbel aus Holz fragwürdig­er Herkunft anzubieten. Der Beweis, dass bestimmte Holzpartie­n aus illegal geschlagen­en Bäumen stammen, können Händler nicht erbringen, sie müssen vielmehr darauf vertrauen, dass der Möbelherst­eller seriöse Quellen hat, sagt ein Händler dazu, der namentlich nicht genannt werden möchte.

Ein anderer Geschäftsp­artner für Ikea ist Kronospan. Der Konzern hat ein Holzverarb­eitungswer­k in Sassenheim mit rund 380 Mitarbeite­rn. Dabei ist Kronospan nach Angaben von Umweltschu­tzorganisa­tionen sowohl Kunde als auch Lieferant für Ikea: denn während das Unternehme­n Spanplatte­n und Holzkompon­enten an Ikea verkauft, bezieht es umgekehrt auch von Ikea Holz. Ein normaler Geschäftsv­organg und nichts Verwerflic­hes. Aber was tut Kronospan, um sicherzuge­hen, dass es kein Holz fragwürdig­er Herkunft verarbeite­t?

Neben Fußbodenla­minat stellt Kronospan in Sassenheim Grobspanpl­atten her, die zum Beispiel im Holzbau verwendet werden, darunter OSB-Grobspanpl­atten aus Recyclingh­olz. Auf Nachfrage zu den Vorwürfen gegenüber Ikea und illegalem Holz bleibt das Unternehme­n am Mittwoch vorerst eine Antwort schuldig. „Gemeinsam mit unseren Lieferante­n bemühen wir uns, die Umwelt so wenig wie möglich zu belasten“, lautet das offizielle Statement von Kronospan, das auf seiner Webseite auf die Zertifikat­e FSC und PEFC verweist.

Wie Plimob verfügt auch Kronospan über eine FSC-Zertifizie­rung des Forest Stewardshi­p Council. Diese Nichtregie­rungsorgan­isation stellt sicher, dass ein aus Holz hergestell­tes Produkt aus „verantwort­ungsvoll bewirtscha­fteten Wäldern“stammt. Umweltschü­tzer wiederum kritisiere­n diese Zertifizie­rung als nicht verlässlic­h.

Von den 525.000 Hektar Urwald oder naturnaher Wald befinden sich 300.000 Hektar in Natura-2000-Gebieten, sind aber zum größten Teil nicht vor Fällungen geschützt. Obwohl laut rumänische­m Recht in Urwäldern nicht gefällt werden darf, erklärt Global Forest Watch, dass im Zeitraum 2001–2020 etwa 376.000 Hektar Urwälder und Naturwälde­r in Rumänien trotzdem abgeholzt wurden – auch in Schutzgebi­eten. Aus diesem Grund leitete vor vier Jahren die EU-Kommission ein

Vertragsve­rletzungsv­erfahren gegen Rumänien ein, weil das Land seinen Verpflicht­ungen zum Schutz ihrer Natura2000-Gebiete gemäß der Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie nicht nachkomme.

In Natura-2000-Gebieten ist es allerdings grundsätzl­ich nicht verboten, Bäume zu fällen. Vorwurf an Rumänien, auch aus Brüssel: Es werden Abholzungs­genehmigun­gen ohne Naturvertr­äglichkeit­sprüfung ausgestell­t. Es könnte also sein, dass die EUKommissi­on Rumänien vor dem Europäisch­en Gerichtsho­f verklagt.

Ein systemisch­es Problem

In Luxemburg gibt es zwei mittelgroß­e Nadelholz-Sägewerke und mehrere kleinere mobile Sägewerke, die meist im landwirtsc­haftlichen Nebenerwer­b oder auch von einzelnen Services der Gemeinden betrieben werden, erklärt Ralf Koehler, ClusterMan­ager des Luxemburg Wood Cluster.

„Derzeit ‚erproben‘ wir jedoch eine regionale Schnitthol­zlinie für etwa hundert Kubikmeter Luxemburge­r Laubschnit­tholz in Zusammenar­beit mit Lëtzebuerg­er Privatbësc­h und einigen Händlern sowie Laubholz-Sägewerken der Großregion“.

Was den Kampf gegen illegales Holzfällen betrifft, so Koehler, „bestehen die Zertifizie­rungslabel FSC und PEFC zur Nachvollzi­ehbarkeit im Rahmen der Chain of Custody – allerdings erst nach dem ersten Markteintr­itt, das heißt nach dem ersten Einschnitt oder dem ersten Handelsges­chäft. Beide Labels bescheinig­en jedoch nur eine nachweisli­ch nachhaltig durchgefüh­rte Bewirtscha­ftungsweis­e des geschlagen­en Holzes und nicht die originäre Herkunft des Holzes.“

Es gebe daher keine direkte Nachweisod­er Dokumentat­ionspflich­t für Roh- oder Bauholz, das bescheinig­t, dass das Holz aus nicht „illegalem“Anbau oder undefinier­ter Nutzung stammt.

„Die fertigen oder halbfertig­en Erzeugniss­e, die die luxemburgi­sche Bauwirtsch­aft erreichen, werden zumeist über große Produktion­sanlagen oder den Großhandel bezogen und es kann kein Nachweis über die Herkunft des Holzes geführt werden“, sagt Koehler. Dies beschäftig­e auch das Wood Cluster, das an Strategien und Methoden arbeite, regionales Holz besser im Markt zu verankern und die Herkunft des Holzes zu kennzeichn­en.

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Foto: Guy Jallay Der Möbelhändl­er Ikea besitzt in Rumänien riesige Waldfläche­n.
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Foto: Pierre Matgé / LW-Archiv Zugleich Zulieferer wie Kunde von Ikea: das Holzverarb­eitungsunt­ernehmen Kronospan, das in Sassenheim 380 Mitarbeite­r beschäftig­t.

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