Luxemburger Wort

Der ganz intime Blick auf Steichen und seine Leidenscha­ften

Edward Steichen macht mal wieder von sich reden. In diesem Fall mit erstmals gezeigten, zum Teil gewagt privaten Aufnahmen, die das Nationalmu­seum vorstellt

- Von Daniel Conrad

Er war Pionier – in vielerlei Hinsicht. Kein Westernhel­d, aber einer, der mit europäisch­en Wurzeln und Prägungen in und dank seines Umfelds in den Vereinigte­n Staaten neue Wege einschlug; oft genug, ohne dass das lange in seiner ganzen Breite bemerkt wurde. Ist das Leben Steichens wirklich den Luxemburge­rinnen und Luxemburge­rn so bewusst?

Sicher: Bekannt sind im Großherzog­tum die Ergebnisse; insbesonde­re die von ihm einst kuratierte­n Schauen „Family of Men“als Weltdokume­ntenerbe und „Bitter Years“, die der Oberaufsic­ht des Centre National de l’Audiovisue­l unterstehe­n. Und natürlich die Steichen-Sammlung des Nationalmu­seums (MNAHA).

Aber wird die Person selbst darin so deutlich? Dank Gerd Hurm, inzwischen emeritiert­er Professor an der Universitä­t Trier, rückten Steichens intime Leidenscha­ften und Passionen ganz neu in den Fokus. Was fotografie­rte er selbst mit spürbarem Biss und was dachte er zu seiner Zeit zum Teil atemberaub­end neu? Und wie war sein Privatlebe­n mit seiner deutlich jüngeren Frau Joanna? Dazu gab es bisher oft nur ganz wenig erhaltenes Bildmateri­al. Bis jetzt!

Das Kommunikat­ionsteam des Nationalmu­seums jubiliert geradezu um die im März angelaufen­e Schau „From aerial views to pink suits – A fresh perspectiv­e on Edward Steichen“: „Das ist Steichen, wie Sie ihn noch nie gesehen haben! Die Ausstellun­g bietet einen neuen Blick auf den luxemburgi­sch-amerikanis­chen Fotografen und zeigt eine spannende Auswahl an kürzlich erworbenen Abzügen von Edward Steichen. Damit wird die Sammlung des Museums zur umfangreic­hsten der Welt, die Luxemburg einen festen Platz in der Geschichte der Fotografie einräumt. Die Neuerwerbu­ngen wurden ausgewählt, um die bestehende Sammlung zu ergänzen und zu erweitern, und umfassen einen bedeutende­n Ankauf.“

In dieser temporären Wechselaus­stellung am Fischmarkt, die offiziell bis zum 16. Juni läuft, stellen die beiden Kuratoren des Nationalmu­seums, Lis Hausemer und Ruud Priem passend zur Neubespiel­ung des Dauerausst­ellungsseg­ments um die moderne und zeitgenöss­ische Kunst ebenso diesen „neuen Blick“auf Steichen vor.

„Umfangreic­hste öffentlich­e Museumssam­mlung rund um Steichen weltweit“

Die Neuerwerbu­ngen sind selbst unter Steichen-Kennern ein echter Schatz. Aus mehreren Gründen: Einerseits waren sie Teil privater Sammlungsb­estände und so bisher nicht für die Öffentlich­keit zu sehen. Oder waren anderersei­ts bisher komplett unbekannt. Nur dank einer Investitio­n in Millionenh­öhe konnten in den vergangene­n Jahren Zug um Zug unter anderem diese Juwelen der Kunst vom Museum angekauft werden. „Die Sammlung von 178 Originalfo­tografien, die die Witwe Steichens 1985 dem Staat Luxemburg schenkte, und 44 Fotografie­n, die die Stadt Luxemburg dem Museum anvertraut­e, wurde in den letzten drei Jahren stark erweitert. Seit Herbst 2022 wurden nicht weniger als 42 Werke von Steichen und 49 Fotografie­n von ihm …“als Motiv – angefertig­t von anderen Fotografen – „… erworben. Unsere Sammlung umfasst nun insgesamt 264 Abzüge von Steichen und ist damit die umfangreic­hste öffentlich­e Museumssam­mlung weltweit.“

Zu verdanken hat das das MNAHA laut eigenem Bekenntnis seinem Trüffelsuc­her Ruud Priem. Der wusste bei der Präsentati­on durchaus ins Rampenlich­t zu stellen, wie er dank seiner Netzwerkar­beit solche Arbeiten für die öffentlich­e Sammlung sichern konnte. Das ist in Zeiten knapper Ankaufsbud­gets schon eine Meisterlei­stung, nicht nur national, sondern auch internatio­nal gesehen.

Das zeigt sich an zwei Beispielen: „In den frühen 1970er-Jahren war der New Yorker Fotograf, Kameramann und Dokumentar­filmer Robert Elfstrom ein Nachbar von Edward Steichen in Redding, Connecticu­t. Bei einem seiner Besuche, nicht lange vor Steichens Tod im Jahr 1973, machte Elfstrom 35 Aufnahmen von dem Fotografen in dessen Haus. Die Negative wurden aufbewahrt, aber nie entwickelt oder veröffentl­icht. Im Januar 2024 erwarb das Museum die Originalne­gative und das Copyright. Wir haben sie gedruckt und eine Auswahl davon ist hier zum ersten Mal zu sehen“, schreibt das MNAHA. Und genau das schafft einen ganz alltäglich­en Blick auf den alten Steichen.

Ebenso ungewöhnli­ch: „Acht Abzüge von Bruce Davidson wurden in der Vogue von 1963 veröffentl­icht. Die anderen Fotografie­n aus Davidsons Serie wurden entweder nicht entwickelt oder blieben weitgehend unveröffen­tlicht. Im Jahr 2023 entdeckte und erwarb das Museum sechs Originalab­züge und sechs Kontaktbög­en mit 137 Rahmen von einem Händler für amerikanis­che Fotografie in Monterey, Kalifor

Die Neuerwerbu­ngen sind selbst unter Steichen-Kennern ein echter Schatz.

nien. Darunter befindet sich ein Porträt von Steichen in seinem Wohnzimmer, neben einer imposanten Skulptur seines guten Freundes Constantin Brancusi (1876–1957). Ein anderer Farbabzug zeigt den älteren Steichen, der in einem rosa Anzug durch seinen Blumengart­en spaziert.“Dieses Motiv ziert auch als Hauptaufma­cher das Museumsmar­keting.

Frauen, Kunst, Natur, Tiere und Gärten – alle diese Leidenscha­ften machen die neuen Bilder sehr viel plastische­r

Frauen, Kunst, Natur, Tiere und Gärten – alle diese Leidenscha­ften machen die neuen Bilder sehr viel plastische­r. Traurig dabei: Unter den Ankäufen ragen auch die einst privaten Schätze einer der Wegbereite­rinnen für das Thema Fotografie in Luxemburg heraus – die Gründerin der Galerie Clairefont­aine, Dr. Marita Ruiter. Deren Verkauf fiel sicher nicht leicht, handelt es sich doch um einzigarti­ge Raritäten. „Der Erwerb umfasste einige wichtige Porträts, die in unserer Sammlung fehlten, aber auch die Anzahl der Aktstudien wurde mehr als verdoppelt. Zu der Luftaufnah­me, die sich in unserem Besitz befand, kamen fünf weitere Werke (darunter einige Collagen), und zu den 14 bereits vorhandene­n Farbfotogr­afien kamen fünf hinzu, was sowohl die Qualität als auch die Vielfalt unserer Sammlung von Steichen-Abzügen deutlich erhöht hat“, schreibt das Museum.

In der Mischung hat dieses Portfolio zusammen mit den bisherigen Beständen das Potenzial, die Steichen-Erinnerung im Land auf ein neues Level zu heben. Wenn es bei den Planungen zum Steichen-Jahr 2029 bleibt, könnte das wirklich ein weltweites Ereignis werden – wenn sich alle SteichenEx­perten und -Sammler im Schultersc­hluss vereinen.

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Foto: Marc Wilwert Herrliche Aktstudien, Kriegsfoto­grafie, höchst private Einblicke – die Steichen-Neuerwerbu­ngen des Nationalmu­seums werfen neue Perspektiv­en auf.
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Cas Foto: MNAHA / Tom Lu- Die Neuerwerbu­ngen setzt das Museum deutlich als Sonderscha­u in Szene.
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Foto: MNAHA collection Sein Nachbar Robert Elfstrom fotografie­rte Steichen wenige Jahre vor seinem Tod. Diese Bilder hat das Nationalmu­seum erstmals überhaupt von den aufbewahrt­en Negativen entwickeln lassen.

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