Luxemburger Wort

Die Zeit der riesigen Kräne um Notre-Dame ist bald vorbei

Der Brand der Kathedrale in Paris schockiert­e vor fünf Jahren die Welt. Auch in Luxemburg machte man sich verstärkt Gedanken um Brandschut­z

- Von Christine Longin

Die Zeiten, in denen riesige Kräne rund um die Kathedrale Notre-Dame aufragten, sind bald vorbei. Auf der prominente­sten Baustelle Europas sind die gröbsten Außenarbei­ten erledigt. Fünf Jahre nach dem Brand steht der Vierungstu­rm, der damals lodernd in das Dach des Hauptschif­fs stürzte, wieder mit Kreuz und Hahn auf der 96 Meter hohen Spitze.

Und auch der verbrannte Dachstuhl wurde durch neues Gebälk aus Eichenholz ersetzt. „Wir halten die Fristen und das Budget ein“, versichert­e der Vorsitzend­e der mit dem Wiederaufb­au betrauten öffentlich­en Einrichtun­g, Philippe Jost, Ende März vor dem Senat. Das heißt, dass die Kathedrale am 8. Dezember wieder eröffnet werden kann.

Noch in der Brandnacht hatte Präsident Emmanuel Macron versproche­n, das Pariser Wahrzeiche­n in fünf Jahren „noch schöner“wieder aufzubauen. Was damals kaum einer glaubte, wird nun Realität. Und es gibt in ganz Frankreich wohl kaum jemanden, der darauf nicht stolz ist.

Denn die Kathedrale ist mehr als nur ein Kirchenbau: Sie ist Teil der nationalen Identität. „Notre-Dame ist unsere Geschichte, unsere Literatur, unsere Vorstellun­gswelt. Der Ort, wo wir alle großen Augenblick­e erlebt haben. Unsere Epidemien, unsere Kriege, unsere Befreiung. Sie ist das Epizentrum unseres Lebens“, bemerkte Macron im Überschwan­g der Gefühle nach dem Inferno.

Ins kollektive Gedächtnis eingebrann­t

Der Abend des 15. April 2019 ist ähnlich wie die Anschläge des Jahres 2015 ins kollektive Gedächtnis eingebrann­t. Die ganze Welt sah damals die Bilder der Flammen, die stundenlan­g in den Pariser Nachthimme­l loderten. Auf der Place Saint-Michel am linken Seine-Ufer verfolgten tausende Menschen den Kampf der Feuerwehr gegen die Flammen. Junge Katholikin­nen und Katholiken stimmten Gebete und Mariengesä­nge an und Menschen, die eigentlich keine Beziehung zur Kirche hatten, schlossen sich ihnen an – mit den Texten auf ihren Smartphone­s.

Inzwischen weist sogar die Wissenscha­ft auf die Bedeutung des Kirchenbau­s für Frankreich hin. „Notre-Dame verbindet uns sowohl räumlich mit einer auf dem ganzen Planeten verteilten Gemeinde als auch zeitlich mit unseren Vorfahren sowie mit unseren Nachkommen“, bemerkt die Soziologin Nathalie Heinich in ihrem gerade erschienen­en Buch „Notre-Dame des valeurs“.

Notre-Dame ist unsere Geschichte, unsere Literatur, unsere Vorstellun­gswelt. Emmanuel Macron, Französisc­her Präsident

„Ich saß vor dem Fernseher und habe geweint“, erinnert sich Helgard Zahlen, die seit Jahren Führungen in und um Notre-Dame auf Deutsch anbietet, an die Brandnacht. „Vor allem, weil man lange nicht wusste, ob das Feuer einen oder beide Türme zerstören würde.“

Die Feuerwehr stoppte die Flammen schließlic­h, bevor sie die legendären Türme erfassten. Von vorne sah die Kathedrale deshalb überrasche­nd intakt aus. Nur wer sie umrundete, sah den verheerend­en Schaden, den der Brand angerichte­t hatte.

Eine riesige Hilfsberei­tschaft

Die internatio­nale Hilfsberei­tschaft nach dem Inferno war riesig: 846 Millionen Euro kamen für den Wiederaufb­au zusammen. 552 Millionen Euro kostete der Wiederaufb­au, an dem rund 250 Unternehme­n und 2.000

Menschen beteiligt waren. Dazu kamen 150 Millionen Euro für die Beseitigun­g der Trümmer und die Absicherun­g des instabil gewordenen Gebäudes.

Der übrig gebliebene Rest des Spendengel­des soll ab nächstem Jahr in die längst fällige Fassadenre­novierung fließen, sagte Philippe Jost, Nachfolger des im vergangene­n Jahr beim Wandern tödlich verunglück­ten Generals Louis Georgelin.

Vor dem Senat sprach Jost ausführlic­h über den Brandschut­z der Kathedrale, der deutlich verbessert worden sei. Im Brandfall soll sofort ein System aus Wasserdamp­f aktiviert werden, das die Ausbreitun­g der Flammen verhindern soll. Falls die Feuerwehr doch eingreifen muss, stehen stündlich 600 Kubikmeter Wasser für Löscharbei­ten zur Verfügung.

„Ein Brand wie 2019 ist nicht mehr möglich.“Was genau das Feuer verursacht hatte, ist bis heute nicht klar. Am wahrschein­lichsten ist ein Kurzschlus­s oder eine Zigaretten­kippe als Ursache. Brandstift­ung schlossen die Untersuchu­ngsrichter aus.

Die aus den Trümmern wieder auferstand­ene Kathedrale dürfte in den nächsten Jahren deutlich mehr Besucherin­nen und Besucher anziehen als vor der Katastroph­e. Bis zu 15 Millionen Menschen werden jährlich erwartet, um den von Ablagerung­en befreiten, hellen Innenraum mit seinen restaurier­ten Statuen, Fenstern und Altarbilde­rn zu bewundern. Die Aufgabe, den Andrang zu steuern, liegt dann bei der Diözese von Paris. Jost und seine Leute haben ihre Arbeit getan.

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 ?? Foto: AFP/Ludovic Marin und Geoffroy Van der Hasselt ?? Der Spitzturm der Kathedrale auf einem Archivbild aus dem Jahr 2018 (l.) und während des verheerend­en Brands. Der 93 Meter hohe Turm stürzte bei dem Feuer ein.
Foto: AFP/Ludovic Marin und Geoffroy Van der Hasselt Der Spitzturm der Kathedrale auf einem Archivbild aus dem Jahr 2018 (l.) und während des verheerend­en Brands. Der 93 Meter hohe Turm stürzte bei dem Feuer ein.

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