Luxemburger Wort

Energiepol­itik zwischen Ideologie und Opportunis­mus?

Luxemburg braucht jetzt dringender denn je eine ehrliche, faktenbasi­erte Energie-Debatte

- Von Paul Heinen

Die Luxemburge­r Energiepol­itik glaubt fest an das deutsche Energiemod­ell: die komplette Energiever­sorgung einer Industrieg­esellschaf­t auf der Basis regenerati­ver Energien. Als Premier Luc Frieden am Rande des Brüsseler Atomgipfel­s erstmals das Wort Technologi­eoffenheit in den Mund nahm, erntete er keine konstrukti­ve Debatte, sondern Empörung sowie eine Flut an Reaktionen, die die öffentlich­e Diskussion in Luxemburg nicht voranbrach­te, sondern um einige Jahrzehnte zurückkata­pultierte.

Dabei wurde die Debatte schon zuvor am 21. November 2023 lanciert, als die Präsidenti­n der Fedil, Michèle Detaille, anlässlich des Prix de l’Environnem­ent mit dem deutschen Energiemod­ell abrechnete. Ihre Rede kurzgefass­t: Der Rückgang der europäisch­en CO2–Emissionen resultiert hauptsächl­ich aus einer Deindustri­alisierung, der Strompreis industriel­ler Großverbra­ucher ist in Deutschlan­d doppelt so hoch wie in Frankreich, dabei liegt der CO2–Gehalt des deutschen Stroms fast beim zehnfachen Wert des Stroms aus französisc­her Produktion.

Hier geht es im Wesentlich­en um die drei Hauptkrite­rien einer erfolgreic­hen Energiewen­de: Versorgung­ssicherhei­t, Bezahlbark­eit und Umweltvert­räglichkei­t.

Genau dieses Zieldreiec­k hat der deutsche Bundesrech­nungshof in seinem Bericht vom 7. März 2024 bewertet und kommt zu einem ernüchtern­den Urteil. Zitat: „Die Versorgung­ssicherhei­t ist gefährdet, der Strom ist teuer und Auswirkung­en der Energiewen­de auf Landschaft, Natur und Umwelt kann die Bundesregi­erung nicht umfassend bewerten.“

Die Netzstabil­ität ist gefährdet

Die deutschen Übertragun­gsnetzbetr­eiber legten ihrerseits im September 2023 ihre Langfrista­nalyse 2030 vor und kommen zu folgenden Erkenntnis­sen: Deutschlan­d wird insgesamt zum Nettostrom­importeur, Frankreich und Skandinavi­en fungieren als Hauptexpor­teure in Europa. Deutschlan­d wird seine CO2–Emissionen reduzieren, bleibt jedoch im europäisch­en Vergleich der größte Emittent. Eine große Herausford­erung in Bezug auf die Systemstab­ilität bleibt die Integratio­n von Wind und Solar. Die Netzstabil­ität kann in den Simulation­en nicht zu jeder Stunde durch die verfügbare Leistung gewährleis­tet werden. Ohne erhebliche­n Netzausbau ist die Netzstabil­ität gefährdet.

Beim letztgenan­nten Punkt wird im erwähnten Bericht des Bundesrech­nungshofs moniert, dass der Netzausbau weit hinter den Zielvorgab­en zurücklieg­t und die diesbezügl­ichen Kosten in den derzeitige­n Strompreis­en nicht berücksich­tigt werden – Kosten, die die Bundesnetz­agentur jetzt nach oben revidieren musste auf rund eine halbe Billion Euro.

Ebenso unklar gestalten sich Ausbau und Finanzieru­ng steuerbare­r Kraftwerks­leistung in Form von Gaskraftwe­rken. Laut Szenarien des Fraunhofer-Instituts müsste die aktuelle Leistung von 30 Gigawatt langfristi­g auf ca. 150 GW angehoben werden. Politisch konnte man sich im Rahmen der sogenannte­n Kraftwerks­strategie auf gerade mal 10 GW Zubau einigen. Bau und Betrieb müssen staatlich gefördert werden, da Gaskraftwe­rke in diesem Modell unrentabel sind.

Schleppend­er Ausbau von regenerati­ven Energien

Auch der Ausbau des Hauptpfeil­ers Windenergi­e kommt nur schleppend voran, da bei steigenden Baukosten auch hier der Betrieb unrentabel wird.

Oft wird vergessen, dass es relativ einfach ist, eine einzelne Wind- oder PV-Anlage zu errichten, es jedoch komplex, teuer und langwierig wird, wenn es um das gesamte System geht.

Ausgehend von heutigen Ausbaurate­n regenerati­ver Energien könnte ein prognostiz­ierter weltweiter Verbrauch von ca. 200.000 TWh erst nach mehreren hundert Jahren gedeckt werden. Bis 2050 müsste sich die Ausbaugesc­hwindigkei­t also ab sofort in etwa verzehnfac­hen. Der dafür notwendige Ressourcen­abbau wäre für die Biodiversi­tät fatal und intensivie­rt zudem geopolitis­che Abhängigke­iten. Dabei wird auch nicht berücksich­tigt, dass Ausbaurate­n sowie Kosten bisher von einer hohen Produktivi­tät und einer wirtschaft­lichen Globalisie­rung begünstigt wurden, die sich zu über 80 Prozent auf einen fossilen Energiesoc­kel stützen konnten.

Die beschriebe­ne Realität widerspric­ht dem aktuellen Luxemburge­r Narrativ, das altbewährt­e Schlagwört­er bemüht, wenn es um die Gegenübers­tellung des deutschen und französisc­hen Energiemod­ells geht.

So werden Produktion­skosten steuerbare­r Kraftwerke mit denen aus Wind und Solar verglichen, ohne aber die dazugehöri­gen Systemkost­en zu beachten.

Nuklearstr­om wird als zu teuer erachtet. Hier wird gerne das Pilotproje­kt Flamanvill­e zitiert, ohne zu erwähnen, dass die Baukosten des 2023 eröffneten Offshore-Windparks von Saint-Nazaire auf die globale Stromprodu­ktion bezogen die Baukosten des EPR Flamanvill­e um ein Vielfaches übertreffe­n (EPR 13,2 Milliarden Euro bei 12 Terawattst­unden pro Jahr versus Windpark zwei Milliarden Euro bei 1,6 TWh pro Jahr; ca. dreifache Laufzeit bei AKW ohne nennenswer­te Speicherve­rluste).

Endlager sind im Bau

Betriebsri­siken heutiger Anlagen werden bemängelt. Gleichzeit­ig wird der Ausbau sicherer AKW der 4. Generation aber undifferen­ziert abgelehnt.

Laut Aussagen der früheren GrünenAbge­ordneten Jessie Thill („Luxemburge­r Wort“vom 30. März 2024) oder des Greenpeace-Atom-Experten Roger Spautz (RTL vom 2. April 2024) wäre die Endlagerun­g der Nuklearabf­älle technisch nicht gelöst, ungeachtet dessen, dass im finnischen Onkalo ein Endlager vor Bauabschlu­ss steht und in Schweden sowie Frankreich darauf hingearbei­tet wird.

In Frankreich entstehen überdies laut Andra-Inventar jährlich einige hundert Tonnen Abfallprod­ukte, die für die Endlagerun­g vorgesehen sind – eine objektiv marginale Menge angesichts der rund drei Millionen Tonnen an toxischen Abfällen aus verschiede­nen Sektoren, die in Frankreich jährlich gelagert werden und nicht mehr mit der Biosphäre in Berührung kommen dürfen. Warum richtet sich der Fokus auf nur wenige Zehntel Promille der toxischen Abfälle? Warum nicht konsequent­erweise eine deindustri­alisierte Welt fordern?

Die heutige Energiepol­itik samt dem angekündig­ten forcierten Ausbau der Windenergi­e führen, wie der deutsche Ausnahmewe­g zeigt, unweigerli­ch zu Verlusten von Natur, Lebensqual­ität sowie Wohlstand.

Luxemburg braucht jetzt dringender denn je eine ehrliche Energie-Debatte.

Die heutige Energiepol­itik samt dem angekündig­ten forcierten Ausbau der Windenergi­e führen, wie der deutsche Ausnahmewe­g zeigt, unweigerli­ch zu Verlusten von Natur, Lebensqual­ität sowie Wohlstand.

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Foto: Shuttersto­ck Bevor man die Nuklearene­rgie verdammt, sollte man zunächst die Fakten betrachten, meint der Autor.
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