Als das perfide Spiel der Bommeleeër begann
Ende Januar 1984 wird aus einer Gipsmine in Helmsingen Sprengstoff gestohlen. Knapp zwei Wochen später explodiert die erste Bombe
Mit einem Einbruch in einen Bergstollen bei Walferdingen beginnt vor nunmehr 40 Jahren eines der eindrucksvollsten Kapitel der luxemburgischen Kriminalgeschichte. Am Wochenende vom 20. auf den 23. Januar 1984 haben die Täter nur ein Ziel: Sprengstoff zu stehlen.
Bis heute ist unklar, warum die Täter ausgerechnet hier in der Gipsgrube Irthum zuschlagen. Ebenso stellt sich seit jenem Wochenende die Frage, wie ortskundig die Einbrecher tatsächlich sind. Oder folgten sie vielleicht einfach den blanken Schienen durch den Stollen bis zu der Stelle, an der gerade Gips abgebaut wird? Denn genau dort und nirgendwo sonst lagert der Sprengstoff, mit dem Felsen in der Gipsmine aus dem Weg geräumt werden.
Die Frage nach der Ortskenntnis stellt sich aber auch aus einem anderen Grund. Wie der damalige Betreiber des Gipsbergwerks am Montag nach dem Einbruch bei der Gendarmerie in Bereldingen zu Protokoll gibt, durchziehen 1984 insgesamt zwölf Kilometer Stollen den Helmsinger Sonnebierg. Ein Hauptstollen mit rund 30 Nebengängen, erklärt Mathias Irthum den Gendarmen. Da kann man sich schon mal verlaufen.
Zwei Männer, zwangsläufig von sehr schlanker Statur
Das tun die Täter aber nicht. Sie sind zu zweit, zwangsläufig von sehr schlanker Statur, denn um das mächtige, mit einer massiven Stahlkette gesicherte Eisentor zu überwinden, müssen sie sich zwischen Stollenwand und Torpfosten zwängen. Und auch das ist nur kriechend möglich.
Trotz aller möglichen Irrwege gelangen die Täter auf direktem Weg über 400 Meter zur damaligen Abbaustelle. Das verraten ihre Fußspuren. Allerdings, und das ist ein Problem, ist die Spurensicherung in solchen Fällen damals kein Standardverfahren. Die Schuhabdrücke sind nicht verwertbar dokumentiert. Ohnehin wird die Bedeutung dieses Diebstahls vom Januar 1984, des ersten einer sehr langen Serie, erst viel später deutlich.
Überhaupt bleibt vieles an der Anschlagsserie der Bommeleeër lange im Dunkeln. Bis auf einen entscheidenden Punkt: Die Spur der Täter führt in den Sicherheitsapparat selbst, zur Gendarmerie-Spezialeinheit Brigade Mobile (BMG). Und aus den Dieben werden in den Jahren 1984, 1985 und 1986 Sprengstoffattentäter mit einem klaren Ziel.
Täter mit einem fast ritterlichem Selbstverständnis
Sie wollen den Staat so destabilisieren, die schlecht ausgebildeten, unterbesetzten und unzureichend ausgerüsteten Sicherheitskräfte so öffentlich bloßstellen, dass auch dem letzten Gegner klar wird, dass Luxemburg keine Insel ist; dass das Land den kriminellen Banden nichts entgegenzusetzen hat; dass es deshalb auch im Großherzogtum einer starken und modernen Ordnungsmacht bedarf.
Doch so edel das auf den ersten Blick auch klingen mag: Die Bommeleeër versetzten das Land mit ihrem perfiden Räuber-undGendarm-Spiel so sehr in Angst und Schrecken, dass sich die Menschen in ihrer Verunsicherung noch heute, 40 Jahre später, mit aller Macht an Verschwörungstheorien festklammern. Weil sie keine einfache und einleuchtende Erklärung für die Hintergründe, für das Ausmaß der Verunsicherung finden.
Und so luxemburgisch wie die Täter ist auch der Sprengstoff, mit dem sie ihre Anschläge verüben: Luxite. Zwischen dem 20. und 23. Januar 1984 stehlen sie 3,5 Kilogramm davon aus der Gipsmine Helmsingen, insgesamt zwölf Stangen, 30 Zentimeter lang und 4,5 Zentimeter im Durchmesser. Sie liegen zum Zeitpunkt des Einbruchs in einer unverschlossenen Kiste direkt dort, wo gerade Gips abgebaut wird. Auch das müssen die Täter gewusst haben.
Eine grüne Zündschnur für ein präzises Timing
Luxite ist ein Sicherheitssprengstoff. Er ist schwer entflammbar und feuchtigkeitsbeständig, ein Produkt, das zwischen 1907 und 2001 von der Poudrerie de Luxembourg in Kockelscheuer hergestellt wurde. Insgesamt entwenden die Bommeleeër in den Jahren 1984 und 1985 nicht weniger als 356 Kilogramm Sprengstoff.
Bei dem Einbruch in die Helmsinger Gipsgrube im Januar 1984 werden neben Luxite über 80 Zündkapseln und eine Rolle mit 200 Metern grüner Zündschnur gestohlen. Zu diesem Zeitpunkt arbeiten nur noch zwei Männer im Gipsstollen, langjährige und zuverlässige Mitarbeiter, wie ihr Arbeitgeber feststellt. Und gegen die besteht auch nach eingehenden Ermittlungen kein Tatverdacht.
Vermutlich wird der Diebstahl sowohl vom Betreiber als auch von den Sicherheitskräften als Bagatelle abgetan. Abgesehen von der Gefährlichkeit der Beute ist das auch verständlich. Denn zu diesem Zeitpunkt ahnt noch niemand, dass bald eine Welle der Angst über das kleine Großherzogtum schwappen wird. Niemand außer dem erlesenen Kreis der Bommeleeër. Und die werden noch zweimal an diesen Ort zurückkehren – und nach und nach eine professionelle Bombenwerkstatt aufbauen.
Wenn Sprengstoff unter den Fingernägeln brennt
Doch der gestohlene Sprengstoff brennt den Bommeleeërn buchstäblich unter den Fingernägeln. Knapp zwei Wochen nach dem Diebstahl zünden sie zum ersten Mal. Was aus damaliger Sicht ein Dummejungenstreich gewesen sein mag, ist tatsächlich der zweite dokumentierte Schritt der Attentäter in ihrer Vorbereitungsphase.
Zwischen dem 4. und 6. Februar 1984, wiederum an einem Wochenende, wird im Gréngewald eine Eisenschranke durch eine
Das Perfide am Räuberund-Gendarm-Spiel der Bommeleeër ist, dass sie wohl gleichzeitig Räuber und Gendarm waren.