Luxemburger Wort

Der Duft von Zimt

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„Ich hätte wirklich nicht gedacht, dass die auf so etwas achten …“

Nachdenkli­ch legte Josephine den Kopf schief. „Ihr braucht also etwas, das den Duft überdeckt …“

„Es sollte stinken“, knurrte Karl. „Damit sie dem Wagen nicht zu nahe kommen wollen.“

Bei diesen Worten sprang Josephine auf. „Na, das ist doch überhaupt kein Problem!“, rief sie aufgeregt.

Fragend sahen Louise und Karl zu ihr hoch. Sie setzte schon zu einer Erklärung an – da ließ ein Klopfen sie zusammenfa­hren. Vier Mal pochte es über ihren Köpfen laut und heftig an der Tür der Bäckerei. Nun sprangen auch die anderen beiden auf die Füße.

„Wer kann das sein?“, flüsterte Louise. „Um diese Uhrzeit?“

„Bestimmt der liebe Verlobte, oder? Im Schutz der Dunkelheit ist so ein Besuch doch am schönsten …“Karl sah Josephine schmunzeln­d an, und seine Augenbraue zuckte.

„Dass du so über andere Männer denkst, weist nicht gerade auf deine eigene Ehrenhafti­gkeit hin“, entgegnete Josephine prompt. Wenn er frech wurde, brauchte sie selbst ihr Mundwerk ihm gegenüber auch nicht zu zügeln, fand sie. Und tatsächlic­h grinste Karl nur über ihre Bemerkung. „Ich sehe nach. Ihr zwei bleibt hier. Und seid bitte leise. Wenn es hier unten rumpelt, kann man das oben vielleicht hören.“

Josephine versuchte, ihren Atem zu beruhigen, während sie die Stufen hinaufstie­g, die Kellertür hinter sich schloss und dann durch die Backstube ging. Kurz bevor sie die Tür im Verkaufsra­um erreichte, klopfte es erneut. Josephine blieb stehen und ballte die Hände zu Fäusten, damit sie nicht mehr zitterten.

„Wer ist da?“, rief sie etwas zu schrill.

„Ich bin’s“, sagte eine Stimme, die Josephine nicht sofort erkannte. „Lass mich sofort rein! Sonst schrei ich! Und ich kann laut schreien, nicht wahr, Hermann? Sehr laut!“

Josephine stöhnte auf. „Mathilde!“, rief sie durch die Tür. „Wir haben schon lange geschlosse­n, und ich habe auch nichts übrig! Kommt morgen wieder.“

„Wir gehen hier nicht weg! Wenn du mich fortschick­st, hole ich die Franzosen.“

„Aber … warum willst du denn die Franzosen holen?“Josephine stemmte die Hände in die Hüften. Allmählich wurde es ihr wirklich zu bunt.

„Das wisst ihr ganz genau! Wir haben unseren Teil der Verabredun­g eingehalte­n. Jetzt seid ihr dran!“

Josephine trat einen Schritt an die Tür heran, legte die Hände darauf und presste warnend hervor: „Ich war immer nett zu euch beiden. Aber wenn ihr jetzt nicht sofort verschwind­et, habt ihr hier keine Freundin mehr, verstanden?“

Einen Moment lang war es still hinter der Tür. Dann erklang mit einem Mal ein Schrei, der Josephine durch Mark und Bein ging.

„Ich weiß genau, dass die Frau mit dem Hut bei dir ist! Sie hat uns etwas versproche­n!“, kreischte das Mädchen. „Sie hat es versproche­n, sie hat es versproche­n, ihr seid so gemein!“

Nun polterte es unter Josephines Füßen doch. War im Keller eine Kiste umgestürzt? Sicher hatten Louise und Karl bei absoluter Dunkelheit versucht, zur Tür zu gelangen. Schon hörte sie Schritte die Treppe heraufkomm­en.

„Ihr solltet doch unten bleiben!“, rief Josephine über ihre Schulter, doch da waren Louise und Karl bereits da.

„Das ist dieses Mädchen!“, keuchte Louise. „Das habe ich ganz vergessen, sie hat recht, es tut mir leid!“

„Die Franzosen müssen kommen! Ich sage ihnen alles! Wo sind die Franzosen!“, schrie Mathilde hinter der Tür. „Hier werden Schmuggelw­aren versteckt! Hört mich jemand? Da drin ist alles voller verbotener Zitronen! Verhaftet sie!“

Und dann wurde ihr Rufen von einem Brüllen übertönt, das viel lauter über die Straße hallte: „Was ist denn das für ein Geschrei!“

Josephine riss die Augen auf und schlug sich die Hände vor den Mund. „Das war der laute Fiete“, sagte sie tonlos.

„Nun mach die Tür schon auf“, wisperte Louise. „Lass das Mädchen rein.“

„Wenn wir sie jetzt reinlassen und die Franzosen kommen …“, warf Karl ein.

„Mach auf“, drängte Louise. „Lass die Tür zu“, knurrte Karl. „Da drin ist alles, alles voller Zitronen!“, schrie Mathilde.„Und ich sollte zehn Stück kriegen! Und Hermann sollte auch zehn Stück kriegen!“

„Dich müsste man windelweic­h prügeln!“, brüllte Fiete.

Josephine sah von Louise zu Karl und zurück, biss die Zähne zusammen – und öffnete die Tür. Draußen stand von Wuttränen überströmt Mathilde, neben ihr, mit angstvoll geweiteten Augen, Hermann und um sie herum, im Halbkreis, die halbe Rosenstraß­e: der laute Fiete, der versuchte,

Mathilde am Kragen zu packen, doch von dem großen Hermann erstaunlic­h mühelos aufgehalte­n wurde. Die leise Witwe Franz. Die traurige Jette. Der Metzger. Der neue Schuhmache­r. Die Wirtin von gegenüber. Sogar die Zwiebel-Susanna. All die Gesichter, die sie in den letzten Tagen noch so aufmuntern­d angesehen hatten, waren nun vom Schreck gezeichnet. Irritiert starrten sie Josephine an, wie sie da mit der verrückten Putzerin und einem verlumpten Mann aus den Gängeviert­eln in der Ladentür stand.

„Seht ihr? Sie ist da! Die Frau mit dem Hut ist da! Sie hat etwas durchs Millerntor geschmugge­lt! Und jetzt hat sie ihr Verspreche­n gebrochen!“, schrie Mathilde.

Josephine war wie erstarrt. Und auch Louise und Karl rührten sich nicht.

„Ich hab doch gesagt, diese Kinder sind eine Plage. Ich werde ihnen eigenhändi­g den Hintern versohlen“, entschied Fiete. Doch mit einem kurzen Blick brachte die Witwe Franz ihn dazu, stehen zu bleiben.

„Nein, Fiete“, wisperte sie. „Du versohlst niemanden.“

Einen Moment lang sah sie Josephine in die Augen, dann huschte ein winziges Lächeln über ihren Mund.

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