Luxemburgs Biennale-Vertreter Andrea Mancini im Porträt
Der interdisziplinäre Künstler mit Sitz in Brüssel geht in seinem Schaffen gerne über die Grenzen hinaus. Ein Besuch in der belgischen Hauptstadt
In dem Moment, in dem das Foto geschossen wird, rast noch eine volle Straßenbahn vorbei. Nur wenige Schritte weiter tummeln sich am späten Nachmittag jede Menge Menschen auf dem Wochenmarkt auf der Place Van Meenen. Und durch die vielen Gassen und Straßen umgeben von eklektischer Architektur und unzähligen Jugendstilfassaden schlendern stets Passanten. Dann wieder kommt einem der nächste Fahrradfahrer entgegen. Im Brüsseler Stadtviertel Saint-Gilles, wo wir uns mit Andrea Mancini treffen, ist so einiges los.
Der Luxemburger Künstler, mit Sitz in der belgischen Hauptstadt, repräsentiert dieses Jahr gemeinsam mit dem Brüsseler Künstlerkollektiv Every Island Luxemburg auf der Kunstbiennale in Venedig. Ihr gemeinsames Projekt „A Comparative Dialogue Act“, eine immersive Klanginstallation, die ab dieser Woche im landeseigenen Pavillon auf dem Ausstellungsgelände Arsenale zu sehen sein wird. Die offizielle Eröffnung der diesjährigen Biennale ist am Samstag, dem 20. April. Besucht werden kann die weltweit älteste internationale Kunstausstellung bis zum 24. November.
Doch wer ist Andrea Mancini überhaupt? Vielen wird er vermutlich unter seinem Musikernamen Cleveland bekannt sein. Doch spätestens seit 2020 hat sich der 1989 geborene Luxemburger ebenfalls als multidisziplinärer Künstler einen Namen gemacht. Dabei bleibt Klang stets der Hauptbestandteil seiner Kunst. „Sound ist mein Hauptmedium, die Hauptmaterie, die ich verwende. Das liegt aber auch an meiner Vergangenheit und meinem Werdegang. Ich habe als Musiker angefangen, deswegen ist Sound auch das Material, mit dem ich mich am wohlsten fühle. Auch während meines Kunststudiums, hat es sich für mich immer sehr natürlich angefühlt, mit Sound zu arbeiten“, erklärt Andrea Mancini, während er gerade zu seiner Tasse Kaffee greift – frisch aus der Kaffeepresse.
Wir befinden uns gerade an jenem Ort, an dem unter anderem Andrea Mancinis Kunst entsteht. Das Studio, in das er gerne kommt, um mit Sound zu experimentieren: das 254 Forest Studio in Saint-Gilles, das dem belgischen Künstler Pierre Debusschere gehört. Ein transdisziplinärer Ort, an dem verschiedene Kunstschaffende arbeiten und ausstellen können – und somit die dortigen weißen Wände und Böden zum Leben erwecken lassen. Hier ist Raum für Kreativität.
„Sound ist für mich ein Medium, um zu kommunizieren. Gleichzeitig ist Sound aber auch ein Material, um Recherchen zu betreiben“, betont der Luxemburger Künstler, der mit „A Comparative Dialogue Act“nicht nur das erste Mal auf der Biennale ausstellt, sondern auch erstmals mit dem Mudam zusammenarbeitet. Immerhin ist das Museum für moderne Kunst in Kirchberg für die Teilnahme federführend, die Kuratorin Joel Valabrega sorgt für die Begleitung des Pavillons auf der Biennale.
Dass solche Klanginstallationen eher abstrakt sind, ist Andrea Mancini bewusst. Dafür arbeitet der Künstler in seinen Werken auch gelegentlich mit Text oder anderen visuellen Elementen, sodass das Ganze wieder greifbarer wird. Dennoch möchte
er den Betrachtenden Raum für Interpretation lassen: „Bei keinem meiner Projekte möchte ich genau vorgeben, was die Menschen darunter zu verstehen haben. Ich will, dass das Publikum genügend Freiraum hat, um sich eigene Gedanken dazu zu machen.“
Freiheitsgefühl in Brüssel
Andrea Mancini, der zunächst für sein Politikstudium an der ULB nach Brüssel gezogen ist, hat schnell gemerkt, dass er sich lieber künstlerisch betätigen möchte. Bereits in seinem ersten Jahr in der belgischen Hauptstadt ist er mit zahlreichen Menschen aus der Kunst- und Designwelt in Kontakt gekommen. Auch durch die Clubkultur, die immer wieder Menschen zusammenführt und verbindet.
Nach einem Studium an der ERG – Ecole de recherche graphique –, einer sehr interdisziplinären Kunstschule, hat Andrea Mancini sich in erster Linie auf seine Musik konzentriert. Als 2020 die Pandemie das Leben weitgehendst zum Stillstand brachte, nutze er die Zeit als Möglichkeit, sich in seiner Kunst weiter auszuprobieren. Es folgte eine sechsmonatige Künstlerresidenz im Casino Display in Luxemburg, wo er an dem Projekt „New Age Landscape“arbeitete. 2022 befand sich Andrea Mancini in einer Künstlerresidenz in der Cité Internationale des Arts in Paris und noch 2023 wurden Arbeiten von ihm in den Rotondes sowie im Kalahari Oyster Cult in Amsterdam gezeigt.
Wieso der Künstler sich dazu entschieden hat, in Brüssel zu leben? „Ich bin etwas klaustrophobisch und kann mich nicht
zu lange an einem zu kleinen Ort aufhalten. Ich benötige immer dieses Gefühl von Freiheit, das Wissen, dass ich ständig neue Leute kennenlernen kann und sich neue Möglichkeiten ergeben können.“
Erschaffen neuer Klänge
Zwar vermischt sich Andrea Mancinis Musikprojekt Cleveland nicht unmittelbar mit seinem Schaffen als interdisziplinärer Künstler, dennoch sei die Grenze stellenweise fließend. „Alles geht von mir aus. Eigentlich gibt es keine klare Trennung, dennoch möchte ich beides bislang nicht fusionieren. Ich stelle aber fest, dass meine Recherchen und mein Schaffen in der interdisziplinären Kunst meine Soundproduktion bereichern – und umgekehrt“, führt der Kunstschaffende weiter aus.
Und was macht für ihn der Sound, die Klangkunst so besonders? „Die Beschaffenheit eines Tons. Ein Ton kann fließend sein, er kann aber auch mechanisch klingen oder warm oder kalt wirken. Und bei meinen Recherchen versuche ich immer einen neuen Klang zu erschaffen; einen Sound, der mir zuvor gefehlt hat.“
Doch auch die Spannung zwischen den verschiedenen Tönen, sowie die Spannung zwischen Sound und Raum, Sound und Publikum, Publikum und Raum spielen dabei für Andrea Mancini eine wichtige Rolle. „Ich suche nach den Reibungen zwischen diesen Elementen und nicht unbedingt nach deren Zusammensetzung.“
Über die Grenzen hinausgehen und experimentieren – das scheint das Credo des Luxemburger Künstlers Andrea Mancini zu sein. Dabei ist der Prozess selbst oft bedeutungstragender als das endgültige Resultat. So auch bei der Installation im Luxemburger Pavillon auf der diesjährigen Kunstbiennale, auf die man gespannt blicken kann.